Reinigungsarbeit bringt oft wenig gesellschaftliche Anerkennung, sagt Wimbauer. Zudem werde die Arbeit meist nach wie vor von Frauen gemacht.

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Prekäre Arbeit hat in den vergangenen Jahren zugenommen, sagt die deutsche Soziologin und Geschlechterforscherin Christine Wimbauer. Das wiederum habe Auswirkungen auf die Stabilität unserer Beziehungen. Für ihr Buch "Prekäre Arbeit, prekäre Liebe", das sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Mona Motakef veröffentlicht hat, befragte sie Singles und Paare in prekärer Beschäftigung zu ihrer Arbeit und ihrem Privatleben. Ihre Erkenntnis: Wir sollten nicht nur Arbeit künftig besser absichern, sondern auch unser Verständnis von Liebe überdenken.

STANDARD: Was haben Arbeit und Liebe miteinander zu tun?

Wimbauer: Arbeit und Liebe, beziehungsweise Erwerbsarbeit und Paarbeziehung, sind in unserer Gesellschaft zentrale Quellen für Anerkennung. Sie sind beide sehr stark davon geprägt, was in unserer Gesellschaft als normal gilt: eine lebenslange Vollzeit-Erwerbsarbeit, ein "normales" Familienmodell, die Idee der romantischen Liebe. Ist die Arbeit prekär, kann das in den Beziehungen zu Konflikten, Spannungen und Streit führen, etwa weil man sich Sorgen macht um die eigene Zukunft und Existenz. Einige Personen, vor allem Männer, mit denen wir gesprochen haben, gaben an, dass sie befürchten, für Partnerinnen nicht mehr attraktiv zu sein, wenn sie zu wenig verdienen. Frauen wiederum, die sehr viel Sorgearbeit für Kinder, Angehörige oder Ex-Partner leisten, sagen, dass ihnen kaum mehr Zeit für sich selbst bleibt.

STANDARD: Prekäre Jobs führen also eher zu unsicheren Beziehungen?

Wimbauer: Nicht immer. Wir haben auch mit Paaren gesprochen, die diese Belastungen aushalten und ausgleichen können. Bei diesen war die gemeinsame Vorstellung als Paar sehr stark. Oft kommt es durch prekäre Arbeit aber zu mehr Ungleichheit zwischen den Partnern, wer Sorge- und wer Erwerbsarbeit leistet, und zu einer stärkeren Belastung für beide.

STANDARD: Was verstehen Sie unter prekären Jobs genau?

Wimbauer: Darunter fällt Beschäftigung, die schlecht bezahlt, unsicher, gesundheitlich bedenklich ist, wenig anerkannt wird und generell schlechte Arbeitsbedingungen aufweist. Das sind sehr oft typische Frauenberufe, darunter Pflege-, Sorge-, Erziehungs-, aber auch Einzelhandels- und Putzarbeit. Einige Menschen, die in prekären Jobs arbeiten, ziehen sich sozial zurück, weil sie sich schämen, zu wenig Geld zu haben, viele haben Angst, nicht mehr mithalten zu können oder ihren Job zu verlieren.

Christine Wimbauer ist Soziologin und Geschlechterforscherin an der Humboldt-Universität zu Berlin.
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STANDARD: Und von prekären Jobs gibt es heutzutage mehr?

Wimbauer: Prekäre Arbeit gab es grundsätzlich schon immer. Weibliche Arbeit ist beispielsweise schon seit ewigen Zeiten prekär. Damals ist es allerdings nicht so sehr aufgefallen. Seit nun auch mehr Männer betroffen sind, ist das Thema mehr in das gesellschaftliche Bewusstsein geraten. Wir sehen die Entwicklung zum Teil an den sinkenden Durchschnittseinkommen, an dem sinkenden Anteil an Menschen, die in Vollzeit beschäftigt sind, und der generellen Flexibilisierung des Arbeitsmarkts.

STANDARD: Sie sagten, Erwerbsarbeit sei für viele Menschen eine zentrale Quelle für Anerkennung. Warum?

Wimbauer: Wir leben in einer sehr erwerbszentrierten Gesellschaft. Gerade hochqualifizierte Menschen suchen oft stark nach beruflicher Anerkennung, weil ihnen mit dem Job die persönliche Selbstverwirklichung versprochen wird. Und wir alle streben nach einer gewissen Anerkennung. Dieses Streben kann jedoch so groß werden, dass es schädlich wird. Wenn immer nur die Arbeit wichtig ist, kann das Beziehungen und die eigene Gesundheit zerstören. Das kann im hochqualifizierten Bereich um der Karriere willen passieren, aber auch im prekären Bereich: nämlich dann, wenn man genug Geld verdienen muss, um über die Runden zu kommen. Vor allem im hochqualifizierten Bereich wäre es angebracht, dass die Menschen nicht zu sehr falschen Arbeitsversprechen nachlaufen, eine berufliche "Nichtanerkennungsresistenz" entwickeln und versuchen, mehr Anerkennung in sich und ihren Beziehungen zu finden. Menschen, die nicht oder prekär beschäftigt sind, fehlt hingegen meist überhaupt die berufliche Anerkennung, und jene, die Kinderarbeit und andere Sorgearbeit leisten, werden für diese Arbeit viel zu wenig anerkannt.

