Wenn es ganz finster wird für die Berichterstattung aus Russland: Unter der russischen Flagge und Hammer und Sichel wurde in der Moskauer Staatsduma das neue Mediengesetz beschlossen.

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Moskau/Wien – Drastische Geldstrafen und bis zu 15 Jahre Haft drohen auch ausländischen Journalistinnen und Journalisten in Russland, die – aus offizieller Sicht – "Fake News" über die russische Armee verbreiten. Wie arbeiten Korrespondenten unter der drakonischen Strafdrohung? Wie sieht die Pressefreiheitsorganisation Reporter ohne Grenzen das Gesetz, wie der ORF?

"Ungemein erhöhtes Risiko"

"Das neue Gesetz zielt natürlich darauf ab, die Arbeit der Medien einzuschränken", berichtet STANDARD-Korrespondent André Ballin aus Moskau. "Schon in den vergangenen Tagen sind die Behörden hart gegen alle Medien vorgegangen, die sich nicht an die offizielle Sprachregelung hielten. Unter anderem wurde der Radiosender Echo Moskaus abgeschaltet, der bisher von der russischen Führung gern als Beispiel für die Pressefreiheit in Russland demonstriert wurde."

"Die neuen Strafen erhöhen das Risiko für alle Journalisten in Russland natürlich ungemein", erklärt Ballin. "Das betrifft wohl auch ausländische Journalisten. Zumindest hat der Leiter des Komitees für Informationspolitik, Alexander Hinstejn, am Freitag erklärt, dass die Regelung auch gegenüber Ausländern gelte, die Falschmeldungen über die russische Armee verbreiteten."

"Wird unmöglich, sachlich und ausgewogen zu berichten"

"Es wird irgendwann unmöglich, sachlich und ausgewogen zu berichten", erklärte Paul Krisai, der das Korrespondentenbüro des ORF in Moskau leitet, im "Mittagsjournal" auf Ö1. Mit Inkrafttreten des Gesetzes "dürfen wir nicht mehr so berichten wie bisher. Wir dürften einen Krieg nicht mehr als solchen bezeichnen, sondern als Militäroperation. Es stellt sich die Frage, können wir unter diesen Bedingungen dem Publikum eine Berichterstattung mit Mehrwert aus Russland bieten."

Miriam Beller vorerst zurück nach Wien

"Die Sicherheit der ORF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und ihrer Teams ist immer oberstes Gebot", heißt es auf Anfrage vom ORF: "Um die Berichterstattung in jedem Fall aufrecht zu erhalten, reist Korrespondentin Miriam Beller vorübergehend nach Wien. Büroleiter Paul Krisai und Carola Schneider, die das Team vorübergehend verstärkt, bleiben in Moskau." Man versuche die Berichterstattung in gewohnter Qualität aufrecht zu erhalten, die Lage werde "laufend neu bewertet".

Putin "im Krieg gegen die Informationsfreiheit"

"Im Krieg gegen die Informationsfreiheit zieht Russland die Schlinge weiter zu", kommentiert Erhard Stackl, Vizepräsident von Reporter ohne Grenzen in Österreich, das neue Gesetz. "Mit der Androhung von Haftstrafen sollen die Journalisten zur Selbstzensur gezwungen werden."

Seine Hoffnung: "Aber die Zeiten der 'Prawda' sind für immer vorbei. Unabhängige Nachrichten werden in der vernetzten Welt ihren Weg auch zum russischen Publikum finden. NGOs wie die RSF werden dafür sorgen, dass Zensurmaßnahmen nicht geheim bleiben."

Reporter ohne Grenzen kündigte an, in Russland blockierte Inhalte zu spiegeln und zugänglich zu machen.

Stackl erinnert daran, dass Journalistinnen und Journalisten schon vor dem Krieg gegen die Ukraine stark in ihrer Arbeit behindert wurden: "Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf Platz 150 von 180 Staaten. Jetzt muss man sich darauf vorbereiten, hoch gefährdeten ukrainischen Journalisten, demnächst vielleicht auch russischen, Asyl zu gewähren."

"Ausgestreckter Mittelfinger"

Der frühere Chef vom Dienst des STANDARD verweist auf den "großartigen" und lange verbotenen Roman "Meister und Margarita" von 1928. Michail Bulgakow stellt die Frage von Pontius Pilatus "Was ist Wahrheit?" in den Mittelpunkt: "Den Teufeleien stalinistischer Funktionäre, die wahre Meister der 'Fake News' waren, hält er literarisch den ausgestreckten Mittelfinger entgegen. Seine Message: Es scheitert auch das gewalttätigste Regime, glaubt es an die selbst gefälschte Realität." (fid, 4.3.2022)