In die Erwartungen, dass die Wiener Atomverhandlungen mit dem Iran vor dem Abschluss stehen, platzte am Wochenende Russlands neue Forderung: Angesichts der "aggressiven Sanktionen" des Westens brauche Moskau "schriftliche Garantien" der USA, dass die Sanktionen das Atomabkommen beziehungsweise Russlands Rolle nicht beeinträchtigen würden. Es gehe um die russischen Rechte auf "uneingeschränkten Handel, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Investitionen sowie militärisch-technische Kooperation mit dem Iran", sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow.

Auf die Ansage Lawrows folgte zuerst einmal Ratlosigkeit bei den anderen Verhandlern, ob es sich dabei um eine neue politische Forderung oder nur eine technische Frage handelte: Russland war auch schon 2015 bei der Umsetzung des erreichten ersten Wiener Deals eine aktive Rolle zugekommen, etwa als es überschüssiges iranisches Uran aus dem Iran übernahm. Auch wenn der Text des neuen Wiener Deals noch nicht bekannt ist: Das wäre diesmal vermutlich ähnlich. US-Außenminister Antony Blinken ließ am Sonntag wissen, dass die Sanktionen gegen Russland nichts mit dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) – so heißt der Atomdeal offiziell – zu tun hätten.

Ein tieferes Iran-Engagement Russlands, das etwa auch das iranische AKW in Bushehr gebaut hat – das Kraftwerk hat mit dem umstrittenen Teil des iranischen Atomprogramms nichts zu tun –, wäre für Teheran ein Anreiz, einem Deal zuzustimmen. Laut Politico wuchsen jedoch auch die Zweifel, ob Moskau unter den neuen Umständen, dem Zusammenbrechen der eigenen Ölgeschäfte, nicht einfach nur nicht wolle, dass iranisches Öl wieder auf den Weltmarkt kommt.

Zuvor waren die Wiener Gespräche trotz des sich abzeichnenden Krieges und auch nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine mit russischer und amerikanischer Beteiligung unbeeinträchtigt weitergegangen. Bei den Verhandlungen geht es um den Wiedereintritt der USA in den Deal, den sie im Mai 2018 unter Präsident Donald Trump verlassen haben – sowie darum, dass der Iran zu dessen Regeln zurückkehrt, die er seit 2019 in immer stärkerem Ausmaß verletzt. Ein erneuerter Atomdeal, mit den USA wieder an Bord, würde den Iran verpflichten, im Tausch für Sanktionsaufhebungen seine Urananreicherung auf das erlaubte Maß zurückzufahren und seine exzessiven Uranbestände aufzulösen.

IAEA-Chef in Teheran

An einer anderen Front gab es hingegen am Samstag eine positive Entwicklung: Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, konnte bei einem Besuch in Teheran einen Fahrplan verkünden, um offene Fragen zwischen IAEA und dem Iran zu klären. Das bedeutet zwar nicht automatisch den Durchbruch für die Verhandlungen in Wien – aber ohne Grossis Erfolg in Teheran wären sie gefährdet gewesen.

Es geht um Nachforschungen, die die IAEA zu vergangenen nuklearen Aktivitäten und nicht hinreichend erklärten Uranspuren im Iran anstellt, die auf ein Waffenprogramm oder zumindest auf unzureichende iranische Angaben hinweisen könnten. Teheran verlangte zuvor, dass die IAEA diese Fragen ad acta legt: ein No-Go für die westlichen Verhandler, solange es keine befriedigenden iranischen Antworten gibt.

Nun wird ein neuer Versuch gestartet: Der IAEA sollen bis spätestens 20. März Stellungnahmen und entsprechende iranische Dokumente zur Klärung der Fragen übergeben werden. Danach gibt es Zeit für Rückfragen, und im Juni soll der IAEA-Gouverneursrat – wenn alles gutgeht – die Sache abschließen. In seiner Pressekonferenz nach seiner Rückkehr nach Wien am Samstagabend hielt Grossi aber fest, dass die die Iran-Akte nur abgeschlossen werde, wenn wirklich keine Fragen mehr offen seien. In der Vergangenheit trafen Teheran und die IAEA ähnliche Vereinbarungen, die alle nicht hielten.

Sanktionen und Garantien

Alles wartet nun auf den Wochenbeginn: Vom Durchbruch bis zum Abbruch war weiter alles drin. Letzte Streitpunkte mit dem Iran bei den Verhandlungen hatten den Umfang der Sanktionsaufhebungen durch die USA und vom Iran verlangte Garantien betroffen, dass die USA unter der nächsten US-Regierung nicht einfach wieder aussteigen würden. Das ist, falls Trump tatsächlich bei den nächsten Wahlen ein Comeback schafft, eine reale Gefahr.

Wie ein Abschluss in Wien begangen werden würde, war am Wochenende nicht klar: Ursprünglich hatte man damit gerechnet, dass die Außenminister der beteiligten Staaten zur Einigung nach Wien kommen sollten. Ob das nach dem österreichisch-russischen Schlagabtausch über die Position der österreichischen Regierung zum Ukraine-Krieg auch für Lawrow gilt, war offen. Zugesagt hat bereits Irans Außenminister Hossein Amirabdollahian. Auf alle Fälle würde eine "Joint Commission" der JCPOA-Mitgliedsstaaten unter EU-Vorsitz stattfinden, das sind außer dem Iran die E3 (Großbritannien, Frankreich, Deutschland), Russland und China. Die USA müssen erst wieder in den Atomdeal eintreten. Bis zuletzt gab es keine direkten Gespräche zwischen der iranischen und der US-Delegation.

Alarmierender IAEA-Bericht

Einer Erneuerung des Atomdeals, mit dem die iranische Urananreicherung wieder unter Kontrolle gebracht werden soll, erhielt am Donnerstag mit einem IAEA-Bericht neue Dringlichkeit: Der Iran hat seinen Bestand an angereichertem Uran in den vergangenen drei Monaten weiter erhöht. Der größte Teil des Materials ist auf bis zu zwei und bis zu fünf Prozent angereichert, also niedrig. Der JCPOA sieht als Anreicherungshöchstgrenze 3,67 Prozent vor: Aber der Iran sollte nur 300 Kilogramm von diesem Uran haben – es sind jetzt mehr als 2600 Kilogramm.

Vor allem jedoch hat Teheran seine Bestände von auf 20 Prozent angereichertem Uran auf mehr als 180 Kilogramm vergrößert und jene von auf 60 Prozent angereichertem Uran auf mehr als 33 Kilogramm. Das ist bei Letzterem eine Verdoppelung im vergangenen Quartal. 60 Prozent ist zwar unter der Waffenfähigkeit. Aber wenn der Iran 40 Kilogramm erreicht, so gilt das als Schwellenwert: Dann hätte der Iran insgesamt ausreichend angereichertes Uran, um daraus genügend waffenfähiges Uran für eine Nuklearwaffe herstellen zu können (Gudrun Harrer, 5.3.2022)