Als Ägypten und Syrien im Oktober 1973 Israel attackierten, ging eine Ära in der Weltwirtschaft zu Ende: Das darauffolgende Erdölembargo stoppte den Boom der Nachkriegsjahre in den Industriestaaten.

Die Vervierfachung des bis dahin so niedrigen Ölpreises führte zu Jahren von hoher Inflation und Rezession. Etwas weniger dramatisch, aber immer noch massiv waren die Folgen des zweiten Ölschocks, ausgelöst durch den Krieg zwischen Iran und Irak ab September 1980.

So manche Fabrik in Europa leidet unter Lieferschwierigkeiten für wichtige Vorleistungen oder muss wieder höhere Preise schlucken.
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Als Saddam Hussein zehn Jahre später in Kuwait einfiel, gab es ähnliche Ängste. Aber die Folgen für die Weltwirtschaft waren weitaus milder, ebenso nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 und dem Einmarsch der USA im Irak eineinhalb Jahre später. Die Kriege der vergangenen Jahrzehnte führten zwar stets zu Turbulenzen auf den Finanzmärkten, erwiesen sich aber als weniger belastend für die Weltwirtschaft als etwa die Finanzkrise von 2008 oder die erste Phase der Corona-Pandemie 2020.

Ausfall in den Lieferketten

Diesmal könnte es allerdings anders sein, warnt Harald Oberhofer, Experte für internationale Wirtschaft am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Denn mit dem Krieg in der Ukraine falle ein wichtiger Puzzlestein in den Lieferketten der europäischen Industrie aus und mit den Sanktionen gegen Russland eine große Volkswirtschaft, die für ungefähr drei Prozent der globalen Wirtschaftsleistung verantwortlich sei. "Die wirtschaftliche Ausgangsposition war gut, aber plötzlich haben wir einen Krieg, mit dem niemand gerechnet hat", sagt Oberhofer. "Wir hatten in einer extrem verflochtenen Weltwirtschaft noch nie ein so großes, wichtiges Land im Kriegszustand wie Russland."

Wie stark sich der Ukraine-Krieg auswirken wird, hängt vor allem von seiner Dauer ab. Kurzfristig wirken sich die höheren Öl- und Gaspreise negativ aus; sie werden die Inflation weiter anheizen und das Wachstum belasten. Durch den Ausfall von Weizenlieferungen aus der Ukraine dürften auch Lebensmittel teurer werden.

Dazu kommt, dass wichtige Lieferungen für die Industrie ausbleiben, vor allem aus der Ukraine. Fabriken stehen deshalb bereits still, etwa der Lkw-Produzent Steyr Automotive und andere Fahrzeugbauer. Die Lieferkettenprobleme, unter denen die Welt als Folge der Corona-Pandemie schon leidet, dürften sich verschärfen. Auch das lässt die Preise weiter steigen.

Verflechtungen

Und schließlich geht durch die Sanktionen ein Großteil des Geschäfts mit Russland verloren, das für manche Branchen wichtig und profitabel war. Davon sei Österreich stärker betroffen als viele andere EU-Staaten, weil seine Unternehmen stärker in Russland und in Osteuropa engagiert seien, sagt Oberhofer.

Insgesamt trifft die Krise die EU massiver als die USA, die viel weniger mit der Region verflochten sind. Und China könnte sogar als Gewinner aussteigen, wenn Russland Handel und Investitionen nach Osten ausrichtet, sagt Oberhofer. "China hat schon seit 2014 profitiert, denn wir würden mit Russland ohne die damals verhängten Sanktionen um 40 Prozent mehr Handel betreiben."

Der Preisauftrieb bei Energie stürzt vor allem die Zentralbanken in einen Zielkonflikt. Denn die explodierenden Preise für Öl und Gas sind ein klassischer Angebotsschock, der sowohl die Inflation anheizt als auch zu mehr Arbeitslosigkeit führen kann.

Inflationsschock

Sollen die Notenbanken die Zinsen erhöhen, um die Preisstabilität zu sichern, oder bei der ultralockeren Geldpolitik bleiben, um die Konjunktur nicht abzuwürgen? Denn wenn jetzt die Zinsen in den USA und der Eurozone deutlich steigen, wie das angesichts der hohen Inflation viele erwarten, würde das die ohnehin schon nervösen Unternehmen weiter verunsichern und die Investitionen dämpfen.

