Fluchterlebnisse: Julya Rabinowich.

Foto: Imago / Rudolf Gigler

Mit Dazwischen: Ich begründete Julya Rabinowich 2016 ihren Ruf als herausragende Jugendbuchautorin. Wurde sie bereits davor durchaus ausgezeichnet (u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis), hagelte es für Dazwischen: Ich dann geradezu renommierte Kinder- und Jugendbuchauszeichnungen, darunter den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis.

Kein Wunder, traf die Geschichte über die 15-jährige Madina, die sich nach traumatischen Kriegs- und Fluchterlebnissen gemeinsam mit ihrer Familie in einem neuen Land zurechtfinden muss und zugleich mit den ganz normalen Sorgen und Nöten einer Heranwachsenden zu kämpfen hat, nicht nur inhaltlich einen Nerv. Auch sprachlich gelang Rabinowich das Kunststück, einen ebenso empathischen und verständlichen wie poetischen und hochliterarischen Duktus zu finden.

Flucht und Vertreibung

Nun ist mit Dazwischen: Wir die Fortsetzung erschienen. Einerseits könnte der Zeitpunkt nicht besser, oder eigentlich: schlechter sein. Wem es bisher noch nicht klar war, der dürfte spätestens mit Russlands Überfall auf die Ukraine begriffen haben: Flucht und Vertreibung sind nicht der Ausnahmezustand, sie sind traurige Normalität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

Rabinowich erzählt in Dazwischen: Wir von den Schwierigkeiten, mit denen Madina, obwohl oder gerade weil sie offiziell "angekommen" und "in Sicherheit" ist, zu kämpfen hat. Und es gelingt ihr, nahtlos an den Vorgänger anzuschließen, aber dennoch einen eigenständigen Roman zu schaffen, den man voraussetzungslos lesen kann. Zwar lebt die Familie mittlerweile bei Madinas bester Freundin Laura, sie müssen nicht länger abgetragenes Gewand aus der Spendenkiste tragen, Madina geht zur Schule, der Bruder in den Kindergarten, die Tante zum Deutschkurs.

Zwischen zwei Welten

Bisweilen lesen sich Madinas Tagebucheinträge, aus denen der Roman besteht, wie die eines ganz normalen Teenagers. Aber tatsächlich ist sie zerrissen zwischen zwei Welten: der, in der sie nun lebt, und derjenigen, aus der sie kommt. Und ihre Familie scheint mehr oder minder in der alten Welt hängengeblieben zu sein: Der strenge Vater ist nicht mehr da, der tägliche Gang zum Briefkasten vergeblich, niemand weiß, ob er noch lebt und wo er ist.

Das gibt Madina ungekannte Freiheiten, aber sie vermisst den geliebten Vater auch schmerzlich. Die Mutter gleitet zunehmend in die Depression ab, es liegen "Welten zwischen der runden, lachenden Mama von damals und der dünnen Augenringemama von heute". Aus dem Kindergarten wird vermeldet, dass der Bruder es oft nicht rechtzeitig aufs Klo schaffe. Und für alles ist Madina verantwortlich.

Für die durchschnittlichen Teenie-Probleme, die Streite mit Laura oder ihrem Freund Markus, Lauras Bruder, der manchmal diesen Blick hat, "der mich immer unruhig macht, weil ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll", bleibt da oft wenig Energie.

Und dann tauschen schließlich die unvermeidlichen rechten Parolen an Wänden und in den Mündern mancher Dorfbewohner auf. Von "Flüchtlingsgesindel" ist die Rede, "Ausländer raus!" steht am Dorfplatz. Ohne falsches Pathos und realitätsnah erzählt Rabinowich, wie Madina beginnt, sich zu behaupten, wie sie sich Verbündete sucht – und zahlreich findet!

Rechte Parolen

Es ist keine Feel-good-Geschichte, an deren Ende alles gut wird, vielmehr zeichnet Rabinowich detailliert die Gräben und Ambivalenzen in unserer Gesellschaft nach. Wie man sie bis zu einem gewissen Grad aushalten und mit ihnen leben muss. Dass es sich aber auch lohnt, den Mund aufzumachen, sich nicht zu verstecken, für sich und seine Überzeugungen einzustehen.

Rabinowich arbeitete lange als Dolmetscherin für Hemayat, ein sehr unterstützenswertes Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende in Wien, sie selbst kam 1977 aus der damaligen Sowjetunion nach Wien. Man merkt, dass sie weiß, wovon sie schreibt. Und sie verpackt es in eine Erzählung, die ohne Anbiederung den Ton Jugendlicher trifft, zugleich aber auch für Erwachsene fesselnd und lohnend zu lesen ist. (Andrea Heinz, ALBUM, 6.3.2022)