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Viele Legenden ranken sich um Stonehenge, manche davon lassen sich wohl auf einen wahren Kern zurückführen.

Foto: REUTERS/Toby Melville

Der berühmteste neolithische Steinkreis der Welt gilt sicherlich auch als einer der am besten untersuchten. Obwohl sich die Schleier der Vergangenheit da und dort lichten, sind viele Fragen rund um das viereinhalbtausend Jahre alte Monument auf der Hochebene von Salisbury in Südengland immer noch offen. Aus archäologischer Sicht ist die Legenden-umrankte urzeitliche Stätte ein Sorgenkind: Millionen Besucher verwischten in den vergangenen Jahrhunderten kostbare historische Spuren, die viel über Ursprung und Verwendungszweck des Bauwerks verraten hätten.

Sonnenanbeter und moderne Druiden

Obwohl man sich seit 1901 nur mehr gegen Eintrittsgeld dem Steinkreis nähren darf, dauerte es bis 1978, ehe zusätzliche Zäune verhinderten, dass zu viele Besucher zwischen den Monolithen gleichzeitig umherspazierten. Dennoch durfte man bis in die 1980er-Jahre gegen Bargeld ungehindert bis ins Allerheiligste vordringen – mit den entsprechenden schädlichen Folgen für das Bauwerk. Solche Massenaufläufe beschränken sich mittlerweile auf die Wintersonnenwende. Dutzende Sonnenanbeter, moderne Druiden und Schaulustige versammeln sich am 22. Dezember zu Sonnenaufgang mit dem Segen der English Heritage im Schatten der gewaltigen Steine.

Dass ihre Errichtung tatsächlich mit dem Lauf der Sonne zu tun haben könnte und als eine Art Kalender fungiert hat, wird schon seit längerem angenommen. Eine nun im Fachjournal "Antiquity" vorgestellte Studie liefert plausible Anhaltspunkte, wie der Kalender funktioniert haben könnte.

Wechselhafte Geschichte

Bisherige Ausgrabungen legen nahe, dass der Ort, an dem heute Stonehenge steht, bereits vor 11.000 Jahren eine rituelle Bedeutung für die damaligen Menschen besessen hat. Die ältesten, zu Beginn noch einfacheren Strukturen aus einem kreisrunden Erdwall mehreren Graben werden von der Forschung auf etwa 3100 bis 2900 vor unsere Zeitrechnung datiert. Zu dem megalithischen Monument, das wir heute kennen, wurde Stonehenge ab 2400 vor unserer Zeit, wobei es im Laufe der Jahrhunderte zu häufigen radikale Umgestaltungen kam.

"Die klare Ausrichtung zur Sonnenwende hat schon früh zur Vermutung geführt, dass die Stätte eine Art Kalender enthielt", sagt Timothy Darvill von der Bournemouth University. Nun zeige sich, dass der Kalender auf einem tropischen Sonnenjahr von 365,25 Tagen basiert. Die entscheidende Information lieferten die riesigen Sandsteinblöcken, die sogenannten Sarsen, die während derselben Bauphase errichtet wurden und aus demselben Gebiet bezogen wurden. Dies deute laut Darvill darauf hin, dass sie als eine Einheit gearbeitet haben.

Jedes Jahr zur Wintersonnenwende lässt English Heritage Dutzende moderne Druiden und Schaulustige ins Allerheiligste von Stonehenge.
Foto: EPA/JON ROWLEY

10-Tage-Wochen

Aus diesem Grund konzentrierte sich der Wissenschafter vor allem auf diese Steine und verglich sie mit anderen kalendarischen Steinfomationen aus dieser Zeit. Dabei zeichnete sich ein System ab, das den früheren Einwohnern von Wiltshire dabei geholfen haben könnte, die Tage, Wochen und Monate im Blick zu behalten. "Unser vorgeschlagener Kalender funktioniert sehr einfach: Jeder der 30 Steine im Sarsen-Kreis repräsentiert einen Tag innerhalb eines Monats, der wiederum in drei Wochen mit jeweils 10 Tagen unterteilt ist", erklärt Darvill.

Zusätzlich wurden ein Schaltmonat von fünf Tagen und ein Schalttag alle vier Jahre benötigt, um dem Sonnenjahr zu entsprechen. "Der Schaltmonat, der wahrscheinlich den Gottheiten des Ortes gewidmet war, wird durch die fünf Trilithe, torähnliche Konstruktionen aus drei Steinen, im Zentrum der Stätte repräsentiert", meint Darvill. Aus diesem Grund würden die Winter- und Sommersonnenwende alljährlich Jahr von denselben Steinpaaren eingerahmt. Diese Ausrichtung hilft auch bei der Kalibrierung des Kalenders: Fehler beim Zählen der Tage wären leicht erkennbar, da die Sonne zur Sonnenwende am falschen Ort stehen würde.

Import aus dem Osten

Kalender mit 10-Tage-Wochen und zusätzlichen Monaten mag heute ungewöhnlich erscheinen, war aber bei vielen Kulturen in Verwendung. "Ein solcher Sonnenkalender wurde im östlichen Mittelmeerraum bereits vor 5.000 entwickelt", so Darvill. Möglicherweise sei der in Stonehenge verwendete Kalender von einer anderen Kultur übernommen worden, vermutet der Wissenschafter. Zumindest lassen einige Funde aus der Umgebung der Anlage von Stonehenge auf entsprechende kulturelle Verbindungen schließen. (tberg, 6.3.2022)