Ukrainische Zivilsten basteln Brandflaschen in Uzhhorod, Westukraine

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Wien – Was tun, wenn "der Russ’" kommt? Diese Frage spielte auch in der österreichischen Verteidigungspolitik immer wieder eine Rolle – und die Antwort, dass man da ohnehin nichts dagegen machen könnte, wurde während des Kalten Kriegs nicht akzeptiert. Dass eine Armee, wie sie nach 1955 für eine Grenzverteidigung aufgestellt worden war, chancenlos wäre, war um 1970 klar – und die Antwort war die von General Emil Spannocchi (1916–1992) konzipierte "Verteidigung ohne Selbstzerstörung".

Geplantes Milizheer von 300.000 Mann

Im Landesverteidigungsplan wurde sie ab 1975 als "Raumverteidigung" basierend auf einem später auch in der Bundesverfassung verankerten Milizsystem für das Bundesheer festgeschrieben.

Dazu sollten bis zu 300.000 Mann unter Waffen genommen werden, die einen ins Land eindringenden Feind in Schlüsselzonen aufhalten und abseits davon durch "Nadelstich-Operationen" abnützen sollten. Einigen dieser – immer wieder beübten – Milizsoldaten wurden sogar die Sturmgewehre mit nach Hause gegeben.

Bewaffnete Zivilisten sind noch keine Miliz

Erinnert das an die derzeitige Lage in der Ukraine? Teilweise, aber mit einem wesentlichen Unterschied: In der Ukraine werden derzeit Zivilisten bewaffnet, die eben nicht Teil eines regulären Militärs sind. Das hat mehrere Folgen:

  • Im Kriegsvölkerrecht gelten bewaffnete und kämpfende Zivilisten als Freischärler – sie verlieren sofort ihren rechtlich gebotenen Schutz als Zivilisten. Sie sind aber auch keine Kombattanten (wie organisierte Milizsoldaten), die an die Genfer Konvention gebunden sind, von dieser aber auch (etwa in Kriegsgefangenschaft) geschützt werden.

  • Militärisch unerfahrene Kämpfer gefährden sich und ihre Mitstreiter womöglich mehr als den Feind. So lernen in der Ukraine zwar viele Zivilisten den Bau von Brandflaschen ("Molotowcocktails") – diese aber im Panzernahkampf zur Wirkung zu bringen erfordert Übung, Entschlossenheit und Mut.

  • Was in den ukrainischen Großstädten möglicherweise droht, ist ein Häuserkampf in bewohntem Gebiet. Solche Kampfverfahren werden auch im österreichischen Bundesheer nur mit längerdienenden Soldaten (etwa in den Kaderpräsenzeinheiten) geübt. Zwar ist der Verteidiger im Vorteil – ein Angreifer braucht für die sichere Inbesitznahme einer Strecke von 100 Metern womöglich einen ganzen Tag, der Kampf ist also sehr zeit- und materialaufwendig. Aber der Verteidiger muss auf Gas- und Stromleitungen, auf Sekundärsplitterwirkungen und die Besonderheiten des Nahkampfs Rücksicht nehmen – und zahlt womöglich einen hohen Preis an unbeteiligten zivilen Opfern.

  • Schließlich ist bei der Ausgabe von Waffen an die Zivilbevölkerung zu bedenken, dass diese – anders als bei einer straff geführten Miliz – später kaum komplett wieder eingesammelt werden können. Sie landen dann womöglich in den Händen der organisierten Kriminalität. (Conrad Seidl, 3.3.2022)