In der Pandemie wurden zahlreiche Hunde angeschafft. Inzwischen sind viele von ihnen wieder im Tierheim gelandet. Auch das Zurechtfinden im sich ständig verändernden Alltag setzt den Vierbeinern zu.

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Stuart, schwarz-weißes Flauschefell, hopst entlang des Käfiggitters hin und her. Dann hält das Kaninchen kurz still, streckt sein Näschen Richtung Besucher und schnuppert angestrengt. Aus dem Nachbargehege starren kreisrunde, dunkle Augen aus einem reglosen braun-weißen Knäuel mit zwei spitzen Ohren heraus. Langsam dreht es den Betrachtern sein zerrupftes Hinterteil zu. Das Fell wachse nach einer Rasur gerade nach, aber Hermi sei ein ganz Schöner, versichert Mario Hernuß.

Hernuß leitet die Kleintierabteilung im Tierquartier in Wien-Donaustadt. Derzeit wacht er dort über fast 300 Tiere. Der Kaninchenbestand ist seit Sommer letzten Jahres dramatisch angestiegen. Hermi und Stuart haben also außerordentlich viel Konkurrenz: Normalerweise wohnen rund 40 Kaninchen vorübergehend hier, so viele nahm man heuer allein seit 1. Jänner auf. Derzeit liegt der Bestand bei 70.

Im Tierquartier ist man sich sicher: Diese hohe Zahl hängt mit der Pandemie und den Lockdowns zusammen. Das Alter der Tiere – die meisten zwischen einem halben Jahr und zwei Jahren – lässt darauf schließen. Genaueres weiß man nicht: Das Tierquartier in der Donaustadt nimmt nur Fund- und herrenlose Tiere an, direkte Abgaben von Besitzern sind dort nicht möglich.

Hype um Tiere

In Phasen der Kontakt- und Ausgehbeschränkungen, die oft über lange Zeit zu Hause verbracht wurden, wuchs die Sehnsucht nach Haustieren bei vielen Menschen enorm. "Wir haben ganz extrem gemerkt, dass im Lockdown die Anfragen nach Tieren stark gestiegen sind. Sobald ein Lockdown vorbei war, ist das Interesse aber sofort wieder zurückgegangen", sagt Nora Sudra vom Tierheim in Linz. Beim Tierquartier meldeten sich denn auch zahlreiche Interessenten für Pflegetiere, also Tiere auf Zeit. Kein Wunder, dass sich der Tierbedarfshandel voriges Frühjahr über wachsende Umsätze freuen konnte. Mehr Tierabgaben waren damals beim Tierheim von Tierschutz Austria, ehemals Wiener Tierschutzverein, noch kein Thema.

Dieses Bild hat sich im Laufe des vergangenen Jahres dramatisch gedreht. So hätten im Juni zeitweise fast viermal so viele Hundebesitzer beim Heim in Vösendorf angefragt, weil sie erwogen haben, ihr Tier dort abzugeben, sagt Tierschutz-Austria-Sprecher Jonas von Einem. "Der ‚normale‘ Durchschnitt an Abgabeanfragen pro Woche beträgt knapp zehn", fügt er hinzu. Nicht alle Anfragen mündeten in Aufnahmen, allein aufgrund mangelnder Kapazitäten. In manchen Fällen habe zum Beispiel auch ein Beratungsgespräch geholfen.

Im Heim an der Grenze

Vergangenes Jahr wurden insgesamt rund 2.000 Haustiere von Tierschutz Austria aufgenommen, aber weil die Tiervergabe zeitweise aufgrund allgemein geltender Kontaktbeschränkungen stillstand, konnten nur 1.321 Tiere an neue Besitzer vermittelt werden. Im Jahr davor waren es bei ähnlich viele Aufnahmen noch rund 300 Vermittlungen mehr. Derzeit wohnen 1.200 Tiere in der Einrichtung – damit sei "die Obergrenze" erreicht, "die wir wirklich qualitativ hochwertig versorgen können", sagt von Einem.

Viele junge Hunde kämen von dubiosen Züchtungen aus dem Ausland. Oft seien die Welpen verhaltensauffällig oder hätten medizinische Probleme. Das beobachtet auch Wiens Tierschutzombudsfrau Eva-Maria Persy. Die Suchanfragen nach Welpen im Internet haben Auswertungen von Persy zufolge seit Beginn der Pandemie um 120 Prozent zugenommen. Die Menschen hätten auch während der Lockdowns möglichst schnell ihr Wunschtier haben wollen, statt umsichtig und ohne Zeitdruck eines auszuwählen, gibt Persy zu bedenken.

