Dieses virale Meme, das Putin mit Hitler vergleicht, wurde auch vom offiziellen Ukraine-Account geteilt.

Foto: AFP/Gabriel Bouys

Nach monatelanger Ungewissheit und mehrmaligen Dementi von Einmarschplänen hat Russland am 24. Februar einen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet. Der Kreml versucht, die Invasion als "Spezialoperation" zum Schutze der Separatistengebiete in der Ostukraine zu verkaufen. Man wolle die "Drogensüchtigen und Neonazis" aus der ukrainischen Führung vertreiben und das Land demilitarisieren.

Doch so geübt Russland in Sachen Propaganda ist: Das Narrativ greift kaum. Auch trotz der jahrelangen Ausbreitung des Staatssenders RT (vormals Russia Today) und anderer Kreml-treuer Medien wie Sputnik kann sich kaum jemand für den Einmarsch begeistern. In Russland selbst stieß die Anerkennung der "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk zwar auf viel Zustimmung, nicht aber der Krieg gegen den Rest des Landes.

In sozialen Medien weltweit hat die Erzählung vom Friedenseinsatz kaum Halt gefunden. Die Herzen fliegen hier vor allem den Soldaten und der Zivilbevölkerung der Ukraine zu, die sich dem militärisch übermächtigen Feind entgegenstellen. Selbst Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj, außen- und innenpolitisch zuvor nicht gerade unumstritten, erfährt dieser Tage große Hochachtung.

Offener Widerspruch

Doch woran liegt es, dass Russlands Message-Maschinerie ins Stocken geraten ist? Dafür gibt es mehrerer Gründe. Der offensichtlichste und nachvollziehbarste ist der drastische Widerspruch zwischen dem jahrelangen Framing von Putin als Friedensbewahrer und des Westens – insbesondere der Nato und der USA – als Kriegstreiber sowie den Bildern und Videos aus der Ukraine.

So manche ehemaligen Verfechter des russischen Staatschefs, insbesondere aus dem rechten bis rechtsextremen Milieu, sind dieser Tage auffällig still oder üben ebenfalls Kritik am Krieg.

Meister der Social-Media-Klaviatur

Beachtlich ist, wie effektiv offizielle ukrainische Vertreter und bekannte Persönlichkeiten die Social-Media-Klaviatur bedienen. Während offizielle Kreml-Accounts auf ihren internationalen Präsenzen nur wenig zur Ukraine zu sagen haben und der Account des Präsidenten sich liest wie ein Arbeitskalender, beeinflussen ihre ukrainischen Gegenüber die Stimmung gekonnt zum eigenen Vorteil. Da hilft es wenig, dass Dmitri Medwedew, Ex-Präsident und nunmehriger Vizechef des russischen Sicherheitsrats, den Twitter-Schlaf seines englischsprachigen Accounts nach zwei Monaten beendete, um mit höheren Gaspreisen zu drohen.

Derweil liefert Selenskyj, dem auf Twitter circa 3,8 Millionen Nutzer folgen, nicht nur Berichte über diplomatische Bemühungen, sondern betont stets aufs Neue, dass die Ukraine nicht kapitulieren und er weiterhin in Kiew verbleiben werde. Das untermalt er auch mit Videos, die ihn in den Straßen der Hauptstadt zeigen. Was durchaus bemerkenswert ist, zumal er auf der Abschussliste des neonazistischen russischen Söldnertrupps "Gruppe Wagner" stehen soll.

Nach Kriegsausbruch hat er auch einen Appell an die russische Bevölkerung gerichtet, in dem er die Friedfertigkeit der Ukraine betonte und dazu aufrief, sich für eine Beendigung der Kampfhandlungen starkzumachen. Eine ähnliche Ansprache veröffentlichte auch Wladimir Klitschko, einst erfolgreicher Profiboxer, der auf Twitter und Instagram 4,6 Millionen Abonnenten erreicht. Sein Bruder Vitali, ebenfalls Box-Ikone und heute Bürgermeister von Kiew, verbreitete diese an seine 800.000 Follower weiter. Internationales Medienecho ließ nicht lange auf sich warten.

Strategisch zweigleisig fährt der offizielle "Ukraine"-Account. Auf Twitter ist man eher Meme-lastig unterwegs und interagiert aktiv mit Unterstützern. So veröffentlichte der für seine Horror-Romane bekannte US-Starautor Stephen King etwa "ausnahmsweise" sein Selfie, das ihn mit einem "I Stand With Ukraine"-T-Shirt zeigt. Die Reaktion von @Ukraine darauf: "Wir werden diese Langoliers für Sie besiegen, Sir." Mit Kommunikation dieser Art hat man Übung, schon lange vor der russischen Invasion stichelte man immer wieder mit Memes in Richtung Russland.

Auf Instagram verlagert man sich hingegen auf motivatorische Botschaften, Heldenpathos und Aufnahmen, die die Folgen russischer Angriffe zeigen sollen. In diese Kerbe schlägt auch der Twitter-Account des Verteidigungsministeriums, das regelmäßig Zivilschutzinformationen und Zahlen zum Krieg und speziell auch zu russischen Verlusten publiziert, die freilich ebenfalls mit Vorsicht zu genießen sind.

Auch andere Offizielle mischen international auf sozialen Medien mit. Erwähnenswert ist hier beispielsweise Vizepremier und Digitalminister Mychajlo Fedorow. Er rief öffentlichkeitswirksam zur Gründung einer IT-Freiwilligenarmee auf, die russischen Cyberoperationen etwas entgegensetzen solle. Zuletzt richtete er Elon Musk öffentlich seinen Dank aus, nachdem dieser den Satelliteninternetdienst Starlink in der Ukraine aktivieren und Terminals dafür hatte schicken lassen.

