Angestellte von Aeroflot treffen die Sanktionen härter als Sportler, sagt Peter Filzmaier.

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Daniil Medwedew, Nummer eins der Tenniswelt, und ...

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... Alexander Owetschkin, der seit 2005 in Washington die (manchmal speziellen) Eishockeyschuhe schnürt, schmücken Russlands Sport. Und Wladimir Putin schmückt sich mit ihnen. Den Krieg lehnen sie natürlich ab, doch von Putin selbst distanzieren sie sich maximal wachsweich.

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Es wäre "völlig widersinnig", sagt Peter Filzmaier, würde sich der Sport, der sich Frieden und Völkerverständigung auf seine Fahnen geschrieben hat, angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine neutral abwartend verhalten. "Wenn der Sport hier und jetzt nicht handelt, wann dann?"

STANDARD: Das Internationale Paralympische Komitee, das Russland und Belarus zunächst unter neutraler Flagge an den Paralympics teilnehmen lassen wollte, hat einen Tag später diese Entscheidung revidiert und die Aktiven beider Länder ausgeschlossen. Überrascht?

Filzmaier: Eher hätte mich überrascht, wenn sie dabei gewesen wären. Das IPC wollte sich zunächst – wie auch noch einzelne Verbände, siehe Schwimmen, siehe Tennis, siehe Radsport – mit reiner Symbolik begnügen, dagegen gab es heftige Proteste, etwa aus Deutschland. Aber reine Symbolik hat sich noch nie als effizient erwiesen.

STANDARD: Neutrale Flagge und der Verzicht auf die russische Hymne wären zu kurz gegriffen gewesen?

Filzmaier: Damit wurde Russland ja schon nach staatlich gesteuertem Doping bei Olympischen Spielen belegt. Und das hat an Putins Propaganda in Russland genau gar nichts geändert. Die Russen haben sich abgefeiert dafür, dass sie zuletzt in Peking hinter Norwegen die zweitmeisten Olympia-Medaillen holten. Sie haben extra vor allem die Gesamtzahl an Medaillen betont, nach Goldenen gerechnet wären sie ja nur an neunter Stelle gelandet, sogar hinter Österreich.

STANDARD: Das heißt, am Ausschluss nicht nur russischer Verbände und Teams, sondern auch einzelner Aktiver führte kein Weg vorbei?

Filzmaier: Die Idee des unpolitischen Sports, der neutral abwartet, ist absurd. Alle großen Weltsportverbände wie auch das IOC haben Frieden und Völkerverständigung fest in ihren Statuten verankert. Sich bei einem so klaren Bruch des Völkerrechts, einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg neutral abwartend verhalten zu wollen wäre da völlig widersinnig. Das geht sich nicht aus. Wenn der Sport hier und jetzt nicht handelt, wann dann?

STANDARD: Im Sport, aber auch in der Kultur bedeutet das de facto ein Berufsverbot für Einzelne.

Filzmaier: Dazu muss man sagen, dass die Sanktionen viele Sportlerinnen und Sportler wohl weniger hart treffen als Angestellte der Sberbank oder Stewards und Stewardessen der Aeroflot – und auch dass die Sportwelt eben wirklich ein Teil von Putins Propaganda ist. Schließlich hat er in allen Sportverbänden die wichtigen Funktionärspositionen mit Parteigängern besetzt. Und auch als Sportler und Sportlerin wirst du nur groß, wenn du Putin öffentlich positiv gegenüberstehst. Im besten Fall hast du das Glück, dich nicht öffentlich äußern zu müssen. Ein fußballerischer Nawalny, um ein wenig zu übertreiben, wird es nie zu einem großen Verein und schon gar nicht ins Nationalteam schaffen.

STANDARD: Doch wo zieht man die Grenze? Was ist mit Tennis-Superstars wie Daniil Medwedew, seit kurzem Nummer eins der Welt, oder Andrej Rublew, die längst nicht mehr in Russland leben und das ganze Jahr unterwegs sind? Was ist mit Eishockeyspielern, die seit Jahren in Nordamerika ihr Geld verdienen?

