Casper, der mit seinem stellvertretenden Leid enorm erfolgreiche Schmerzensmann des deutschen Rap.

Foto: Eklat Tonträger

Mit seiner Stimme kann Benjamin Griffey durch das regelmäßige Gurgeln mit Reißnägeln den Lack von Holztüren abschmirgeln oder Wände aufrauen, damit die Tapete hält. Okay, es klingt immer noch besser als Andreas Gabalier beim Pressen von Andachtsjodlern. Vor allem live aber, ohne Rettung durch die Pausetaste genossen, fühlt man sich nach drei Stücken des deutschen Rappers Casper dann meist doch ein wenig unrund. Ja, Mutter, ich verspreche es, ich werde ab morgen weniger rauchen!

Auf jedem guten Rap-Album kommt natürlich die Mutter vor. Der mit seinen 39 Jahren doch auch schon zu den alten weisen Männern im Geschäft gehörende Mann aus Bösingfeld in Ostwestfalen-Lippe will da nicht nachstehen. Gleich zu Beginn holpert es auf seinem neuen Album Alles war schön und nichts tat weh: "Bin nie im Hier und Jetzt, wie meine Mama meint/ Im Kopf in der Zukunft und im Herzen in der Vergangenheit/ Wollt immer jemand anders sein/ Schöner, besser, stecke fest und sterbe vor Langeweile/ Bin weit über der Welt, schau’ mir den Untergang an".

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Auch Casper erfüllt die im deutschen Hip-Hop unabdingbare Notwendigkeit, ausschließlich von sich selbst als Zentrum des Universums auszugehen. Im Rahmen dieses Programms beklagt sich die jeweilige Autorenstimme dann nicht nur über die Unzulänglichkeit der Welt. Angesichts der mit dem Dasein im gesellschaftlichen Aus, im Bösingfelder Ghetto oder auf der Nachttankstelle bei den Getränken einhergehenden Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation klopft man sich dann auch immer kräftig auf die Brust. Das führt aktuell bei Casper zu einem die gute alte Hildegard Knef zitierenden Durchhalte-Rap namens Lass es Rosen für mich regnen: "Schreib’ meinen Namen an die Wand/ In jedem Viertel der Stadt/ Denn sie sollen wissen, ich war da!"

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Die eingeforderte Sachbeschädigung auf Hauswänden wird im Refrain von einer deutschen Indie-Pop-Band mit dem mindestens katastrophalen Namen Provinz (!!!) und der ehemaligen Songcontest-Teilnehmerin Lena Meyer-Landrut (!!!) gesungen. Wir sehen schon, ein von einem realen Gangster mit 20 Jahren Schmalz gesteuertes Taxi nach Hause wird sich Casper definitiv nicht mit breitbeinig und kontraphobisch auftretenden Isch-hau-dir-gleisch-in-die-Fresse-Kollegen wie Haftbefehl oder Bushido teilen.

Das Weinen hilft

Unter der ortsfremden und mehr Richtung Indie-Rock mit klirrender Gitarre und gehacktem Klavier als zu Turntable-affinem Hip-Hop tendierenden Produktionsregie von Max Rieger von der deutschen Rockband Die Nerven geht es bei Casper dann auch nicht um ewige oder ewiggleiche Themen. Mit Ausnahme von Mutter kommen bei ihm keine dicken Hosen, keine heteronormativ angeschmachteten Instagram-Babes oder ein Straßenkampf mit tiefergelegten bayerischen Mistwagen vor. In Tracks wie Zwiebel & Mett ("Wir fahren zur Hölle, ja!") oder Das bisschen Regen wird dafür nichts weniger als der kommende Weltuntergang verhandelt. "Mieses Leben", krächzt Casper. Danke, das Weinen hat uns heute wieder sehr geholfen. Jetzt noch mit dem Rauchen aufhören ist allerdings sinnlos. (Christian Schachinger, 2.3.2022)