Besondere Ereignisse färben auch unseren Blick auf die Bilder, die wir in dieser Situation aufgenommen haben. Klassische Merkmale der Ästhetik wie Farbpalette und Symmetrie werden aber weiterhin bei der Auswahl berücksichtigt.
Foto: Isaac Lawrence / AFP / APA

Die digitale Fotografie und die ständige Verfügbarkeit hochwertiger Kameras, die in Smartphones verbaut sind, haben zu einem weiteren Luxusproblem geführt: Welche der Fotos will man tatsächlich behalten und womöglich mit anderen teilen? Ein "Problem", das allerdings auch wissenschaftlich analysiert wird, um mehr über die Funktionsweise des Gehirns zu erfahren. Nach welchen Kriterien wählen Menschen aus, ob sie ein Bild gut finden und hervorheben – oder eher löschen, beziehungsweise in den endlosen Weiten der Fotogalerie virtuell verstauben lassen? Welche Bilder ziehen uns in ihren Bann?

Mit diesen Fragen beschäftigten sich Psychologen der Universität Wien – in Zusammenarbeit mit zwei Ingenieuren der Firma Huawei Technologies Finland. Im Fachjournal "Frontiers in Psychology" veröffentlichte das Team das theoretische Modell dazu. "Trotz der großen Beliebtheit und Verbreitung von Handyfotografie gibt es bislang kaum systematische Forschung zu den ästhetischen Grundlagen guter Bilder", sagt Matthew Pelowski, einer der beteiligten Wissenschafter.

Der erste Eindruck

Dabei vergessen die Forschenden nicht auf bestehende Modelle der Kunstwahrnehmung, die beispielsweise in Disziplinen der Kunstgeschichte eine Rolle spielen, wollten diese allerdings erweitern: "Neben grundlegenden Bildmerkmalen legen wir den Fokus dabei vor allem auf die Person, die das Smartphones nutzt, sowie den Kontext, in dem ein Foto entsteht und geteilt wird", sagt Erstautor Helmut Leder. Die Analyse geht also weit über das Motiv hinaus und hinein in die Kognitionswissenschaften, wie das Gehirn die Bilder verarbeiten dürfte.

Schon binnen Sekundenbruchteilen wird der erste Eindruck gewonnen und grundlegende Merkmale erfasst. Bereits auf der Grundlage der Farben, Kontraste und der Beleuchtung können wir ein Foto vereinfacht gesagt als ästhetisch oder unästhetisch einschätzen. Das fällt besonders leicht, wenn sie stark verwackelt und unscharf sind oder sehr über- oder unterbelichtet. Der nächste Schritt, der auch etwa innerhalb der ersten halben Sekunde vonstatten geht, betrifft die Bildkomposition, also Symmetrien, Komplexität und Bildausschnitt.

Einfluss von Kultur und Persönlichkeit

Erst danach kommt ein bewussteres Nachdenken über ein Bild in Gang. In den nächsten Sekunden werden Erinnerungen wach – an die Situation und das Ereignis, das dokumentiert wurde, sowie – sofern vorhanden – an die abgebildeten Personen und deren Wichtigkeit im eigenen Leben. Unser Gehirn prüft in diesem Zusammenhang auch, inwiefern das Bild zu generellen Vorstellungen, Erwartungen und dem tatsächlichen Verlauf der Situation passt. Dadurch erarbeitete das Team die erste systematische Zusammenstellung dieser Variablen.

Das Modell fasst zusammen, wie wir Smartphone-Fotos ästhetisch bewerten.
Grafik: Leder et al., Frontiers in Psychology, 2022

Aktuell werden von der Forschungsgruppe virtuell Experimente durchgeführt. Die daraus gewonnenen Daten sollen ergänzen, wie Nutzerinnen und Nutzer von Smartphones Bilder als schön oder schirch bewerten. "Wir möchten dabei vor allem die Wechselbeziehungen zwischen Inhalt, Bildgestaltung, aber auch kulturellem Kontext und Persönlichkeit verstehen", sagt der am Projekt beteiligte Chris Valuch. "Diese wurden in der empirischen Forschung zur Wahrnehmung von Fotografien bislang weitgehend außer Acht gelassen."

Und wie profitieren die involvierten Ingenieure von Huawei vom Projekt? Der Partner aus der Smartphone-Kameraindustrie wolle vor allem herausfinden, wie psychologische und kontextuelle Faktoren die wahrgenommene Qualität von Bildern bestimmen, heißt es in der Aussendung der Universität Wien. Dies ergänze die technischen Aspekte, etwa Auflösung, Bildrauschen und Kontrastumfang von Kameras. Diese werden sukzessive verbessert – was für noch bessere Bilder, aber eben auch manchmal die Qual der Wahl sorgt. (red, 1.3.2022)

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