In "Call of Duty – Black Ops: Cold War" werden historische Fakten um den Kalten Krieg verfälscht widergegeben.

Foto: Activision

Es war eine der zahlreichen Geschmacklosigkeiten, über die wir uns in den inzwischen über zwei Jahren Pandemie ärgern mussten: Während Menschen starben, Lockdows verkündet wurden und an den Börsen die Kurse ins Bodenlose fielen, eroberte im Frühjahr 2020 das Spiel Plague Inc. die Spitzenplätze der App-Downloadcharts. In diesem kostenpflichtigen Spiel muss der Spieler ein Virus weiterentwickeln und in der Welt verbreiten, um die Menschheit zu vernichten. Manche Menschen fanden das wohl lustig.

Wann ist es zu viel?

Es war freilich nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass digitale Spiele im Spannungsfeld zu realen Ereignissen standen. So ist die Annahme, jeder Liebhaber von Shooterspielen werde automatisch zum Attentäter, freilich Humbug – der Bezug mancher dieser Spiele zu globalen Konflikten, wie etwa im Nahen Osten, hinterlässt aber – gelinde gesagt – nicht selten einen bitteren Beigeschmack. Und dann gibt es noch die Call of Duty-Spiele, in welchen rechte Verschwörungsfantasien in einem verfälschten historischen Kontext bedient werden.

Auf der anderen Seite wiederum stehen Games, die sich den Sorgen der Menschen mit Sarkasmus und Galgenhumor widmen – etwa das Browsergame Survive 2020, in welchem man sich im Stil eines Jump & Runs nochmal durch alle Hürden des katastrophalen Jahres 2020 schlägt. Oder das österreichische Satire-Game Schlender Man, bei dem man nachts auf Wiens Straßen Klopapier sammeln und gleichzeitig vor dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz flüchten musste. Das kann man unter dem Aspekt der Kunstfreiheit betrachten – inwieweit bei Satire jeweils die Grenze zur Geschmacklosigkeit überschritten wird, muss wohl individuell entschieden werden, das gilt bei Games ebenso wie für andere Kunstformen.

Die Games-Branche im Ukraine-Krieg

Sind Krisen für die Branchen also ein reiner Umsatzbringer? Und Gamer amüsieren sich am Blutvergießen? Nein, nicht immer – vor allem jetzt nicht, wie das Verhalten der Szene im Rahmen des Ukraine-Kriegs zeigt. Auch hier bemüht man sich, wie auch in der restlichen Wirtschaftswelt, um die Beteiligung an Sanktionen und Hilfsaktionen.

So entwickelte der Branchenveteran John Romero eigens ein neues Level für das inzwischen 28 Jahre alte Doom 2, welches den Titel "One Humanity" trägt und für fünf Euro verkauft wird – die Erlöse werden an das Rote Kreuz und den Central Emergency Response Fund der UNO gespendet. Die 11bit Studios spenden die Erlöse der nächsten Woche, welche durch ihr Werk This War of Mine zustande kommen. In dem Spiel versucht man, eine Gruppe Zivilisten sicher durch die Wirren des Krieges zu bringen. Gleichzeitig schmeißt EA die russische Mannschaft aus dem Fußballspiel Fifa 22 – das wird Putin zwar keine schlaflosen Nächte bereiten, aber die Symbolik bleibt trotzdem.

Krieg ist kein Spiel

Schaut man sich wiederum die Gamerinnen und Gamer per se an, so merkt man: Von der Geschmacklosigkeit rund um Plague Inc. ist im aktuellen Krieg nichts zu sehen – das zeigen die Charts diverser Plattformen. So rangieren in den Steam-Charts zwar nach wie vor Shooter wie Counter Strike: Global Offensive und PUBG: Battlegrounds in den Top Ten, aber das war schon vor Ausbruch des Krieges so. Umrahmt werden diese Dauerbrenner von Fantasyspielen wie Elden Ring oder Lost Ark, die bewusst in eine fantastische, weit entfernte Welt entführen. Auch die Apple- und Google-Charts sind aktuell frei von Spielen, die im Kontext des aktuellen Konflikts stehen.

Wohlgemerkt: Das liegt nicht am mangelnden Angebot, denn der Kalte Krieg und andere Ost-West-Konfliktszenarien wurden in der Vergangenheit in Games nicht weniger intensiv behandelt als in anderen Kunstformen – als nur ein Beispiel sei die Reihe rund um Command & Conquer: Red Alert genannt, bei welcher in einer alternativen Realität Adolf Hitler durch Albert Einstein ermordet wurde und die UDSSR somit das größte Sorgenkind des Westens ist.

Nein, am Angebot liegt es nicht – sondern vielmehr daran, dass auch die Gaming-Community die Ernsthaftigkeit der Lage erkannt hat und versteht, dass Krieg kein Spiel ist. Es ist zu wünschen, dass wir diese Einstellung beibehalten und auch in Zukunft bedachtsamer vorgehen, wenn es um die Darstellung realer Krisen in virtuellen Welten geht. (Stefan Mey, 6.3.2022)