Mario Draghi hatte an seiner Entschlossenheit keine Zweifel gelassen: "Wird Artikel sechs der Steuerreform abgelehnt, dann ist diese Regierung am Ende", ließ der italienische Regierungschef seiner sich uneinigen Regierungskoalition ausrichten. Doch Matteo Salvini und Silvio Berlusconi war dies egal: Ihre beiden Parteien – die rechte Lega und die liberalkonservative Forza Italia – stimmten in der Finanzkommission der Abgeordnetenkammer gegen die eigene Regierung.

Offenbar aus reinem Parteikalkül brachen Matteo Salvini und Silvio Berlusconi fast eine Regierungskrise vom Zaun.
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Am Ende lautete das Resultat 23 zu 22 Stimmen für die Regierung. Eine Ja-Stimme weniger und eine Nein-Stimme mehr – und Draghi hätte bei Staatspräsident Sergio Mattarella vorsprechen müssen, um ihm seinen Rücktritt als Regierungschef anzubieten.

Umstrittener Passus der Steuerreform

Artikel sechs von Draghis Steuerreform betrifft die Anpassung der amtlichen Werte der Liegenschaften, die für die Festsetzung der Immobiliensteuer maßgeblich sind. Salvini und Berlusconi behaupten, dass damit eine Steuererhöhung einhergehen werde, obwohl in der Vorlage schwarz auf weiß festgehalten wird, dass die Fiskaleinnahmen mit der Revision unverändert blieben und lediglich mehr Steuergerechtigkeit angestrebt werde.

Der Chef des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Ex-Premier Enrico Letta, konnte das Verhalten der beiden Koalitionspartner kaum fassen: "Die Rechte hat gerade versucht, die Regierung von Mario Draghi zu stürzen. In diesen dramatischsten Tagen der jüngeren Geschichte tönt das wie Fake News", twitterte Letta.

Es sind aber keine Fake News, sondern vorgezogenes Wahlkampfgetöse: In spätestens einem Jahr wählt Italien ein neues Parlament, und etliche Reformen Draghis sind bei Salvinis und Berlusconis Wählerschaft unpopulär. Neben der Anpassung der amtlichen Werte stehen deshalb auch andere Reformen im Parlament auf der Kippe – etwa ein Liberalisierungspaket für öffentliche Ausschreibungen und für die tausenden Badestrandanlagen entlang der italienischen Meeresküste.

Die von der Rechten verlorene Kraftprobe bei den amtlichen Werten ist ein Vorgeschmack darauf, was Draghi in den verbleibenden zwölf Monaten der Legislatur noch erwarten könnte. Die Reformen sind die Bedingung zur Auszahlung der 200 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds, was etlichen Parteiführern, Senatoren und Abgeordneten in Rom nicht so richtig bewusst zu sein scheint.

Zweigesichtiger Salvini

Während sich Salvini innenpolitisch geradezu als Brandstifter betätigt, gibt er außenpolitisch nun plötzlich den Friedensapostel. Der Lega-Chef hat angekündigt, nächste Woche in die Ukraine oder zumindest an die polnisch-ukrainische Grenze zu fahren, um dort für den Frieden zu werben. "Ich habe keine Angst, mich für den Frieden zur Verfügung zu stellen", erklärte der Lega-Chef am Donnerstag nach einem Treffen mit dem ukrainischen Botschafter in Rom, Jaroslaw Melnyk. "Ich verbringe den größten Teil meiner Zeit damit, einen verheerenden, planetarischen nuklearen Krieg abzuwenden. Ich will etwas tun, was hilft und Lösungen bringt", betonte Salvini, der noch vor kurzem Russlands Präsident Wladimir Putin als "größten Staatsmann der Welt" bezeichnet hatte.

Angesichts der hunderttausenden Menschen, die in der Ukraine vor dem von seinem früheren Idol befohlenen Bombenhagel in Richtung Westen fliehen, hat Salvini auch unvermittelt sein Herz für Flüchtlinge entdeckt. "Ich stehe im Kontakt mit verschiedenen Organisationen vor Ort, um anlässlich meines Besuchs Dutzende von Kindern, Kranken, Witwen und Waisen nach Italien zu bringen", erklärte Salvini, der als damaliger Innenminister 2018 die Häfen für Flüchtlingsboote noch rigoros geschlossen hatte.

Der plötzliche Friedensaktivismus des Lega-Chefs hat in Italien ironische Kommentare ausgelöst. "Unser guter Salvini soll lieber nach Moskau gehen, bei seinem Freund Putin um eine Unterredung bitten und einen Waffenstillstand fordern", befand etwa Gianfranco Librandi, Abgeordneter der Mittepartei Italia Viva. (Dominik Straub, 4.3.2022)