Erstangeklagte Jennifer Klauninger soll dafür verantwortlich sein, dass bei einer Anti-Maßnahmen-Demo eine Regenbogenfahne zerrissen wurde. Sie sagt, es sei eine "Kinderschänderfahne" gewesen.

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Wien – "Weinende Mütter" seien dafür verantwortlich, dass Jennifer Klauninger, Manuel M. und ein zweiter Mann am 5. September 2020 im Wiener Resselpark bei einer Kundgebung gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie eine Fahne zerrissen haben, sagt Klauningers Anwalt Michael Drexler in seinem Eröffnungsplädoyer. Denn diese besorgten Bürgerinnen hätten erkannt, dass in der Mitte der Regenbogenfahne, die auf der Bühne zu sehen war, ein Doppelherz prangte – und das Stoffstück damit eine "Kinderschänderfahne" sei, wie Drexler ausführt. Aktivistinnen und Aktivisten der LGBT-Community sahen das anders und zeigten Klauninger und M. wegen Verhetzung an – schließlich sei die Regenbogenfahne ein Symbol der nicht-heterosexuellen Menschen.

Richter Thomas Kreuter muss nun also darüber entscheiden, ob die beiden Angeklagten bis zu drei Jahre in Haft müssen. Dass sich die Sache in der Maßnahmenkritikerinnenszene abspielt, merkt man bereits vor Beginn des Prozesses. Einer der Besucher hat keine Maske auf. Als er von einem Richter darauf angesprochen wird, kramt er ein Attest aus seiner mit "Presse" beschrifteten Bauchtasche hervor, wonach ihm eine mechanische Barriere im Gesicht aus gesundheitlichen Gründen nicht zugemutet werden könne. Ein anderer Mann trägt ein Plexiglasvisier, ein dritter zwar eine Maske, allerdings mit dem oberen Rand knapp über der Oberlippe.

Attest für Maskenbefreiung

Die 30-jährige Erstangeklagte hält dagegen überraschend lange durch, erst nach den Eröffnungsplädoyers gibt sie bekannt, dass ihr mit der Maske so schwindlig werde, dass sie "gar nicht klar denken könne", und legt dem Richter zwei Diagnosen vor. Nachdem Kreuter die Schriftstücke aufmerksam studiert hat, darf die Arbeitslose ihre Maske abnehmen.

In der Sache bekennen sich beide nicht schuldig. Kreuter spielt zunächst die Videoaufnahme des Vorfalls ab. Zu sehen ist, wie Klauninger mit sich beinahe überschlagender Stimme auf der Bühne steht und ruft "Ich werde keine Kinderschänder akzeptieren!" und "Ihr seid nicht Teil unserer Gesellschaft!". Dann gibt sie M. und dem zweiten Mann, die die Fahne an ihren Enden halten, das Kommando, sie zu zerreißen.

Der 44 Jahre alte Zweitangeklagte M. gibt als Beruf "freier Journalist" an und behauptet von sich, Experte für Kindesmissbrauch zu sein und als solcher auch für das heimische Innenministerium tätig zu sein – auf schriftliche Anfrage des STANDARD erklärt das Innenressort dazu, dass der vierfach vorbestrafte M. nicht im Buchhaltungsprogramm des Bundes aufscheine und hätte daher nie Zahlungen erhalten können.

Ausschweifende Diskussion um Regenbogenfahne

Wort- und materialreich erklärt der jüngst als Gast bei einer Feier von Gottfried Küssel aufgefallene M., warum es sich um kein Symbol der LGBT-Bewegung handle. Es geht um Farbwerte, die Zahl der Streifen und vor allen Dingen um das Herzsymbol in der Mitte. M. und Klauninger zitieren aus angeblich geleakten FBI-Informationen, wonach dieses Herz das Symbol sei, an dem sich Kinderschänder untereinander erkennen. Kurz darauf sagen sie allerdings wieder, dass diese Gruppe ihre Symbole ständig wechsle, um nicht enttarnt zu werden.

Homosexuellenfeindlich könne er aufgrund seiner eigenen sexuellen Orientierung ohnehin nicht sein, weist M. den Verhetzungsvorwurf von Staatsanwalt Martin Ortner weit von sich. Unter den rund 400 Teilnehmern der fraglichen Kundgebung seien auch Homosexuelle gewesen, sekundiert Klauninger, die hätten alle verstanden, dass sich die Aktion gegen Kinderschänder und nicht gegen Homo- oder Bisexuelle gerichtet habe.

"Können Sie sich vorstellen, dass jemand, der dort zufällig vorbeigeht, das nicht weiß?", will der Ankläger wissen. Beide können sich das gar nicht vorstellen, und falls doch, sei es ja ihre Aufgabe, die Bevölkerung aufzuklären, lautet die Argumentation. Außerdem hätten damals deutsche Manifestanten die Veranstaltung quasi gekapert und seien mit der kaiserlichen deutschen Reichskriegsflagge und eben der angeblichen "Kinderschänderfahne" auf die Bühne gekommen.

Richter glaubt an Irrtum der Angeklagten

Nach fast zweieinhalb Stunden spricht der ungewöhnlich geduldige Richter Kreuter die beiden im Zweifel frei. "Ich gehe sehr wohl davon aus, dass eine Regenbogenfahne zerrissen wurde und eine Verbindung zu Kinderschändern hergestellt wurde, das Delikt der Verhetzung wäre damit inhaltlich erfüllt", begründet der Richter. "Aber ich kann nicht mit der für ein Strafverfahren notwendigen Sicherheit nachweisen, dass Sie nicht einem Fehlurteil unterlegen sind und die Fahne als Symbol für die rechtlich nicht geschützte Gruppe der Kinderschänder gehalten haben." Während sich Klauninger und M. jubelnd umarmen und der Zweitangeklagte sich danach verächtlich über die anwesenden "Maskenmedien" äußert, gibt Staatsanwalt Ortner keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 2.3.2022)