Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Umweltschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) gaben am Freitag Entwarnung.

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Frage: In der Nacht auf Freitag kam es zu einem Brand im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Muss man sich in Österreich Sorgen machen?

Antwort: Nein. Nach dem Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks in Saporischschja begaben sich Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Umwelt-, Klimaschutz- und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Freitag zum Lagebriefing in der Strahlenschutzabteilung des Klimaschutzministeriums. Durch den Zwischenfall bestehe keine Gefahr einer nuklearen Katastrophe, da keine erhöhte Strahlenbelastung gemessen wurde, hieß es im Anschluss aus dem Kanzleramt. Und: Selbst wenn es zu einer Freisetzung von radioaktivem Material käme, wäre Österreich aufgrund der Entfernung und der Wetterlage nicht betroffen.

Frage: Wäre Österreich betroffen, wenn es einen Atomunfall in der Ukraine geben würde?

Antwort: Auch der Radioökologe Georg Steinhauser gibt Entwarnung: Für Österreich sei die Gefahr "nur sehr mittelbar", sagt er. Dass die Sorge da ist, verstehe er, doch die Ukraine sei weit weg. "Ich sehe das eher kritisch, dass der große Run auf Jodtabletten stattfindet, die ihre Berechtigung haben, wenn eine bestimmte Schwellendosis für die Schilddrüse überstiegen wird." Dass dieser Schwellenwert durch eine Explosion in der Ukraine überschritten wird, kann sich Steinhauser nicht vorstellen.

Frage: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um Jodtabletten einzunehmen?

Antwort: Auf keinen Fall, die Einnahme hat wenig bis gar keinen akuten Schutzeffekt. Eine selbst verordnete, falsche dosierte Einnahme von Kaliumjodid kann ernste Gesundheitsrisiken bringen, vor allem für Menschen, die an einer (eventuell unentdeckten) Überfunktion der Schilddrüse leiden, wie die Österreichische Gesellschaft für Nuklearmedizin und molekulare Bildgebung (OGNMB) mitteilt. So eine Überfunktion könne dadurch noch verstärkt werden. Damit einhergehende Probleme wären etwa Unruhe, Nervosität, Stimmungsschwankungen, verstärktes Schwitzen, Augenkrankheiten oder auch Potenz- und Fruchtbarkeitsprobleme. Ganz besonders gilt die Warnung vor Einnahme der Kaliumjodid-Tabletten für Säuglinge und Kleinkinder. Sollte eine Einnahme nötig sein, um die Schilddrüse vor der Anreicherung von radioaktivem Jod zu bewahren, wird diese Information rechtzeitig bekannt gegeben werden. Österreich hat außerdem ausreichend Kaliumjodid-Tabletten gelagert, um alle Risikogruppen zu versorgen, auch wenn diese jetzt in Apotheken ausverkauft sind. Sie werden im Ernstfall abgegeben.

Frage: Wie kann man sich dann vor Strahlung schützen?

Antwort: Die beste Schutzmaßnahme ist der Aufenthalt in geschlossenen Räumen über mehrere Tage, undichte Fenster kann man mit einem breiten Klebeband abkleben. Dazu kommt, dass die Gefahr bei Schönwetter geringer ist. Denn die Strahlung wird dort, wo sie entsteht, in mittelhohe Luftschichten hinaufgetragen und vom Wind weiter transportiert, wie Franz Kainberger, Radiologe an der Med-Uni Wien, erklärt. Solange sie oben bleibt, ist sie nicht gefährlich für uns. Erst wenn sie bei Schlechtwetter abregnet, gelangt sie auf den Boden und kann in Österreich Strahlenprobleme auslösen.

Frage: Welche Faktoren sind ausschlaggebend dafür, dass ein Atomunfall im Ausland auch Folgen in Österreich hat?

Antwort: Wie sehr Österreich durch einen Atomunfall betroffen ist, hängt von verschiedenen Dingen ab. Allem voran kommt es auf die Menge der freigesetzten radioaktiven Stoffe, der Entfernung zum Kernkraftwerk und das Wetter an. So spielt etwa die Windrichtung eine Rolle, aber auch Regen kann während des Durchzugs radioaktiver Luftmassen die Auswirkungen verstärken.

Frage: Was bedeutet das überhaupt, man ist "verstrahlt"?

