Inhalte des "ballesterer" (http://ballesterer.at) #168 (März 2022) – Seit 25. Februar im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (https://www.kiosk.at/ballesterer)

Schwerpunkt: Die Ära der Dorfklubs

PROFIS AUS DER PROVINZ

In den 2000er-Jahren mischten Klubs vom Land die Ligen auf

GRADS WANDERUNG

Aufstieg und Ende des SV Pasching

Außerdem im neuen "ballesterer":

GLORIOUS REVOLUTION

Umbruch im englischen Fußball

"IDEALISIERUNG GEHÖRT DAZU"

Peter Filzmaier über Barca, Messi und Merkel

VIOLETTE VISIONEN

Manuel Ortlechner im Interview

GRENZERFAHRUNGEN

SOS Balkanroute und der Fußball

AFRIKAS MEISTER

Rückblick auf Kamerun

ENTSCHEIDUNGSSPIELE

Das Nationalteam vor dem WM-Play-off

ENTSCHEIDENDE ENTSCHEIDUNGEN

Die Play-off-Diskussionen in Deutschland und Italien

DER GRÖSSTE IN SCHWARZ-GELB

Ein Nachruf auf "Dixie" Dörner

GROUNDHOPPING

Matchberichte aus Belgien, Griechenland und Spanien

Georg Pangl: "Am Podium waren alle gegen mich und die Liga. Sie wollten das mit den Lizenzkritierien nicht einsehen."

Foto: APA/Pfarrhofer

Georg Pangl schreibt gerade ein Buch. Die Unterlagen dafür stapeln sich auf seinem Schreibtisch, von dem er den "ballesterer" zum Videointerview begrüßt. Stoff hat der Burgenländer genug: Er war in den 1990er-Jahren Teammanager des Nationalteams, hat zwei Champions-League-Finale mitorganisiert und sich als Generalsekretär der Klubvereinigung The European Leagues mit den großen Namen im europäischen Fußball angelegt. Von 2004 bis 2014 war Pangl Vorstand der Bundesliga, dort erlebte er Jahre des Umbruchs. Er trug die Verschärfung des Lizenzierungsverfahrens mit und kämpfte für die Modernisierung des Fußballbetriebs. Nicht immer mit Erfolg. "Manchmal bin ich mir vorgekommen wie in einem Film", sagt Pangl. "Aber nicht in einem guten."

ballesterer: Vor Ihrem Antritt bei der Bundesliga im Herbst 2004 waren Sie bei der UEFA Eventmanager mit Fokus auf der Champions League. Sie haben mit den absoluten Topklubs zu tun gehabt, was hat Sie an der Liga gereizt?

Pangl: Die Entscheidung ist mir damals nicht leichtgefallen. Aber so reizvoll der Job in der Schweiz war, so beschränkt war ich darin auch. Bei der UEFA bestimmt das Produkt- über das Eventmanagement, als Head der Venue Directors war ich bei den Eventmanagern. Wir haben tolle Sachen gemacht, die Champions-League-Finale in Manchester und Gelsenkirchen auf höchstem Niveau organisiert. Aber wir haben das umsetzen müssen, was die Verantwortlichen für das Produkt vorgegeben haben. Ich bin also nicht zum Gestalten gekommen. Damals hat der Trend eingesetzt, dass wir mehr und mehr VIPs unterbringen und die Inszenierungen immer spektakulärer werden müssen. Die Bundesliga war bodenständiger – und ich konnte gestalten.

ballesterer: Einer der Spitznamen der Liga war weniger bodenständig, nämlich Operettenliga. Den Begriff haben Sie damals heftig abgelehnt. Würden Sie das heute auch noch tun?

Den Namen hat es gegeben, bevor ich angefangen habe. Er hat offenbar seine Berechtigung gehabt, sonst hätte er sich nicht etabliert. Trotzdem war es eines meiner ersten Ziele, diese Bezeichnung vergessen zu machen. Dafür haben wir die Liga weiterentwickeln müssen. Wir wollten uns als kleine, smarte Liga positionieren, die bereit ist, Dinge auszuprobieren.

ballesterer: Als Sie angefangen haben, war Frank Stronach Ligapräsident. Welche Rolle hat er gespielt?

