"Schüler, die zu Hause keine passende Lernumgebung haben, hatten es schwieriger bei der Maturavorbereitung", sagt Bildungswissenschafterin Susanne Schwab. Andere konnten hingegen mehr Selbständigkeit beim Lernen erproben, was nun an der Uni helfen kann

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Als Felix Ehrenbrandtner im März 2020 erfuhr, dass seine Schule schließt, bekam er Angst. Immerhin war er da im vorletzten Schuljahr vor seiner Matura an der HTL für Bau und Design in Linz. Ähnlich ging es Hannah Lindtner. Sie maturierte im Juni 2020 an der HAK Gänserndorf, ihre Schule hatte kurz zuvor zugemacht. Doch die Sorge der beiden, im Distance-Learning weniger zu lernen, hat sich bald in Zuversicht verwandelt. "Meine Corona-Matura hat mich sogar besser auf das Studium vorbereitet", sagt Felix, der nun im zweiten Semester Bauingenieurwesen studiert.

Felix Ehrenbrandtner sieht nachträglich auch Positives am Corona-Maturajahrgang.
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Damit spricht der 19-Jährige einen Vorwurf an, der sich an die beiden vergangenen Maturajahrgänge richtet: Geschenkt sei sie gewesen, ihre Reifeprüfung, ein Schulabschluss zweiter Klasse. Der Grund: Die mündliche Matura war in den vergangenen beiden Schuljahren freiwillig, schriftlich mussten Schülerinnen und Schüler in nur drei Fächern antreten. Zudem floss die Note des letzten Schuljahrs in die Beurteilung ein. Im ersten "Corona-Maturajahrgang" 2020 haben 46.751 Jugendliche aller Schultypen laut Statistik Austria ihre Matura bestanden, rund 4500 mehr als im Vorjahr. Haben sie weniger gelernt?

Nein, sagt Susanne Schwab, Bildungswissenschafterin an der Uni Wien: "Lerninhalte, die man sich selbst erarbeitet, bleiben besser hängen." Seit der Pandemie mussten sich Schüler weitaus mehr Stoff selbstständig beibringen. "Die Schülerinnen organisieren ihr Lernsetting selbst. Davon werden sie im Studentenleben profitieren."

Wichtiger Faktor Lernumgebung

Auch Felix findet, er habe eigenständiger gelernt als der Jahrgang vor ihm. Im Präsenzunterricht könne man die Lehrer direkt fragen, sofern man etwas nicht versteht. "Aber wenn du zu Hause vor deinem Screen sitzt, hast du Hemmungen davor", sagt Felix. Mit seinen Rechenaufgaben war er auf sich alleine gestellt. Auch Hannah hat in der Ferne gelernt, selbstständig zu arbeiten. Während des Lockdowns musste sie Arbeitsaufträge erledigen: ein Video, das sie beim Sport zeigt, oder Lektürearbeiten für den Deutschunterricht. Mit ihren Freundinnen hat die 21-Jährige Telefonkonferenzen gehalten und Aufgaben gemeinsam diskutiert.

Eigenständig lernen, Lernzeiten selbst einteilen: Für viele Schülerinnen war der neue Schulalltag eine gute Vorbereitung auf das Studium. Dass aber nicht jeder gut selbstgesteuert lernen kann, dürfe man nicht vergessen, gibt Schwab zu bedenken. Denn: "Schüler, die zu Hause keine passende Lernumgebung haben, hatten es schwieriger bei der Maturavorbereitung."

Früher mündlich prüfen

Die Pandemie könne darüber hinaus ein Anlass sein, mündliche Prüfungen künftig bereits während der Schulzeit zu fordern, regt Schwab an. "Viele Junge stressen mündliche Prüfungen, weil es ein ungewohntes Format für sie ist." Das erklärt auch die Proteste vieler Schüler als Reaktion auf die Ankündigung von Bildungsminister Martin Polaschek, die mündliche Matura heuer wieder verpflichtend zu machen. Sich bereits in der Schulzeit an mündliche Prüfungen zu gewöhnen wäre eine gute Vorbereitung auf das Studium, zumal dort oft große Stoffmengen mündlich abgefragt werden, sagt die Bildungswissenschafterin.

An den Unis soll es ab dem Wintersemester 2022 ohnehin eine neue Hürde geben: Die hitzig diskutierte Mindeststudienleistung fordert 16 ECTS innerhalb der ersten vier Semester, ansonsten werden Studierende zwei Jahre vom betreffenden Studium gesperrt. Für Expertin Schwab eine problematische Regelung, insbesondere angesichts der veränderten Situation, in der sich junge Menschen nun befinden. In den vergangenen zwei Jahren mussten sie auf vieles verzichten, was Spaß macht und wichtig für die Entwicklung ist: kein Feiern, keine Treffen mit Freunden, kein sozialer Austausch. "Studierende sollten jetzt trotzdem zum Lernen motiviert und ihre Studiengestaltung nicht durch die Vorschreibung von Mindest-ECTS eingeschränkt werden", sagt Schwab.

Hannah Lindtner wechselte in der Pandemie von Schule auf Uni.
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Da bliebe schließlich wenig Zeit, Erlebnisse und Erfahrungen nachzuholen, die nun lange nicht möglich waren. Auslandsaufenthalte stehen dabei weit oben auf der Liste. Auch bei der mittlerweile Wirtschaftsrecht studierenden Hannah ist diese Sehnsucht in der Pandemie immer mehr gereift. Nach zwei Jahren, in denen sich die heute 21-Jährige zumeist von ihrem Laptop aus an Schule und Uni gezoomt hat: mehr als verständlich. (Allegra Mercedes Pirker, 6.3. 2022)