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Im Jahr 2014 war noch alles Eitel Wonne: Sophie Karmasin, Familienministerin, umringt von ihren ÖVP-Kollegen Manfred Jurazcka, Johanna Mikl-Leitner, Reinhold Mitterlehner und Sebastian Kurz (von links).

Foto: Starpix/Picturedesk

Eine frühere Ministerin in Untersuchungshaft: Das ist sogar in der an Turbulenzen reichen österreichischen Innenpolitik ein Novum. Noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik wurde ein ehemaliges Regierungsmitglied wegen Tatbegehungs- und Verdunkelungsgefahr während eines laufenden Ermittlungsverfahrens verhaftet. Doch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hegt schwere Verdachtsmomente gegen Sophie Karmasin und befürchtet, dass diese Zeugen beeinflussen oder Beweise vernichten könnte. Eine "Neigung zu Absprachen" sieht die WKStA genauso wie immer wieder neue Ideen für strafrechtlich relevante Geschäftsmodelle, die Karmasin entwickelt haben soll.

So soll sie nicht nur in der Umfragenaffäre rund um Scheinrechnungen und Bestechung im Finanzministerium eine zentrale Rolle spielen, sondern zusätzlich bis mindestens Sommer 2021 ein illegales Modell angewandt haben, um an Regierungsaufträge für ihr Unternehmen Karmasin Research & Identity zu gelangen. Sie habe befreundete Meinungsforscherinnen wie ihre frühere Assistentin Sabine B. dazu aufgefordert, Scheinangebote ans Sportministerium zu legen, um ihr eigenes Angebot besser dastehen zu lassen, vermuten Ermittler.

Auf 44 Seiten beschreibt die Oberstaatsanwältin Christina Jilek, die gerade zur WKStA zurückgekehrt ist, die vielen Vorwürfe gegen Karmasin. Sowohl das Verfahren gegen die frühere Ministerin als auch der Karriereweg von Jilek zeigen exemplarisch, wie sich die Gemengelage verändert hat.

Jilek war im Herbst 2020 in den Richterstand gewechselt, da ihr bei Ermittlungen vor allem in politiknahen Causen zu viele Steine in den Weg gelegt worden waren. Das hatte sie in einer aufsehenerregenden Aussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss beschrieben, danach das Antikorruptionsvolksbegehren mitinitiiert. Beides war mit ein Grund dafür, dass die grüne Justizministerin Alma Zadić einige kleine Reformen und organisatorische Änderungen in der Justiz vornahm. Mittlerweile muss die WKStA der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien nicht mehr im Voraus über geplante Hausdurchsuchungen berichten. Die Fachaufsicht über Ibiza-Ermittlungen wanderte zu einem Staatsanwalt der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck; der bei der WKStA verhasste Sektionschef Christian Pilnacek ist mittlerweile suspendiert worden.

Auch die öffentliche Stimmung hat sich verändert: Versuchte die ÖVP im Vorjahr noch, die WKStA anzugreifen und deren Ermittlungen zu diskreditieren, lässt sich die Substanz der Verdachtsmomente mittlerweile nicht mehr von der Hand weisen.

Ministerien als Bauchladen

Das liegt vor allem an zwei Verfahren, der Causa Wolf und eben dem Fall Sabine B., der nun auch zur Festnahme von Sophie Karmasin geführt hat. Letzteres zeigt exemplarisch, wie in ÖVP-geführten Ministerien Steuergeld für parteipolitische Zwecke verwendet wurde. Sabine B., Karmasins frühere Assistentin, gestand in ihren Einvernahmen, dass sie unrechtmäßig vom Finanzministerium für parteipolitische Umfragen bezahlt worden war; andere Beschuldigte bestreiten die Vorwürfe. Fakt ist, dass auch die Interne Revision des Finanzministeriums heftige Kritik am Umgang mit B.s Studien geäußert hatte.

Die Ermittlungen rund um den Unternehmer Siegfried Wolf und dessen Interventionen wegen einer Steuernachzahlung illustrieren hingegen, welchen Zugang ÖVP-nahe Unternehmer zu Entscheidungsträgern in Ministerien hatten. Beide Fälle werden auch im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss prominent behandelt. Schon in den ersten medienöffentlichen Befragungen, die diese Woche stattgefunden haben, waren Wolf und Sabine B. immer wieder Thema.

Neue Erkenntnisse gab es jedoch kaum, da viele Fragen durch den Ausschussvorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP) und durch Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl nicht zugelassen wurden. Die SPÖ stellte etwa in den Raum, dass die ÖVP mit anderen Umfrageinstituten abseits von Karmasin und Sabine B. "Deals" hatte, nämlich Rabatte für ÖVP-Aufträge im Gegenzug für öffentliche Aufträge. Diese Fragen musste Nehammer jedoch nicht beantworten, da sie für Sobotka und Pöschl zu wenig präzise waren und nicht in den Untersuchungsgegenstand fielen.