Message-Control des Kreml strauchelt auch daheim

Einen wichtigen Grund dafür, dass die russische Darstellung der Ereignisse international kaum durchdringt, sieht Peter Singer, Stratege des als progressiv eingestuften US-Thinktanks New America, in der langen Vorbereitungszeit. Das ukrainische Militär, US-Geheimdienste, baltische Nato-Staaten und Aktivisten beobachteten und dokumentierten den russischen Truppenaufmarsch vor Beginn des Krieges, was die Darstellung des Einmarsches als mehr oder weniger "spontanen" Friedenseinsatz und die Darstellung, die Ukraine sei der eigentliche Aggressor, unglaubwürdig machte.

Seiner Ansicht nach entfalteten auch diverse Heldengeschichten schnell Wirkung, während Präsident Selenskyj sich als "Mann des Volkes" positionieren konnte. Der ehemalige Comedian verstehe es, unterschiedliche Zielgruppen – von der Zivilbevölkerung bis zum Heer – glaubwürdig anzusprechen. Zudem gelingt es ihm dabei auch immer wieder, sich gezielt in Kontrast zu Wladimir Putin zu stellen. Und er punktet auch damit, dass er nicht nur Freundlichkeiten an den Westen schickt, sondern auch Druck macht, wenn ein Land bei Sanktionen auf der Bremse steht. Dem US-Angebot, ihn zu evakuieren, entgegnete er: "Ich brauche Waffen und keine Mitfahrgelegenheit."

Dies, ergänzt mit Schilderungen militärischer Erfolge, Dokumentation zivilen Widerstands und emotionalen Erzählungen, in denen den oft anonymen Betroffenen von Kriegshandlungen ein Gesicht gegeben wird, macht den Erfolg der Kampagne aus.

Auf der anderen Seite ist Putins Meinungsmaschinerie auch in Russland selbst ins Stocken geraten. Der Historiker Ian Garner dokumentiert etwa populäre Influencer, die sich – unter beträchtlichem persönlichen Einsatz und trotz neuer Zensurerlässe für die Medien – gegen den Krieg starkmachen. Sie ergänzen die wachsende Zahl bekannter russischer Persönlichkeiten und Politiker, die ein Ende der Invasion fordern. Jüngst hat sich Iwan Urgant, Host der Abendshow "Wetschernij Urgant" im Ersten Kanal des Staatsfernsehens, öffentlich als Kriegsgegner positioniert.

Botschaften aus der Ukraine selbst, wie sie etwa Selenskyj und Klitschko veröffentlicht haben, dürften zahlenmäßig eher begrenzte Reichweite haben, meint Anna Litvinenko vom Institut für Medien- und Kommunikationsforschung der Freien Universität Berlin gegenüber dem STANDARD. Sie kursieren hauptsächlich auf Facebook, das in Russland von liberalen Intellektuellen als digitaler Treffpunkt genutzt wird, Youtube und den Telegram-Kanälen von unabhängigen Medien wie "Meduza".

Dort erreichten sie zwar nicht das "breite Publikum", sehr wohl aber einige Meinungsführer. Über diese haben die Videos "auf jeden Fall ein Potenzial, einen Einfluss auf die russische Öffentlichkeit auszuüben", so die Forscherin.

Litvinenko verweist auch auf eine russischsprachige Petition auf der Plattform change.org, die ein Ende des Krieges in der Ukraine fordert. Mit mittlerweile 1,1 Millionen Unterstützungserklärungen gehört sie bereits zu den erfolgreichsten Kampagnen dieser Art in Russland.

Eine Ansprache von Wladimir Klitschko, gerichtet an die Bürger von Russland und Belarus.

Kriegsbegeisterung in Chinas Onlinenetzwerken

Nicht nur im Netz, auch auf der Straße regt sich Widerstand aus der russischen Öffentlichkeit. Obwohl die Behörden mit Härte gegen Demonstrationen vorgehen, protestieren tagtäglich tausende Russinnen und Russen für einen Abzug aus dem Nachbarland. Laut Amnesty International wurden in diesem Zusammenhang bisher rund 6.000 Menschen verhaftet.

DER STANDARD

Eine der wenigen Online-Sphären, in denen eine Mehrheit die russische Invasion gutzuheißen scheint, sind laut "New York Times" chinesische soziale Netzwerke. Dort sieht man den Angriff auch als Attacke gegen die USA, die seit dem unter der Trump-Regierung begonnenen Wirtschaftskrieg in der öffentlichen Wahrnehmung wieder stark in Ungnade gefallen sind. Die Begeisterung könnte aber mit der Zeit abflauen. Denn die chinesische Regierung, die sich vor wenigen Wochen noch als enger Verbündeter Russlands positioniert hatte, ließ mit einem Aufruf zum Respekt territorialer Integrität zumindest indirekt Kritik an Putins Vorgehen anklingen. (Georg Pichler, 2.3.2022)

Hunderte von Ausländern, die in der Ukraine leben und teilweise tagelang an der ukrainischen Grenze festsitzen, hoffen, nach Europa zu gelangen, um der russischen Invasion zu entkommen. Während sie in der Kälte und in Ungewissheit ausharren, sagen einige, sie würden von den Behörden "wie Hunde" behandelt.

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