Filzmaier: Auch diese Diskussion muss man führen – auch wenn diese Einzelsportler den Krieg ablehnen und sich vielleicht sogar mehr oder weniger wachsweich von Putin distanzieren. Der Eishockeystar Alexander Owetschkin spielt seit 2005 für die Washington Capitals, natürlich hat er wie viele andere einen unbeschränkten Aufenthaltstitel. Aber er hat auch einen Instagram-Account mit Bildern, auf denen er und Putin stolz miteinander posieren. Owetschkin nennt Putin da "meinen Präsidenten", und nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine hat er einfach nur eine echte Leerformel abgesondert. Kein Wunder, dass in den USA über ihn derzeit heftig diskutiert wird. Und man stelle sich einmal vor, es kommt bei den French Open oder bei den US Open zu einem Finale Medwedew gegen Rublew – natürlich würde Putin ein solches Spiel gerade jetzt für sich instrumentalisieren. Und selbst gesetzt den Fall, dass sich Medwedew und Rublew da von Putin distanzieren, so würde das in Russland einfach nicht berichtet werden.

STANDARD: Heißt das, es sollte auch Owetschkin, Medwedew, Rublew und anderen die Teilnahme an Sportbewerben untersagt werden?

Filzmaier: Wie gesagt, die Debatte muss man führen. Wir sehen hier auch einen Informationskrieg. Und russische Sportler auszuschließen heißt letztlich auch, Putin keine Munition für seine Propaganda zu liefern. Die Washington Capitals könnten immer mehr Druck bekommen, wenn Owetschkin weiter spielt. Dazu kommt noch, dass er oder Medwedew oder, von mir aus, auch Anna Netrebko gewiss keine Härtefälle sind. Wir sprechen von Multimillionären, für die es genau 0,0 Prozent existenzgefährdend wäre, wenn sie ihren Beruf vorübergehend nicht ausüben können. Härtefälle, wie schon erwähnt, sind kleine Angestellte der Sberbank und von Aeroflot.

STANDARD: Hat es Sie überrascht, dass insgesamt die Sanktionen im Sport relativ flott gesetzt waren?

Filzmaier: Ich sehe das nicht ganz so. Ich fand es etwas peinlich für den Sport, dass etliche große Verbände erst viel Druck gebraucht haben, um zu reagieren. Nicht nur das IPC – auch die Fifa hat Russland ja erst ausgeschlossen, nachdem sich etliche Länder geweigert hatten, gegen das russische Team anzutreten. Da waren weite Teile von Industrie und Wirtschaft vergleichsweise schnell bereit, Einbußen hinzunehmen. Fifa-Präsident Infantino hatte natürlich das Problem, dass er sich Putin bei der WM 2018 in Russland allzu sehr angebiedert hatte. Er hätte sich "in Russland verliebt", sagte er da, und er fühle sich "wie ein Kind im Bonbongeschäft". Wenn man sich undemokratischen Ländern anbiedert, darf man sich auch nicht wundern, wenn diese Länder undemokratisch handeln.

STANDARD: Da wären wir schnell bei dem Punkt, dass es zwischen Österreich und Russland lange besonders innige Verbindungen gab, wirtschaftliche, politische, sportliche. Heinz Fischer war der erste Präsident, der Putin nach Russlands Annexion der Krim einen Besuch abstattete. Kurz zuvor hatte es bei den Winterspielen in Sotschi Verbrüderungsszenen mit Putin im Österreich-Haus gegeben.

Filzmaier: Es ist eine Sache, wenn man mit Putin einfach nur gemeinsam auf einem Foto zu sehen ist. Von Auch-anwesend-Sein bis Arm-in-Arm-Sein gibt es ein breites Spektrum. Die Notwendigkeit dieser großen Amikalität zwischen hohen ÖOC-Funktionären und Putin war sicher nicht gegeben. (Fritz Neumann, 4.3.2022)