Pangl: Ich habe ihn vorher nur aus den Medien gekannt, aber Respekt vor ihm gehabt, weil er im Ausland ein Vermögen gemacht hat. Als ich ihn kennengelernt habe, habe ich schnell verstanden, wie er funktioniert – und dass er sehr einfach gestrickt ist. Das war bei einer gemeinsamen Sitzung mit Martin Pucher, der damals Vizepräsident der Liga war. Ich habe eine Mappe voller Unterlagen mitgehabt, die ich durchgehen wollte. Der Pucher hat mich beiseite genommen und gesagt: "Vergiss das. Such dir ein Thema aus, mit mehr kommst du nicht durch." Dann sind wir in Stronachs Büro gegangen. Er ist hinter seinem Schreibtisch gesessen, hat seine Cowboystiefel auf der Tischplatte gehabt und angefangen, über Pferderennen und American Football zu reden. Er war in einer anderen Sphäre unterwegs. Und er hat Visionen gehabt, für die die Zeit nicht reif war.

ballesterer: War die Liga überhaupt arbeitsfähig?

Pangl: Diese Anekdote soll nicht irreführend sein: Es war sogar ganz angenehm, unter Frank zu arbeiten. Die kleinen Themen haben ihn nicht interessiert, er wollte nur über das große Ganze reden. Für mich als Vorstand war das ein Traum, wir haben in seiner Abwesenheit viel Gestaltungsspielraum gehabt. Und seine Ideen, so eigenwillig die manchmal geklungen haben, waren interessant. 2004 hat er vorgeschlagen, aus den besten Talenten, die nicht in der Stammformation ihrer Klubs stehen, ein eigenes Team zu formen. Dieses "Tiger Team" hätte dann gegen die Kampfmannschaften spielen sollen, damit die Jungen Spielpraxis sammeln. Das war nicht umsetzbar, aber aus diesem Gedanken ist der Österreicher-Topf entstanden, der für die Nachwuchsförderung essenziell ist. Ich habe es bedauert, als er sich 2005 zurückgezogen hat.

ballesterer: 2002 ist das Lizenzierungsverfahren eingeführt worden. Im Laufe des Jahrzehnts sind dadurch einige Klubs in die zweite Liga oder gar in den Amateurfußball geschickt worden. Wie wichtig war das für die Neuaufstellung?

Pangl: Sehr wichtig. Es war die längste Zeit ein Kavaliersdelikt, nicht ordentlich zu wirtschaften oder Spieler teilweise schwarz zu zahlen. Das Umdenken hat schon vor meiner Zeit begonnen, war aber erst am Anfang. Dagegen hat es noch viele Widerstände gegeben. Wenn wir am 30. April die E-Mails – am Anfang waren es noch Faxe – verschickt haben und einige Vereine die Lizenz nicht bekommen haben, waren die empört. "Das ist doch ein Wahnsinn", hat es dann geheißen oder: "Die Liga und der Pangl nehmen sich viel zu wichtig." Aber ich kann doch auch niemandem den Führerschein geben, wenn der bei der Prüfung dreimal über eine Stopp-Tafel fährt. Wir haben das durchgezogen. Damit haben wir auch den Grundstein für die soliden Jahre gelegt, die danach gekommen sind. Heute ist das Verständnis da.

ballesterer: Besonders dramatisch war die finanzielle Situation bei den Aufsteigern aus den Regionalligen.

Pangl: Ja, sie waren in den seltensten Fällen gut genug aufgestellt. Meistens sind sie mit Schulden und ohne die nötige Infrastruktur in die zweite Liga gekommen und haben gehofft, dass dort der große Geldregen kommt. Ich hätte mir mehr Engagement von den Landesverbänden erhofft. Aber das ist nicht passiert, der Druck von unten war zu groß. Viele wollten aufsteigen, koste es, was es wolle. Dem haben sich die Verbände gebeugt. Wir haben für die Aufstiegsaspiranten Seminare organisiert, damit sie ungefähr wissen, was auf sie zukommt. Dann sind die Dorfkaiser oft mit offenem Mund dagestanden und haben gesagt: "Das haben wir aber nicht gewusst." Trotzdem haben einige das mit dem ausgeglichenen Haushalt nicht richtig verstanden.

ballesterer: Was meinen Sie?

