
Begeisterter Applaus für Goerne und Hinterhäuser im Konzerthaus.
Wien – 90 Minuten Eskapismus am Abend in Zeiten wie diesen: ja, bitte, nichts wie hin. Als Fluchthelfer aus der erschreckenden Realität fungierten im Konzerthaus Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser, als Transportmittel wählten der Bariton und der Pianist das Liedgut von Robert Schumann.
An Goernes Stimme können sich verzagte Gemüter laben. Was der Mund für den Magen, ist das Ohr für die Seele: ein Eingangsportal für Genussmittel. Wie ein nährender Trank ergossen sich Goernes güldene Tonströme in die Innenwelten der Zuhörenden und erhellten diese. Selbst wenn der Deutsche im Mozart-Saal eigentlich überwiegend von Düsterem erzählte: von gebeugten Rosen, dunklen Fichten, sternlosen Nächten und klagenden Quellen (in den "Sechs Gedichten von Lenau") oder vom traurigen Schicksal der Königin Maria Stuart. Eine schaurige Ballade über das Schicksal einer totgebissenen "Löwenbraut" gab’s als Zwischenmahlzeit.
Hysterische Überdeutlichkeit
Goernes Singen war ein Wiegen und ein Wogen, ein Gleiten, Schweben, ein steter Fluss; mit seiner linken Hand zeichnete der 54-Jährige agogische Bögen, melodische Linien und dynamische Schwellungen nach. Schillernd sein Vibrato zu Beginn, quecksilbrig die Beweglichkeit seines Baritons, der bis zu opernhafter Wucht anwachsen konnte.
Ihm zur Seite agierte Markus Hinterhäuser vom ersten Ton an samtig, bedächtig, mit warmem Ton und vollkommen entspannt. Liedbegleiter neigen im Rahmen ihrer heruntergedimmten Waldmüller-Welten der hypersensiblen Servilität im Detail oft zu einer hysterischen Überdeutlichkeit, zu einer auffrisierten Manieriertheit. Nicht so der Intendant der Salzburger Festspiele. Da war alles Selbstverständlichkeit, war gemeinsames, freies Schwingen, Klingen und Erzählen. Ein Maybach auf entspannter Fahrt. Wurde die "Mondnacht" im Liederkreis op. 39 damit etwas zu schleppend durchfahren? Begeisterter Applaus für zwei Männer, die ihr Publikum mit der Welt für eineinhalb Stunden wieder in Einklang gebracht hatten. (Stefan Ender, 2.3.2022)