"Tausche zwei Mattarellas gegen einen halben Putin!" – Mit solchen und ähnlichen Parolen hatte Matteo Salvini, Anführer der italienischen Rechten, vor noch nicht allzu langer Zeit seiner Geringschätzung des eigenen Staatspräsidenten Sergio Mattarella und seiner Sympathie für dessen russischen Amtskollegen Wladimir Putin Ausdruck verliehen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Matteo Salvini galt jahrelang als großer Fan von Wladimir Putin.
Foto: AP / Gregorio Borgia

Von den vielen – mittlerweile fast alle reuigen – Putin-Bewunderern in Italiens Politik war der ehemalige Innenminister und Lega-Chef Salvini der glühendste: Putin sei "der fähigste Staatsmann der Welt", schwärmte er.

Die Lega stand auch im Verdacht, vom Kreml illegal finanziert worden zu sein. Umso schwerer fällt es Salvini nun, den harten Anti-Putin-Kurs der Regierung, der seine Lega angehört, vorbehaltlos zu unterstützen. Salvini hat zwar den russischen Überfall auf die Ukraine ebenfalls verurteilt, aber mit den Sanktionen und mit der Lieferung von Waffen und Munition an die Ukraine tut er sich noch immer schwer.

Vergleich mit Hitler 1938/39

"Nicht in meinem Namen", erklärte der hemdsärmelige Volkstribun, als der Ministerrat unter der Leitung von Premier Mario Draghi in der vergangenen Woche die Lieferung von Stinger-Flugabwehrraketen, von Antipanzerlenkwaffen und Maschinengewehren an die Ukraine beschlossen hat. Schließlich lenkte der Lega-Chef dann aber doch ein: Es sei "undenkbar", dass sich das Land in dieser ernsten Situation nicht geeint präsentiere, erklärte Salvini.

Ministerpräsident Draghi verteidigte die Sanktionen und die Waffenlieferungen am Dienstag im Parlament mit deutlichen Worten: "Die Aggression Russlands gegen die Ukraine katapultiert Europa um 80 Jahre zurück", betonte Draghi, und er verglich die russische Invasion in der Ukraine mit dem "Anschluss" Österreichs, der Einverleibung des Sudetenlandes und dem Überfall auf Polen durch Hitler-Deutschland.

"Einen Aggressionskrieg gegen einen souveränen europäischen Staat zu tolerieren würde bedeuten, den Frieden und die Sicherheit in Europa auf möglicherweise irreversible Weise zu verspielen", sagte der Regierungschef. "Wir dürfen nicht zulassen, dass dies geschieht."

Schockstarre überwinden

Ähnlich wie zuvor etwa der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte freilich auch Draghi erst einmal Zeit gebraucht, um den Schock angesichts des neuen Krieges in Europa zu verdauen und zu einer kompromisslosen Haltung gegenüber Putin zu finden. Auch Rom ist bei den Sanktionen und insbesondere beim Ausschluss der russischen Banken aus dem Swift-System zunächst auf die Bremse gestanden. Der Grund war die Sorge vor einem Stopp der russischen Gaslieferungen: Italien deckt 42 Prozent seines gesamten Energiebedarfs durch Erdgas ab; 40 Prozent davon kommen aus Russland. EU-weit beträgt der Anteil von Erdgas am Energie-Mix lediglich 25 Prozent.

Italien deckt einen erheblichen Teil seines Energiebedarfs mit russischem Gas – bisher.
Foto: imago images/CTK Photo

Die hohe Abhängigkeit Italiens vom Energieträger Erdgas – und damit von Russland – liegt daran, dass das Land nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl aus der Atomkraft ausgestiegen ist und dreimal weniger Kohle als die übrige EU verfeuert. Dennoch sei zumindest kurzfristig kein Engpass zu befürchten, selbst wenn Putin wegen der Sanktionen und der Waffenlieferungen den Gashahn vollständig zudrehen sollte, versicherte Draghi im Parlament. "Etwas komplizierter" könnte es aber im kommenden Winter werden, falls sich die Lage nicht entspanne.

Notstand ausgerufen

Angesichts der zu erwartenden Flüchtlingsströme aus der Ukraine beschloss die Regierung am Montag die Verhängung des Notstands, der eine unbürokratische Hilfe für die Ankommenden ermöglicht. In Italien leben bereits heute 236.000 Menschen aus der Ukraine; rund drei Viertel von ihnen sind Frauen, die in italienischen Familien sehr oft als Haushälterinnen oder Altenpflegerinnen arbeiten.

Ihnen gegenüber zeigte sich Draghi im Parlament besonders nahe: "Wir stehen an eurer Seite – in eurem Schmerz wegen des Krieges, in der Sorge um eure Angehörigen, und im gemeinsamen Willen, der Ukraine zu helfen, sich zu verteidigen", betonte der Ministerpräsident. In den nächsten Tagen und Wochen wird das italienische Innenministerium für ukrainische Flüchtlinge 16.000 zusätzliche Plätze in bestehenden und neuen Aufnahmezentren schaffen.

Zerstörte Illusion

Mit der Invasion der Ukraine durch die Truppen Putins sei eine "Illusion zerstört worden", betonte Draghi im Parlament: die Illusion, dass durch Kooperation und internationale Verträge der Frieden in Europa dauerhaft gesichert sei. Beim Krieg Putins gegen die Ukraine handle es sich "um einen Angriff auf unsere Werte von Freiheit, Demokratie und internationaler Zusammenarbeit, die wir gemeinsam aufgebaut haben". Alle Länder müssten nun entscheiden, wie sie darauf reagieren wollten – "und Italien hat nicht die Absicht, einfach wegzuschauen", betonte Draghi.

Die beiden Parlamentskammern berieten gestern über die Waffenlieferungen; die Abstimmungen standen bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch aus. Trotz der Vorbehalte innerhalb der Lega und einiger zu erwartenden Neinstimmen pazifistisch gesinnter Abgeordneter der Fünf-Sterne-Protestbewegung galt die Bewilligung der Hilfen als sicher. (Dominik Straub aus Rom, 2.3.2022)