Pangl: Ein Beispiel aus Bad Aussee: Das waren unglaublich engagierte Leute, die den Verein geführt haben. Wir haben den Klub einmal im Rahmen der "Heute für morgen"-Tour besucht, die zweite Liga hat damals ja auch so geheißen. Sie haben uns dort ganz stolz erzählt, dass sie eine Nachwuchsmannschaft eingespart haben, weil sie sich um das Geld noch einen Spieler für die Kampfmannschaft leisten können.

ballesterer: Wie haben solche Vereine die Lizenz bekommen? Bad Aussee ist sofort chancenlos abgestiegen, zwei Jahre später hat der Verein den Spielbetrieb eingestellt.

Pangl: Sie haben die Auflagen einfach zum richtigen Zeitpunkt erfüllt. Diese Klubs haben geliefert, was von ihnen verlangt worden ist. Sie haben ja auch nicht schuldenfrei sein müssen. Das Wichtigste war, dass die folgende Saison ausfinanziert ist. Manchmal haben wir bei den Entscheidungen kein gutes Bauchgefühl gehabt, aber es ist nicht in unserer Hand gelegen.

ballesterer: Dorfvereine sind im Profifußball dieser Zeit fast zum Massenphänomen geworden. Vöcklabruck, Schwanenstadt, Untersiebenbrunn, um nur einige zu nennen. Was hat sie angetrieben?

Pangl: Ich unterstelle niemandem etwas Böses, sie haben sich einfach manchmal überschätzt. Untersiebenbrunn ist dafür ein gutes Beispiel. Der Präsident Werner Magyer war Eigentümer eines Schotterwerks, das war fast eine Dynastie. Er wollte unbedingt oben mitspielen. Ihm ist es nicht wie vielen anderen Leuten um sein Ego gegangen, er hat viel Herzblut und Geld in den Verein gesteckt. Das sollte ein Leuchtturmprojekt für die ganze Region werden, mit einem ordentlichen Unterbau und einer wunderschönen Sportanlage. Die hat der Verein gekriegt, und die Leute haben das auch angenommen. Aber es war halt nicht Wien oder Innsbruck, sondern es war das Marchfeld.

ballesterer: Woran ist es gescheitert?

Pangl: Es war alles sehr knapp kalkuliert. Wir haben unsere Auflagen nach oben geschraubt, wir wollten, dass die Vereine einen Sportdirektor und eine Bürokraft anstellen. Das war für manche Klubs eine ziemliche Keule. Und wenn dann die Gesetze des Fußballs zum Tragen kommen, man also im Abstiegskampf steckt und Geld investiert, das man nicht hat, kann es an Standorten ohne solides Fundament sehr schnell gehen.

ballesterer: Aber auch den Großen ist es nicht rosig gegangen. Angefangen hat das Jahrzehnt mit dem Konkurs des FC Tirol, den haben ein paar Jahre später auch der GAK und Sturm angemeldet. Hat Sie das als Bundesliga-Vorstand geschmerzt?

Pangl: Sturm hat es mit großen Anstrengungen ja geschafft, dem Lizenzentzug zu entgehen, und sich neu aufgestellt. Um den GAK hat es mir sehr leid getan, die Jahre mit Walter Schachner und die Spiele gegen Liverpool, das ist unvergesslich. Aber sie haben Konkurs anmelden müssen. Am Ende haben sie sich den Erfolg auf Pump gekauft, das ist nicht okay.

ballesterer: Der Verein hat sich mit Händen und Füßen gegen die Punkteabzüge und dann die Lizenzentscheidung gewehrt.

