Alexej Mordaschow ist verärgert: Der reichste Mann Russlands, von Forbes im vergangenen Jahr noch auf 29,1 Milliarden Dollar taxiert, ist auf der Sanktionsliste der EU aufgetaucht. "Ich verstehe nicht, wie die Sanktionen gegen mich der Regulierung des Konflikts in der Ukraine dienen", ließ er durch einen Vertreter den Medien ausrichten. Er sei "weit weg von der Politik" und habe viele Jahre darauf hingearbeitet, die Zusammenarbeit zwischen Russland und Europa zu stärken.
Sein Konzern Severstal hat die Lieferungen an die EU mit sofortiger Wirkung eingestellt. die Ladungen seien, egal an welcher Stelle, ob "am Zoll oder vor der Lagerhalle der Klienten", retourniert worden, heißt es. Nun würden diese Lieferungen in andere Märkte umorientiert.
Mordaschow ist nur einer von dutzenden betroffenen Oligarchen. Jahrelang haben sie das finanzielle Rückgrat des Systems Putin gebildet. Einige von ihnen wie Mordaschow, aber auch Roman Abramowitsch, Michail Fridman oder der schon länger sanktionierte Oleg Deripaska waren schon vor dessen Machtantritt Milliardäre mit teilweise engen Verbindungen zum Kreml, die auch später nicht abrissen.
Aber Putin brachte auch eine neue Generation von Oligarchen in führende Positionen der Wirtschaft. Die Milliardäre Gennadi Timtschenko, Arkadi Rotenberg und Juri Kowaltschuk waren schon in den 90er-Jahren mit dem damaligen Vizebürgermeister von Sankt Petersburg vertraut und verdanken ihre Milliarden Putins Aufstieg in den Kreml.
Putin-Spezis lenken Staatsbetriebe
Andere Vertraute Putins sind offiziell keine Dollarmilliardäre, doch als Chefs der staatlichen Industrie- und Rohstoffholdings verfügen Alexej Miller, Igor Setschin, Nikolaj Tokarjew und Sergej Tschemesow über nicht weniger Macht und Finanzkraft als die offiziellen Milliardäre, zumal investigative Recherchen über Korruption – unter anderem von Alexej Nawalny – auch deren luxuriösen Lebenswandel mit Villen und Yachten offenbart haben.
Eines war beiden Oligarchen-Generationen gemeinsam: Sie mussten für ihren Reichtum eine Gegenleistung an den Kreml-Chef errichten. Wichtigste Bedingung ist absolute Loyalität. Wer sich nicht daran hielt, konnte ganz schnell aus dem Kreis der Auserwählten ausgeschlossen werden und stattdessen im Visier der Ermittlungsbehörden landen. Boris Beresowski, der Putin einst zur Macht verhalf, und Michail Chodorkowski, der 2003 gegen ihn opponierte, bekamen das in aller Härte zu spüren.
Die Beweise dieser Loyalität konnten vielfältig sein. Fast alle Oligarchen spannte Putin bei der Vorbereitung "seiner" Olympischen Spiele 2014 in Sotschi ein. Auch wenn der Bau der Objekte den Oligarchen kein lukratives Geschäft versprach, wagte niemand, sich dem nationalen Projekt zu entziehen. Denn allen war klar: Was sie hier auf der Baustelle an Geld verloren, konnten sie an anderer Stelle dank lukrativer Staatsaufträge wieder hereinholen.
Kleine Gefälligkeiten
In einigen Fällen machten die Oligarchen auch die Schmutzarbeit für Putin, wenn es beispielsweise um das Kaltstellen unliebsamer Medien ging. So übernahm Alischer Usmanow schon 2006 die vorher Kreml-kritische Zeitung "Kommersant" und verklagte später Alexej Nawalny, als dieser ein Enthüllungsvideo über Putins Tandempartner Dmitri Medwedew machte. Milliardär Alexander Mamut wiederum wechselte 2014 während der ersten Ukraine-Krise die Redaktion der Internetzeitung lenta.ru aus, die konträr zur Sichtweise des Kreml berichtete.
Die Oligarchen dienten aber auch immer wieder als Finanziers für die persönlichen Gelüste des engsten Machtzirkels um Putin: So soll Oleg Deripaska einen seiner Privatjets dem nun ebenfalls auf der schwarzen Liste stehenden russischen Außenminister Sergej Lawrow und seiner Geliebten geliehen haben.
Michail Fridman wiederum, der den Krieg nun als "Tragödie" bezeichnet, wirft die EU vor, lange Zeit über seine Alfabank Projekte von Putins Tochter Maria finanziert zu haben.
Und Timtschenko machte über Nacht Putins damaligen Schwiegersohn Kyrill Schamalow – nun dito auf der Sanktionsliste – zum Dollarmilliardär, indem er einige seiner Anteile am Chemiekonzern Sibur auf ihn übertrug.
Alle diese Oligarchen haben vom System Putin profitiert und dieses als Gegenleistung jahrelang mitgetragen und mitfinanziert. (André Ballin, Bettina Pfluger, 3.3.2022)