Die Autoindustrie fährt von der Chip- und Lieferkettenkrise nahtlos in die Sanktionskrise. Nach der Verschärfung der Sanktionen gegen Russland geht es Schlag auf Schlag: BMW ist im Motorenwerk in Steyr und in Dingolfing mit Produktionsausfällen konfrontiert, weil Vormaterial und Zulieferteile aus der Ukraine fehlten, teilte der bayerische Autobauer mit. Man sei mit Lieferanten in intensiven Gesprächen. In Steyr wurde Kurzarbeit angemeldet, die je nach Lage bis zu 3200 Beschäftigte betreffen kann.

Steyr Automotive stellt am Donnerstag vorübergehend seine gesamte Produktion bis Mitte nächster Woche ein. Grund sind Lieferprobleme bei Kabelbäumen aus der Ukraine.

Bei Porsche in Leipzig stehen die Bänder bereits. Die Produktion stehe von Mittwoch bis Ende nächster Woche, teilte ein Sprecher mit. In Zuffenhausen werde die Produktion noch aufrechterhalten. "In den kommenden Tagen und Wochen werden wir auf Sicht fahren und die Lage kontinuierlich bewerten."

Kabel aus der Ukraine

Die Ukraine ist ein wichtiges Herkunftsland von Kabelbäumen. Der deutsche Zulieferer Leoni produziert in zwei Werken im Westen des Landes, auch zahlreiche andere Unternehmen stellen dort her. Kabelbäume gehören zu Bauteilen in Autos, die nicht nachgerüstet werden können – anders als etwa Halbleiter, die notfalls später eingebaut werden können.

Verfällt der russische Rubel, werden in Russland weniger Mercedes gebaut und abgesetzt.
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Auch VW-Werke in Sachsen pausieren für mehrere Tage, weil aus der Westukraine zugelieferte Kabelsätze fehlten. Zudem kündigte der Weltautokonzern weitere Ausfälle in Wolfsburg an, ebenso in Hannover sowie in einigen internen Komponentenfabriken. In Emden in Niedersachsen ist die Lage unklar. Wie stark sich Schockwellen und Verwerfungen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine auswirken werden, ist kaum abschätzbar. Die Kosten dafür – Frieden und Rechtsstaatlichkeit sind auch für die Industrie nicht zum Nulltarif – werden Kunden und Beschäftigte mehr und mehr spüren. Laut dem Branchenverband VDA gibt es 49 Fertigungsorte deutscher Zulieferer und Hersteller in Russland und der Ukraine. Die Problemlagen sind vielschichtig.

Halbfertiges auf Halde

Aufgrund des Mangels an Mikrochips staute sich vielerorts die Produktion, es haben sich "Halden" an halbfertigen Wagen aufgebaut, die teils erhebliche Absatzeinbußen nach sich zogen. Nun kommt Lebensgefahr für Beschäftigte in der Ukraine hinzu – und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland.

Inwieweit Fabriken in Russland im Fall von Handelsbeschränkungen jenseits von Technologie-Exporten noch mit Vorprodukten versorgt werden können, ist völlig ungeklärt. Branchenexperte Stefan Reindl vom Institut für Automobilwirtschaft in Geislingen erwartet, dass Unternehmen mit lokalen Niederlassungen "produktionsseitig in Bedrängnis kommen". Durch die globale Vernetzung der Zulieferebene könnte die Autoproduktion aber auch hierzulande beeinträchtigt werden.

Das alles vor dem Hintergrund eines drohenden Rauswurfs weiterer russischer Banken aus dem Swift-System. Das könnte die Bezahlung von Im- und Exporten ins Stocken bringen, zu Ausfällen führen. Dazu kommt, dass Rohstoffe wie Kupfer, Nickel, Stahl, Erze und Energie teure Mangelware werden. Die für den Klimaschutz nötige Ablöse von Gas, Öl und Kohle in der industriellen Produktion wird noch schwieriger – und teurer. Denn Mangel treibt die Preise hoch. Das gilt auch das für Katalysatoren notwendige Palladium aus Russland. In einer Umfrage des deutschen Ifo-Instituts nannten fast 90 Prozent der Firmen in der Autoindustrie Probleme beim Einkauf als Bremsklötze.

Steyr Automotive stellt am Donnerstag vorübergehend seine gesamte Produktion bis Mitte nächster Woche ein. Grund sind Lieferprobleme bei Kabelbäumen aus der Ukraine.
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Fallen Fabriken längere Zeit aus, werden Abschreibungen unumgänglich. Noch wollen die Autobauer nicht öffentlich abschätzen, ob ihre Sach- und Finanzanlagen im Fall einer längeren Konfrontation eine Zukunft haben. Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management sagt: "Die Hersteller müssen Investitionen in Russland komplett neu bewerten." Reindl ist überzeugt: "Russland und die Ukraine werden für lange Zeit als Absatzmärkte ausfallen." Allzu bedeutend ist Russland als Markt ohnehin nicht mehr.

Russlands Automarkt fällt aus

Denn mit den Sanktionen nach der Krim-Okkupation im Jahr 2014 brach der russische Automarkt 2015 um 36 Prozent auf 1,6 Millionen Pkws und leichte Nutzfahrzeuge ein, um sich bis 2021 wieder auf 1,67 Millionen Verkäufe zu erholen, rechnet Ferdinand Dudenhöffer vom Car-Center der Uni Duisburg-Essen vor.

Der bedeutendste Autobauer mit 563.300 verkauften Neuwagen oder 34 Prozent war zuletzt die großteils auf Renault-Dacia-Technologie (Lada, Niva) aufbauende Renault-Nissan-Gruppe, die in Joint Ventures mit Awtowas produziert. Stoppt Frankreich diesen Transfer, werden Erinnerungen an Zeiten der UdSSR wach. Der Export von Fahrzeugen nach Russland dürfte zunächst ganz zum Erliegen kommen. (Luise Ungerboeck, 3.3.2022)