"Das ist eine böse Situation", sagte der französische Ökonom Jean Pisani-Ferry vor kurzem bei einer Diskussion des Brüsseler Thinktanks Bruegel, den er einst geleitet hat. "Zuerst haben wir einen Inflationsschock, und dann kommt ein Vertrauensschock dazu."

Dieses Dilemma ist in Europa besonders akut, das seine Energie großteils importieren muss. Solange der Preisauftrieb nur von den Energiepreisen ausgehe, könne die Europäische Zentralbank (EZB) mit Zinserhöhungen noch etwas abwarten, sagt Pisani-Ferry. Doch sobald auch andere Güter teurer würden und schließlich in die Lohnverhandlungen einflössen, müsse die Notenbank handeln.

Höhere Staatsausgaben

Doch es gibt auch gute Nachrichten für die Konjunktur: Die Staaten werden in nächster Zeit mehr Geld ausgeben, etwa für Rüstung, für die Betreuung ukrainischer Flüchtlinge und für Investitionen in erneuerbare Energien, um so die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zu verringern – und natürlich um die Klimaziele zu erreichen. Pisani-Ferry rechnet in der EU mit Zusatzausgaben von ein bis zwei Prozent der Wirtschaftsleistung, die höhere Zinsen ausgleichen könnten. Kurzfristig würde man das mit Schulden finanzieren, längerfristig aber seien Steuererhöhungen oder zumindest eine konsequentere Steuereintreibung notwendig, glaubt er.

Allerdings, warnt der spanische Ökonom Luis Garicano, könnte die Mischung aus höheren Zinsen und höheren Schulden die Eurozone destabilisieren. Denn während Deutschland und andere Eurostaaten im Norden das Vertrauen der Finanzmärkte behalten würden, könnte der Süden wieder von steigenden Zinsen auf seine Staatsschulden getroffen werden, sagt Garicano, der für die Liberalen im EU-Parlament sitzt. "Wenn die Spreads auseinandergehen, dann muss man wieder um den Euro fürchten."

DER STANDARD

Für Garicano gibt es hier nur eine Lösung: "Wir brauchen eine Antwort der europäischen Fiskalpolitik." Er empfiehlt der EZB, die Zinsen zwar vorsichtig zu erhöhen, aber den Ankauf von Staatsanleihen (QE) noch beizubehalten. Außerdem müssten die südlichen Eurostaaten dazu gebracht werden, die in der Eurokrise gewonnene Ausgabendisziplin beizubehalten. Der beste Weg dorthin seien nicht die Strafandrohungen in den Euro-Verträgen, sondern starke Anreize durch EU-finanzierte Zuschüsse, wie sie das Wiederaufbauprogramm nach der Corona-Pandemie vorsehe.

Teure Energiewende

Allerdings können gerade die höheren Staatsausgaben das Inflationsproblem verschärfen, warnt Oberhofer vom Wifo. "Die Ursache für die Inflation ist die Verknappung von Gütern, da hilft es gar nicht, wenn die Nachfrage steigt." Auch die Investitionen in die Energiewende kosten viel Geld und verteuern daher die Elektrizität, sagt Oberhofer. Helfen würde hier ein stärkerer Einsatz von Atomkraft, etwa wenn Deutschland seine letzten Kernkraftwerke im Betrieb lässt oder gar stillgelegte AKWs wieder anwirft.

Aber selbst, wenn die Öl- und Gaspreise in den kommenden Monaten weiter steigen, würde das die Weltkonjunktur heute weniger hart treffen als in früheren Jahrzehnten. Zwar ist der globale Verbrauch fossiler Brennstoffe gestiegen, aber weniger stark als das BIP. Die sogenannte Ölintensität der Wirtschaftsleistung ist seit den 1970er-Jahren um mehr als die Hälfte gesunken, und das stetig. Das liegt daran, dass die energiefressende Schwerindustrie immer weniger Bedeutung für den Wohlstand hat, smarte Technologien und Dienstleistungen hingegen immer mehr.

Die von der Klimakrise angetriebene Abkehr von fossilen Brennstoffen sollte diesen Trend in den kommenden Jahren noch weiter beschleunigen. Das würde nicht nur die Abhängigkeit Europas von Russland und anderen Diktaturen verringern, sondern auch die Wirtschaft widerstandsfähiger gegenüber Energiepreisschwankungen machen. Dies ist allerdings ein längerfristiger Trend, betont Oberhofer. "Kurzfristig ist die Nachfrage nach Energie sehr unelastisch. Die Haushalte müssen geheizt werden. Und die Preiseffekte muss man einfach aushalten." (Eric Frey, 5.3.2022)