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Auf Konfrontationskurs mit Putin: Emmanuel Macron.

Foto: AP Photo/Francois Mori, File

Die Atmosphäre war eisiger denn je, auch wenn sich die zwei Präsidenten duzten. Am Donnerstag war es Putin, der Macron anrief. Auch Autokraten haben offenbar das Bedürfnis, sich mit anderen auszutauschen. Anderthalb Stunden dauerte das Videogespräch, doch zu einer Annäherung der Standpunkte kam es nicht. Während die russischen Panzer in der Ukraine angriffen, mutierte das Gespräch zu einem verbalen Schlagabtausch. Putin wollte Macron "informieren", dass er die Ukraine zu "entnazifizieren" gedenke. Macron erwiderte: "Du begehst einen schweren Fehler, die Ukraine ist kein Nazi-Regime." Das zu behaupten sei eine "Lüge".

Der russische Präsident fuhr dagegen fort, die Dinge zu verdrehen; er warf den Ukrainern vor, "Sniper" einzusetzen und "Kriegsverbrechen" zu begehen. Nachdem er die russischen Atomwaffen in Alarmbereitschaft versetzt hatte, warf er dem Westen gar vor, dieser drohe mit seinem Nukleararsenal.

Taschenspielertricks

Macron kennt die Tricks seines Gegenübers mittlerweile: Anderen vorzuwerfen, was man selber im Schilde führt – darin ist Putin unübertroffen. Aber der französische Präsident spricht weiter mit dem Kreml-Herrscher. Falsche Illusionen hat er nicht. Sein erstes Ziel ist es, gegenüber Putin im Gespräch zu bestehen. Vielleicht hat er das Beispiel seines Vorvorgängers Nicolas Sarkozy vor Augen: Der war am G8-Gipfel von 2007 aus einer Privatunterredung mit Putin getaumelt, als habe er einen K.-o.-Schlag erhalten.

Macron ist aus härterem Holz, er kann bei aller Höflichkeit genauso kalt sein wie Putin. Und naiv ist er nicht. Über die zahllosen Telefonate seit Beginn der Ukraine-Krise hat er sich Putins Respekt erworben. Gleich nach seiner Wahl im Jahr 2017 hatte er ihn im Schloss Versailles mit großem Pomp empfangen. Gemeinsam eröffneten sie eine Ausstellung über den Besuch des Zaren Peter der Große im Jahr 1717 bei Ludwig XV. Dann warnte Macron den Gast aber sehr direkt vor einem Giftgaseinsatz in Syrien. Von Journalisten gefragt, was er gegenüber Putin eigentlich bezwecke, erklärte Frankreichs frisch gewählter Präsident damals, er wolle "mit allen reden – aber Klartext sprechen".

Tiefe Gründe

Dieser Devise folgt Macron auch jetzt. Vor dem russischen Truppeneinmarsch vermittelte er mit dem Etikett des EU-Ratsvorsitzenden. Jetzt könnte er den Draht zu seinem Duzfeind kappen. Aber er erhält ihn aufrecht. Dass er allein und hartnäckig weitermacht, hat tiefe Gründe, die bis in seine Psyche reichen. Macron habe eine fast panische Angst vor Konflikten, die ausarten, berichten Freunde und Bekannte. Selbst seine Haltung in der politischen Mitte zeuge von seinem Urbedürfnis, zwischen den politischen Fronten zu schlichten.

Diese Stellung wahrt der Franzose auch international, indem er die Stimme Europas zwischen Nato und Russland einzubringen versucht. Innenpolitisch erlaubt ihm der Kontakt zu Putin zudem, über den Parteien und dem Präsidentschaftswahlkampf zu stehen – ganz der Staatsmann, der gegen die Großen dieser Welt um den Frieden ringt.

Dieser Simultaneinsatz auf mehreren Ebenen würde manch einen abhalten – Macron sagt er zu. Dabei ist sein Vorgehen nicht ohne Gefahr: Unterliegt er Putin in den beinharten Videocalls, deren wichtigste Passagen sogleich via Élysée- und Kreml-Briefings in Umlauf kommen, dann verliert er auch seinen unangefochtenen Status im laufenden Präsidentschaftswahlkampf.

Vorsprung ausgebaut

In den letzten Tagen hat der erst am Donnerstag deklarierte Wiederwahlkandidat seinen Vorsprung hingegen noch ausgebaut: 29 Prozent werden ihm nun gutgeschrieben, doppelt so viel wie den Pro-Putin-Kandidaten Éric Zemmour oder Marine Le Pen. 68 Prozent der Franzosen geben an, dass der Krieg in der Ukraine ihr Stimmverhalten beeinflussen werde. Und das spricht momentan klar für Macron.

Die konservative Kandidatin Valérie Pécresse wirft dem amtierenden Präsidenten vor, er habe sich von Putin "manipulieren und instrumentalisieren" lassen. Der Vorwurf ist über das Kandidatenfeld hinaus hörbar. Macron habe sicher recht gehabt mit seinem Versuch, die militärische Offensive zu verhindern. Aber jetzt sei es zu spät dafür.

Die Macron-Berater wenden ein, der Vermittlungsversuch bleibe gefragt, und sei es nur, um den Kreml-Chef in seiner paranoiden Selbstabschottung noch zu "erreichen". Der Präsident denke heute, dass Putin "sehr entschlossen" sei und wohl erst innehalten werde, wenn die ganze Ukraine unter seiner Kontrolle sei.

Macron wird weiter mit den Worten zitiert: "Das Schlimmste liegt noch vor uns." Er zeige sich zunehmend "pessimistisch". In Paris fragen sich viele, ob er damit das Scheitern seiner Bemühungen vorwegnehmen will. Der Élysée entgegnet: "Wenn Wladimir Putin beschließt, die Dinge anders anzupacken, ist noch ein anderer Weg möglich." Aber nur dann. Nicht ausgeschlossen, dass der Mann im Élysée langsam auch genug davon hat, von seinem russischen Amtskollegen hingehalten zu werden. Und wenn sogar Macron nicht mehr an den Erfolg seiner Mission glaubt, dann bleiben nicht mehr viele. (Stefan Brändle aus Paris, 4.3.2022)