Pangl: Ich habe versucht, ihnen alles zu erklären. Ich kann mich noch gut an eine Podiumsdiskussion beim GAK im Frühling 2007 erinnern. Das hat sich angefühlt wie die Höhle des Löwen. Eine Reihe an Ex-Präsidenten war zu Gast – Rudi Roth, Stephan Sticher und Harald Fischl – und sogar der Sportstaatssekretär Reinhold Lopatka, der ja Steirer ist. Dazu fast 250 Fans, die am Anfang gejault und gegrölt haben. Am Podium waren alle gegen mich und die Liga. Sie wollten das mit den Lizenzkritierien nicht einsehen, auch Lopatka hat die Causa politisch relativiert. Aber es ist mir gelungen, den Fans zu vermitteln, warum die Liga so vorgegangen ist.

ballesterer: Wie schwer war es, eine Liga zu vermarkten, der die Großklubs abhandenkommen?

Pangl: Es stimmt schon: Wenn man sich die Namen anschaut, ist die Liga auf dem Kopf gestanden. Ried, Mattersburg und Pasching haben oben mitgespielt, während sich die Traditionsklubs schwer getan haben. In den Medien waren wir dann nicht mehr nur die Operettenliga, sondern auch die Dorfliga. Das war eine Herausforderung, gerade für die TV-Partner. Das ist nicht böse gemeint, aber einige Stadien haben ausgeschaut wie ein Fleckerlteppich. Im Fernsehen kommt es nicht so gut, wenn hinter der Tribüne ein Traktor zu sehen ist oder Fahrzeuge von lokalen Autohändlern auf der Laufbahn stehen. Auch Stahlrohrtribünen ohne Dach sind kein Genuss für das Auge. Aber das hätte Umbauarbeiten bedeutet, und die hätten Geld gekostet. Die Klubs wollten sich das nicht leisten. Martin Pucher hat dann gesagt: "Die ungedeckte Tribüne in Mattersburg passt so. Wem es nicht gefällt, soll unter die Haupttribüne gehen."

ballesterer: Wie schwierig war es, genug Geld zu lukrieren? Von 2008 bis 2014 hat die Liga "tipp3-Bundesliga powered by T-Mobile" geheißen.

Pangl: Natürlich hätte ich mir etwas anderes gewünscht. Aber dank der Treue dieser Partner haben wir es geschafft, die Einnahmen aus den Namensrechten stabil zu halten. Diesen Kompromiss haben wir eingehen müssen.

ballesterer: Hat es Dinge gegeben, mit denen Sie sich nicht durchgesetzt haben?

Pangl: Ja, viele. Es hat einige Bremser gegeben. Bei den Rasenheizungen zum Beispiel, die wollte ich schon 2009 zu einem A-Kriterium machen. Ich bin dafür auf die Barrikaden gestiegen, aber Pucher hat gesagt: "Wir brauchen das nicht. Wir spannen eine Plane auf und blasen warme Luft darunter." Die 500.000 Euro, die das höchstens gekostet hätte, waren ihm und den Präsidenten vieler anderer Klubs einfach zu teuer. Ich habe versucht, ihnen klarzumachen, dass man die Investition über die Jahre abschreiben kann und das Geld mittelfristig wieder hereinkommen wird. Aber keine Chance, ich habe auf Granit gebissen. Ich habe keine Möglichkeit gehabt, Druck auszuüben, die Regeln machen ja die Klubs selbst.

ballesterer: Hat Sie das frustriert?

Pangl: Ich hätte mir gewünscht, das wir noch mehr Dinge probieren, vor allem im Marketing und bei Social Media. Darauf hätten wir uns viel früher einlassen können. Ausschlaggebend für meinen Rücktritt war schließlich ein ausverhandelter Sponsoringdeal mit einem Wettanbieter, der der Liga jährlich mindestens drei Millionen Euro gebracht hätte. Doch die Klubs haben ihn nicht angenommen. Ich war ein Visionär, manchmal war die Zeit nicht reif dafür. Immerhin habe ich ein bisschen nachgewirkt. Die Rasenheizung ist seit 2016 in der Bundesliga verpflichtend. (Moritz Ablinger, 2.3.2022)