"Nicht mehr so putzig"

Das gilt auch für die Anschaffung kuscheliger Katzenbabys. Ganz besonders spürt man die Folgen derzeit im Linzer Tierheim. Dort ist die Katzenabteilung "sehr gut ausgelastet", sagt Nora Sudra von der Tiervergabe. 70 Katzen zählt die Einrichtung. "Das ist sehr viel. Der Februar ist normalerweise die ruhigste Zeit bei uns", sagt Sudra. Meist seien die Tiere ein halbes bis ein Dreivierteljahr alt. "Dann sind sie pubertierend und nicht mehr so süß und putzig."

Dass viele Käufer nach kurzer Zeit mit ihrem Haustier wieder überfordert waren, lässt sich auch aus der Zahl der Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, die in Wien Verwaltungsstrafverfahren nach sich zogen, herauslesen. Laut Persy stieg diese von 2020 auf 2021 um zirka 40 Prozent – und nach der Pandemie werde wohl noch eine Vielzahl an Vergehen sichtbar, prognostiziert Persy.

Der Verein Tierschutz Austria fordert seit vergangenem Sommer in einer Petition transparente Regeln für den Onlinetierhandel sowie strengere Kontrollen der Züchter und Händler bei der Einfuhr von Tieren aus dem Ausland. Außerdem solle es mehr Aufklärung darüber geben, "was es heißt, gemeinsam mit einem Tier zu leben", heißt es in der Petition. Über 3.000 Menschen haben sie bisher unterzeichnet.

Unsichere Tiere und Menschen

Wenn sich der Alltag nach etlichen Wochen wieder weniger in den eigenen vier Wänden abspielt – die Arbeit ins Büro, die Freizeit ins Lokal oder gar auf Reisen –, dann ist für die im Lockdown angeschafften Tiere sehr vieles neu und ungewohnt.

"Unter den Folgen der Einschränkungen, unter denen wir Menschen zu leiden hatten, leiden auch die Hunde", sagt die Hundetrainerin und -psychologin Elisabeth Mannsberger, die am Stadtrand von Wien eine eigene Hundeschule betreibt und auch Fachgruppenleiterin der Tiertrainerinnen und -trainer in der Wirtschaftskammer Wien ist.

Eine Umfrage unter Wiener Tierärztinnen und -ärzten untermauert Mannsbergers Aussage: Den Veterinärs zufolge haben die Fälle von gesundheitsgefährdender Fettleibigkeit bei Hund und Katze in der Pandemie massiv zugenommen.

Mehr Hunde in Wien

Hundetrainerin Mannsbeger sieht tagtäglich in ihrer Arbeit die Folgen der Lockdowns: "Die Hunde konnten und durften weniger kennenlernen, jetzt gibt es dementsprechend viele Unsicherheiten." Aktuell hätten zahlreiche Hunde "ein massives Problem" damit, allein zu Hause zu bleiben, weil sie es schlicht nicht gewohnt sind. Oft leiden Nachbarn dann unter Dauerbellen. Hundehalterinnen und -halter seien mit ihren Tieren manchmal auch in neuen Situationen außerhalb der vier Wände überfordert. Etwa bei Ausflügen, Lokalbesuchen, dem Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Je größer die Anspannung bei Mensch und Tier, desto größer ist auch die Gefahr, dass ein Hund zubeißt. Was die Situation nicht gerade entspannt: Es gibt mehr Hunde in der Großstadt. Persy verzeichnet um ein Viertel mehr Neuanmeldungen von Hunden in Wien.

Mannsberger betont, wie wichtig es sei, sich vor der Anschaffung eines Haustiers sehr genau beraten zu lassen. "Man muss sich fragen: Welches Tier passt zu mir? Passt die Verantwortung zu mir?"

Lebenslang lernfähig

Ist der Hund schon da, der veränderte Alltag überfordert Mensch und Tier aber, gibt es Hoffnung: "Hunde lernen bis ins hohe Alter", sagt Mannsberger. Je länger sich bestimmte Erfahrungen verankert haben, desto mehr Geduld ist aber gefragt. Im Umkehrschluss bedeutet das: "Je schneller man sich Hilfe holt, desto schneller kommt man auch zum Erfolg." Eine Einzelstunde bei qualifizierten Hundetrainerinnen und -trainern koste rund 50 bis 80 Euro. Je nach Problemstellung können auch Kurse in Kleingruppen helfen.

Trotz der vielen skizzierten Probleme passierte Corona-bedingt hie und da aber auch etwas Positives: So konnten im ersten Pandemiejahr gleich drei "Langsitzer" aus dem Tierheim von Tierschutz Austria in ein neues Zuhause ziehen. Darunter war Luna, eine belgische Schäferhündin, die seit sechs Jahren in Vösendorf wohnte. Lunas langjährige Patin nahm das Tier ganz zu sich. Während eines Lockdowns. (Gudrun Springer, 3.3.2022)