Erkenntnisse in der Causa Wolf erhofften sich die Abgeordneten von Eduard Müller, einst Sektionschef im Finanzressort und dann dort Übergangsminister. Aber auch Müller gab sich relativ zugeknöpft. Problematische Aufträge schrieb er vor allem dem damaligen Generalsekretär Thomas Schmid zu, der inzwischen ohnehin als Sündenbock für alle Korruptionsverdächtigungen bei der ÖVP herhalten muss.

Dass einzelne Befragungen im U-Ausschuss eine spektakuläre Wende bringen würden, ist ohnehin eines der großen öffentlichen Missverständnisse zu diesem parlamentarischen Instrument. Es ist die Zusammenschau aus Akten, Kontrolle der strafrechtlichen Ermittlungen und Befragungen, die sich zu einer Lawine entwickeln kann – so wie zuletzt beim Ibiza-Untersuchungsausschuss.

Der Fall Kurz

Der hatte auch seinen Teil dazu beigetragen, dass im Herbst 2021 die Kanzlerschaft von Sebastian Kurz beendet wurde. So hatte ihm seine Aussage vor dem U-Ausschuss ein Verfahren wegen des Verdachts auf Falschaussage eingebrockt, das noch immer läuft. Es lässt sich auch argumentieren, dass ohne die Erkenntnisse des Ausschusses zu justizinternen Querelen die WKStA nicht so unbeeinflusst in der Umfragenaffäre hätte ermitteln können. Wegen dieser musste Kurz schlussendlich zurücktreten: Die Verwicklung seiner Berater und seines Pressesprechers in die Tätigkeiten von Sabine B. sowie Kurz' Chats zur Demontage des damaligen ÖVP-Obmanns Reinhold Mitterlehner waren für die Grünen zu belastend, um mit Kurz als Kanzler die Koalition fortführen zu können.

Doch wie steht es um Kurz' Verfahren eigentlich heute, nach dem ausführlichen Geständnis von Sabine B. und der Festnahme von Sophie Karmasin?

Die Antwort ist für alle Seiten unbefriedigend, nämlich: unverändert. Kurz wurde durch B.s Aussagen insofern etwas entlastet, als sie angab, ihn nie persönlich gesprochen zu haben. Dass Kurz direkt an B. Aufträge vergab, hatte die WKStA aber ohnehin nie vermutet. Das sei über andere aus seinem Umkreis erfolgt, denken die Ermittler: etwa über Sophie Karmasin, die in einer E-Mail an B. die Absage einer Umfrage damit begründet hatte, dass Kurz "nervös" sei. Die Smoking Gun ist das aber auch nicht.

Summa summarum: Die WKStA ermittelt hier gegen Kurz, weil er in diesem Strang der Umfragenaffäre der große politische Profiteur der inkriminierten Handlungen war. Die positive Berichterstattung in der Boulevardzeitung Österreich, die ein Inserate- und Medienkooperationsdeal mit dem Finanzministerium gesichert haben soll, die Erkenntnisse aus B.s Umfragen für die parteipolitische Arbeit und so weiter und so fort: All das habe zum Aufstieg von Kurz in Richtung ÖVP-Spitze und Kanzleramt beigetragen, argumentiert die WKStA.

Allerdings fehlt nach wie vor der Beleg, dass Kurz klare Kenntnisse über dieses System hatte oder es aktiv forderte oder förderte. Dafür gibt es lediglich einzelne Indizien, die zwar aus Sicht der meisten Strafrechtsexperten einen Beschuldigtenstatus rechtfertigen. Mehr – also eine Anklage mit Aussicht auf Verurteilung – derzeit aber nicht. Kurz selbst bestreitet die Verdächtigungen mit Nachdruck.

Er muss sich allerdings den politischen Vorwurf machen lassen, dass sich in seiner Ära als Parteichef und Kanzler zahlreiche fragwürdige Entwicklungen in ÖVP-geführten Ministerien zugetragen haben. Die Liste an Ermittlungsverfahren ist lang, jene an untersuchungswürdigen Vorgängen noch länger. Durch den ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss, der gerade erst begonnen hat, dürfte sich diese Problematik für die Volkspartei nicht entschärfen. Kommende Woche geht es dort gleich prominent weiter: Neben dem WKStA-Gruppenleiter Bernhard Weratschnig sind einige hochrangige Beamte aus dem Finanzministerium geladen worden. (Fabian Schmid, 4.3.2022)