Mein Vater war aus einer armen Familie, fünf Kinder mit drei Schwestern. Sein Vater ist durch einen Unfall gestorben, er hätte die Schwestern versorgen müssen, bis seine Mutter gesagt hat: "Geh mit deiner Frau woanders hin, weil mit deinen Schwestern kommst nicht weit!" Meine Mama, hell auf der Platte, hat gesagt zum Vater: "Du, das wäre keine schlechte Idee!" So sind sie nach Mörbisch gekommen, wo mein Vater mit der Zille gleich angefangen hat zum Fischen, verkauft hat den Fisch die Mama, der ist kein Kilo übrig geblieben, nie. Sie ist so lange gerannt, bis alles verkauft war. Viele arme Leute haben zu ihr gesagt: "Frau Gruber, wir täten schon gern einen Fisch kaufen, aber wir haben kein Geld." Na hat sie halt zwei Liter Wein gekriegt! Dem Vater hat er geschmeckt.

Damals hat es im Neusiedler See Karpfen und Hechte und Weißfisch gegeben – und Rotfedern für die armen Leute, später kam der Zander in den See. Während der Russen-Zeit war der eine gefährliche Gegend. Wenn du allein warst, dann haben sie dir mit dem Zillenstangerl eine über den Schädel gehaut, der Russ’ isst ja auch gerne Fisch. Und die Ungarn haben später immer wieder Burgenländer hinübergeholt, meinen Vater auch. Der ist nach sechs Wochen mit einem ausgeschlagenen Auge zurückgekommen, so waren damals eben die Zeiten.

1962 lernte Erich Gruber, heute 82 Jahre alt, seine künftige Ehefrau Hella am Naschmarkt kennen. Gemeinsam haben sie den Fischhandel Gruber aufgebaut, Spezialität: Zander.
Foto: Christian Fischer

Gelernt hab ich am See

Der Vater wollte dann nicht, dass ich wie andere Lehrbuben umanaundagstessn werd von den Lehrherren. "Du bleibst schön daheim!", hat er gesagt. "Wir haben Arbeit genug!" So hab ich eigentlich nix gelernt. Ab 14 bin ich mit ihm auf den See, das Fischen war Gefühlssache, das ist wie beim Schwammerlsuchen. Man lernt den See kennen, der war damals viel größer als jetzt und nicht so verwachsen. Heute kannst du ja mit den Halbschuhen beim Schilf hineingehen.

Dann haben wir angefangen, Krebserln zum herausholen, und die Mama hat geschaut, dass wir ein Auto kriegen, die war wirklich auf Zack. Ich hab noch vorm Bundesheer den Führerschein gemacht, und mit den Krebserln sind wir auf den Naschmarkt nach Wien gefahren, ab 1962 war das. Und jetzt passen S’ auf: Die Laura Lämmermann sagt Ihnen was? Nein. Die war die Gründerin vom Fischgeschäft am alten Freihausplatz, sagt Ihnen auch nix? Nein. Ein Fischweiberl war sie dort und geschäftstüchtig. Und sie hat eine Tochter gehabt, das war die Luise. Die hat eine Tochter gehabt, die Helene. Und die hat die Hella gehabt.

Liebe auf den zweiten Fisch

Die Hella ist mit dem Fisch am Radl immer ins Sacher gefahren, ins Stadtkrug – kennen S’ auch nicht? – ins Deutsche Haus, ins Hotel Regina, mit ihrem blauen Kittel und dem roten Kopftuch. Blauer Blitz hat sie geheißen, so schnell war sie am Radl, ihre Mutter hat sich anhören müssen von den Polizisten: "Stellen Sie sich vor, Ihre Tochter fährt mit dem Fahrrad bei Rot über die Kreuzung, und dann winkt sie uns noch zu!"

Ob ich mich gleich verliebt hab in sie? Eigentlich ned. Weil ich bin am Mittwoch rein mit den Krebsen, da hat die Hella frei gehabt. "Musst halt am Dienstag oder Donnerstag kommen", hat ihre Mama gesagt. Vielleicht hat sie eine Arbeitskraft gesucht, der Naschmarkt war ja irgendwie verschrien damals. "Wo arbeitest? Uije, am Naschmarkt?"