Antwort: Man hört in diesem Zusammenhang öfter, ein Mensch sei "verstrahlt" oder "radioaktiv verseucht" – was sich sehr apokalyptisch anhört. Tatsache ist, dass radioaktive Strahlung in erster Linie über die Atmung oder die Nahrung aufgenommen wird. Diese kann man im Körper binden und wieder ausscheiden, wie Hans-Jürgen Gallowitsch, Nuklearmediziner am Klinikum Klagenfurt und Präsident der OGNMB, erklärt: "Wurde eine Person kontaminiert, wird die Belastung gemessen und eine Ausscheidungsanalyse gemacht. Dann geben wir gezielt Substanzen, die das strahlende Material im Magen-Darm-Trakt binden und die Aufnahme in den Körper reduzieren." Am wichtigsten ist natürlich Vorbeugung. Das bedeutet, einige Tage drinnen zu bleiben und keine potenziell kontaminierten Lebensmittel zu verzehren – wobei es äußerst unwahrscheinlich ist, dass solche bei uns überhaupt in den Handel kommen. Denn fertige Lebensmittel werden nicht kontaminiert, das würde nur über im Boden gespeichertes, radioaktives Material funktionieren, dass die Pflanzen oder die Tiere, die die Pflanzen dann fressen, aufnehmen.

Frage: Wie wird die Bevölkerung gewarnt?

Antwort: Kommt es zu einer Störung in einem Kraftwerk, werden die Behörden in Österreich alarmiert. Bis zum Eintreffen der radioaktiven Luftmassen in Österreich können mehrere Stunden bis Tage vergehen. Im Falle von Auswirkungen eines Unfalls auf Österreich wird die Bevölkerung über den ORF gewarnt und über Schutzmaßnahmen informiert.

Frage: Was sollte man für den Notfall zu Hause haben?

Antwort: Der Zivilschutzverband für den Fall nationaler und internationaler Ereignisse oder technischer Pannen einen vierzehntägigen Vorrat zu Hause zu haben. Für eine Person mit 2.000 Kilokalorien Tagesbedarf ergeben sich folgende Gesamtmengen: je 4,5 Kilogramm Getreide- und Milchprodukte, zwei Kilogramm Fleisch oder Fisch, ein halbes Kilo Öl oder Fett, sechs Kilo Obst und Gemüse sowie 21 Liter Wasser und Getränke. Beim Anlegen eines Vorrats sollten jedenfalls die individuellen Ess- und Trinkgewohnheiten beachtet werden und nur Lebensmittel angeschafft werden, die auch sonst gegessen werden.

Frage: Was braucht man abseits von Lebensmitteln?

Antwort: Neben Nahrung empfiehlt der Zivilschutzverband auch eine Notfallapotheke mit den wichtigsten Medikamenten. Dazu gehören vor allem persönlich verschriebene Arzneimittel – etwa bei Allergien –, außerdem sollte in keinem Haushalt ein Erste-Hilfe-Kit fehlen. Neben Medizinprodukten wird auch dazu geraten, Batterien und eine Notbeleuchtung wie Kerzen, Zündhölzer, Taschenlampen etc. vorrätig zu haben.

Frage: Sind Schulen auf den Ernstfall vorbereitet?

Antwort: Auch wenn aktuell keine Bedrohung durch einen Atomunfall besteht, haben Schulen seit Jahren gewisse Vorkehrungen getroffen. So müssen Eltern an allen Schulen in Österreich zu Beginn des Schuljahres eine Einverständniserklärung abgeben, dass – im Fall des Notfalls – ihren Kindern Jodtabletten verabreicht werden können. Das ist Standard und nicht auf die aktuelle Situation in der Ukraine zurückzuführen, betont man im Bildungsministerium. Und: "Wichtig ist, dass man die Tabletten nicht einfach so einnimmt, sondern nur, wenn es die Anweisung der Behörde dazu gibt." Auch in den Schulen gilt: Selbst wenn es diese Anweisung gibt, werde sie klar definiert. Etwa dass nur die Volksschülerinnen und Volksschüler dazu aufgerufen werden oder nur die Kinder und Jugendlichen in einer bestimmten Region des Landes. Auch das sei jedenfalls zu befolgen. (Oona Kroisleitner, Pia Kruckenhauser, 4.3.2022)