Seit zwei Monaten ist Victoria Reggie Kennedy US-Botschafterin in Wien. Für eine ausführliche Einarbeitungsphase lassen ihr die aktuellen politischen Entwicklungen aber kaum Zeit. Auch in Wien überlagere das Thema des "brutalen, vorsätzlichen und ungerechtfertigten Angriffs auf die Souveränität der Ukraine" alle anderen diplomatischen Themen.
Die Gefahr, dass auch die Nato und damit die USA in den Konflikt hineingezogen würden, sieht Kennedy als real an. "Die Nato strebt natürlich keine militärische Konfrontation mit Russland an". Sollte ein Nato-Land angegriffen werden, würde sofort der Bündnisfall eintreten: "Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle. Hier war auch US-Präsident Joe Biden sehr klar." Eine Entscheidung über einen schnellen Nato-Beitritt der Ukraine liege jedenfalls ganz allein bei der Nato, betont die Witwe des früheren US-Senators Edward Kennedy.
Umfassende Sanktionen
Kennedy hob naturgemäß die Rolle von Biden und den US-Geheimdiensten in den Tagen und Wochen vor der russischen Invasion hervor. Mit nie dagewesener Offenheit hätten die USA Informationen mit den Verbündeten über die realen Absichten Putins geteilt. Das habe jedenfalls dazu geführt, dass ein umfassendes Sanktionspaket hatte vorbereitet werden können.
Bis die Sanktionen in ihrer gesamten Dimension greifen, dauere es zwar noch – dennoch seien sie jedenfalls historisch. "Die Einheit des Westens ist die machtvolle Botschaft an Putin", so Kennedy. Man sehe das nicht nur auf der politischen und wirtschaftlichen Ebene, sondern auch in Bereichen wie Kultur und Sport.
Die Aufforderung des republikanischen Senators Lindsey Graham an die russische Bevölkerung, doch jetzt aktiv zu werden "und diesen Typen aus dem Weg zu schaffen", war am Freitagmorgen noch nicht bis zur Botschafterin vorgedrungen. "Ich habe davon noch nichts gehört", sagt sie. Am Donnerstagabend hatte Graham eine Resolution in den US-Senat eingebracht, mit der Putin und seine Armeeführung wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden sollen.
Als gutes Zeichen sieht Kennedy an, dass sich innerhalb Russlands der Widerstand von Teilen der Zivilbevölkerung trotz großer Risiken regt. Ihre langjährige Freundschaft mit Joe Biden hofft Kennedy auch zum Vorteil für Österreich nutzen zu können. Im Weißen Haus sei man aber gerade mit den "Problemen in der Welt" beschäftigt.
(Manuela Honsig-Erlenburg, 4.3.2022)