Das war ein goschertes Volk dort. Bin ich also einmal am Dienstag hinein, und bald hab ich sie eingeladen zum Fischen an den See, wir haben um 4 Uhr in der Früh die Runde gemacht, das war recht angenehm, wir haben uns gut unterhalten – nicht nur über Fische, über die ist ja schnell alles gesagt.

1962 war das, da hab ich sie kennengelernt und auch gleich geheiratet. Die Hella hat mich dann oft rausgeboxt bei der Polizei, wenn ich mit dem Auto einen Blödsinn zusammengedreht habe in der Stadt. Ich hab ja eine B-Nummerntafel gehabt, B-4711, kein Witz. Die Kieberer haben gewusst: Der Burgenländer ist der von der Hella.

Ich hab Zander gekriegt aus dem Donaudelta, herrliche Qualität, jedes Jahr 100 Tonnen, bis die Rumänen selbst draufgekommen sind, dass das ein guter Fisch ist. Einmal hab ich mit einem Holländer einen Hasard gehabt, weil ich ihm was weggekauft hab, Drohungen am Telefon, na ja. Die Konkurrenz! Die meisten sind dann tschari gangen, aber ich hab den Großhandel aufgebaut. 1986 habe ich das Kühlhaus in Rust gebaut, um mich von der Konkurrenz abhängig zu sein. Da gehen 250 Tonnen Fisch hinein ins Kühlhaus.

Mit Richard und Alexandra Gruber verkauft heute bereits die sechste Generation am Naschmarkt Fische.
Foto: Christian Fischer

Der Zander, ein Retter

Einmal in den 80er-Jahren war es bis oben hin voll mit Zander, die Hella hat schon geschimpft: Wennst noch ein Kilo Fisch einkaufst, lass ich mich scheiden! Und auf der Bank hab ich 18 Millionen Schilling Schulden gehabt, der Betreuer sagt: "Herr Gruber, ich überweis Ihnen nix mehr!" Sag ich: "Na und?" Sagt er: "Höchstens, Sie haben noch was!" Na, eine Lebensversicherung über eine Million Schilling hab ich noch gehabt, sagt er: "Viel ist es nicht, aber geben S’ her!" Ich war erledigt. Aber auf einmal war der Zander knapp, und ich hab ihn gehabt! Ich hab die Nordsee, den Czerny, den Türken in Linz beliefert, alle. Am Ende war ich mit sechs Millionen im Plus und hab nie mehr das Konto überzogen.

Österreich ist ein kleines Oarscherl in der Welt, aber ich hab alle Lieferanten kennengelernt, ausgenommen die Hummerlieferanten in Halifax. Die Hella und ich, wir waren in Südafrika, in Australien – der pazifische Fisch ist nix –, in Indien und Thailand wegen den Kalamari und Tintenfisch", vor Marokko gibt’s den besten Atlantikfisch, den es in der Nordsee nicht mehr gibt. Man hat seine Freunde und Freundinnen überall. In Bangkog wollten wir die Messe besuchen, wir haben uns ins Tuktuk gesetzt um drei – um fünf Minuten vor Messeschluss haben wir dort einen getroffen, der hat ausgeschaut, wie wenn er nicht bis drei zählen kann. Dem hab ich 160 Tonnen Fisch abgekauft, wir waren beide zufrieden.

Der Bub macht weiter

Am Naschmarkt war es eine harte Arbeit, mental und körperlich. Du hast 1.000 Charaktere, die dir jeden Tag am Stand begegnen – Leute, die von hinten nach vorn schreien. Aber auch viele nette Leut’: die Frau Orgovani mit ihrer tiefen Stimme, die war von einer Fahrschule, oder die Mutter vom Ariel Muzicant, ein toller Mensch. Ab 8 Uhr war der Stand offen, nach 18 Uhr haben wir das Geschäft gewaschen, dann die Arbeit in Rust im Kühlhaus. Oder ich bin zum Flughafen und hab Krebse verzollt, hab sie nach Rust gebracht, in Bottichen gewassert, die toten aussortiert und in der Früh die guten zum Naschmarkt gebracht, ohne Schlafen. 1.000 Tonnen Fisch haben sich Jahr gedreht, stell dir vor. Ich hab ein schönes Leben gehabt. Ich hab was derschupft, und jetzt bin ich zufrieden damit. Und der Bub macht es genauso weiter wie wir." (Manfred Rebhandl, 4.3.2022)