STANDARD: Wir streben teils zu sehr nach Anerkennung im Beruf und bekommen sie in anderen Arbeiten zu wenig?

Wimbauer: Ja, aber das ist nicht nur ein individuelles, sondern vor allem ein gesellschaftliches Problem. Prekäre Beschäftigung müsste besser abgesichert werden: mithilfe höherer Bezahlung, mit menschenwürdigen und nicht gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen. Sorge und Pflege müssen zur Grundlage der Gesellschaft werden. Dafür brauchen wir neue Arbeitsmodelle: etwa eine 32-Stunden-Woche als Normalarbeitsmodell. Damit würde auch Zeit bleiben für andere Dinge: für Selbstsorge, Sorge für andere Menschen, für Gesundheit und Freizeit und Muße, die jeder Mensch braucht.

STANDARD: Was halten Sie von dem Vorschlag, Sorgearbeit künftig zu entlohnen?

Wimbauer: Diese Debatte existiert bereits seit den 1970er-Jahren. Sorgearbeit sozial abzusichern muss nicht bedeuten, dass wir jedem 2.000 Euro im Monat geben, der Sorge leistet. Es gibt auch viele andere Maßnahmen, die wir setzen könnten: mehr Kindergeld, mehr Pflegegeld, eine bessere Anerkennung von Pflegeleistung für Pensionsansprüche beispielsweise. Wir sollten die soziale Sicherung bedarfsorientierter machen, wie etwa in Skandinavien. Dort hängt die soziale Absicherung nicht davon ab, wie viel ich ins System einbezahlt habe, sondern ich bekomme so viel Geld, wie ich für eine Existenz brauche – was in etwa der Idee eines existenzsichernden Grundeinkommens entspricht. Und wir müssen Sorgearbeit solidarischer gestalten: in den Paaren, zwischen Männern und Frauen, aber auch in der Gesellschaft.

STANDARD: Sie haben auch zum Thema Co-Elternschaft geforscht, also jenem Familienmodell, bei dem zwei oder mehr Menschen eine Familie gründen, ohne in einer Partnerschaft zu sein. Welche Vorteile haben solche Modelle?

Wimbauer: Viele versprechen sich von der Co-Elternschaft eine Befreiung von Geschlechterungleichheiten und patriarchalen und heteronormativen Zwängen. Es eröffnet mehr Menschen die Möglichkeit, eine Familie zu haben – beispielsweise könnte ein lesbisches Paar gemeinsam mit einem Mann eine Co-Elternschaft gründen. Wenn es mehr Eltern gibt, kann das auch gut sein für Kinder: Es gibt mehr Ansprechpartner, und irgendjemand hat immer Zeit und Lust auf die Kinder. Im Gegenzug muss man sehr viel planen und absprechen, was herausfordernd sein kann. Und es gibt leider immer noch eine rechtliche und soziale Diskriminierung zwischen den Beteiligten.

STANDARD: Verändern diese Modelle wirklich etwas an den Geschlechterungleichheiten?

Wimbauer: Sie schaffen Geschlechterungleichheiten leider nicht ab: Auch in der Co-Elternschaft leisten Frauen oft mehr Sorgearbeit. Gleichzeitig haben sich die Ungleichheiten seit der Pandemie in allen Beziehungsmodellen noch verstärkt: Es waren vor allem Frauen, die ihre Arbeitszeit reduziert und ihre Karriere zurückgestellt haben, um mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen. Das macht mir Sorgen, weil wir da schon weiter waren. Wenn wir dieser ungleichen Belastung nicht gemeinsam entgegenwirken, sehe ich keine positive Zukunft.

STANDARD: Wie sehr werden sich Familien- und Beziehungsmodelle künftig verändern?

Wimbauer: Die Familien werden pluraler werden. In Deutschland sind gleichgeschlechtliche Ehen bereits gleichgestellt. Es wird sich noch weiterentwickeln: dass Trennungen noch leichter sind, dass man auch freundschaftszentriert leben kann und dass es auch mehr Patchwork-Familien geben wird. Vielleicht helfen uns diese Ansätze auch dabei, uns von überbordenden Ansprüchen aneinander zu befreien: dass man, wenn man sich liebt, füreinander die Welt sein muss. Das geht mit sehr hohen Erwartungen einher, die normale Menschen dauerhaft gar nicht erfüllen können. Die romantische Liebe ist eine schöne Idee, aber sie ist auf lange Sicht nicht leicht umsetzbar. Wir müssen uns davon befreien zu glauben, wir hätten etwas falsch gemacht, nur weil die Liebe nicht immer da ist. (Jakob Pallinger, 6.3.2022)