Die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky schreibt in ihrem Gastkommentar über die vielen Stolpersteine, die es im Gesundheitsressort gibt.

Seit 2014 wurden acht Gesundheitsministerinnen und -minister angelobt, wobei die längste Verweildauer im Amt bei 586 Tagen lag. Wenn man bis 2000 zurückschaut, finden sich gesamt 14 Ministerinnen und Minister, was einer durchschnittlichen Verweildauer von unter zwei Jahren entspricht. Woran liegt es, dass es offenbar unmöglich scheint, nur eine einzige gesamte Regierungsperiode in diesem Ressort durchzuhalten?

Sind aller guten Dinge drei? Nach Rudolf Anschober ist mit Wolfgang Mückstein schon der zweite grüne Gesundheitsminister zurückgetreten.
Foto: Christian Fischer

Die einfachste Antwort wäre, die Schuld der Unfähigkeit der jeweiligen handelnden Person zuzuschieben. Das ist jedoch bei näherer Betrachtung der einzelnen Ministerinnen oder Minister nicht zulässig, da sich in diesem Potpourri fast alle Varianten von Kompetenzen und Menschen finden. Männer, Frauen, älter, jünger, Mediziner, Berufspolitiker, Gewerkschafter, introvertierte Schreibtischarbeiter, extrovertierte bunte Vögel, Quereinsteiger.

Bleiben wir bei Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern und konstruieren wir einen ersten Grund. Dieser könnte sein, dass sie auffällig häufig in das Gesundheitsressort geholt wurden. Vielleicht weil man weiß, dass es in diesem Ressort kaum zu gewinnende Themen gibt, und man kein eigenes Kaderpersonal opfern will. Nur selbst engagierteste Quereinsteigerinnen oder Quereinsteiger erkennen in kurzer Zeit, dass die Funktion in der gesamten Breite Kompetenzen verlangt, die man weder im Fachbereich noch im Management kennengelernt hat. Übrigens etwas, auf das man auch nicht wirklich vorbereitet wird.

Betrifft alle

Eine zweite Erklärung ist die besondere Öffentlichkeitswirksamkeit dieses Ressorts. Gesundheit und Soziales trifft alle, und alle glauben, darüber Bescheid zu wissen. Dies wurde im Zuge der Corona-Pandemie besonders deutlich. Man kann aber in einer politischen Entscheidung nicht alle Bedürfnisse personalisiert befriedigen, und daher gibt es keine Entscheidung, die befriedigend für alle ist. Der Kompromiss, das Lieblingswort aller Politikerinnen und Politiker, wird hier zum Stein des Anstoßes der Bevölkerung gegen den Amtsinhaber.

Ein weiterer Grund findet sich in der Größe und der Themenvielfalt des Ressorts. Zumeist ohne Staatssekretär müssen die Ressortministeroder -ministerinnen von Tierschutz bis zu Pflegegeld eine Fülle von Inhalten bespielen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und allesamt hohe gesellschaftspolitische Sprengkraft in sich tragen.

Gerade in den vergangenen Jahren veränderten sich auch die Rahmenbedingungen dramatisch, und das Thema der älter werdenden Gesellschaft stellte das Ressort vor fast unlösbare Herausforderungen an vielen Stellen zugleich. Die Pensionswelle der im Gesundheitswesen tätigen Boomergeneration einerseits und die verstärkte Nachfrage nach Betreuung und Unterstützung andererseits lassen uns schnell an die eierlegende Wollmilchsau denken. Man kann es vielleicht mit lauter kleinen Brandnestern vergleichen. Kaum hat man das Gefühl, ein Thema gelöst zu haben, facht ein leichter Windhauch den nächsten Brandherd an. Es wäre also überlegenswert, welche Themen innerhalb des Ressorts Sinn machen. Wahrscheinlich würde man dann schon einiges überschaubarer machen.

Der wichtigste Grund sind aber zweifellos die Machtlosigkeit und die fehlende gesetzlich verankerte Letztentscheidungskompetenz, die in diesem Ressort besteht. Durch die Eigenständigkeit der Bundesländer und den so oft zitierten Föderalismus, die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger, die große Macht und den Einfluss der Kammern sowie eine fast unüberschaubare Gesetzesfülle wird ein Verwaltungsdschungel erzeugt, der Einzelentscheidungen kaum möglich macht und daher enorm langsam agiert.

Macht der Länder

Warum der Föderalismus hier eine zentrale Rolle spielt, lässt sich leicht erklären. Die Spitäler in Österreich stehen unter dem Verantwortungsbereich der Bundesländer und können in Wahrheit kaum zentral über den Bund gesteuert werden. Der Versuch, dies über den österreichweit geltenden österreichischen Strukturplan Gesundheit zu steuern und hier keine Rücksicht auf Bundesländergrenzen zu nehmen, sondern Bedarfe zu definieren und zu befriedigen, wurde – ganz im Sinne des Föderalismus – durch neun regionale Pläne komplettiert, und damit war die Pattstellung wieder geschaffen. Es gibt ja auch neun Landeskrankenanstaltengesetze und ein Bundeskrankenanstaltengesetz.

Die Sozialversicherungsträger, als Financiers des Systems, wiederum schaffen in Abstimmung mit der Ärztekammer (also eigentlich den neun Landesärztekammern) die Landkarte des niedergelassenen Ärztesystems und der Honorierung. Auch hier kann ein Gesundheitsminister höchstens seine Vorschläge einfließen lassen, entscheiden kann er nicht. Neue, moderne Strukturen anzudenken ist in diesem System zwischen Geldknappheit (Sozialversicherung) und Machterhalt (Ärztekammer) kaum möglich.

Starke Kammern

Aber neben diesen großen Silos, die kaum miteinander kommunizieren und, wenn sie miteinander verhandeln, immer im Nullsummenspiel stehenbleiben, gibt es ja dann noch die Kammern. Mächtig geworden durch Übernahme von staatlichen Agenden, wie die Zulassung von Ausbildungsstellen in Krankenhäusern, was bei Verhandlungen immer ein wenig Druck ausübt und mit der Drohung, die Patientinnen und Patienten und damit die Wählerinnen und Wähler auf ihrer Seite zu haben, stehen sie deutlich einflussreicher als in vielen anderen Ländern vor den Türen des Gesundheitsministeriums. Das Desaster um Elga war so ein Beispiel, wo durch die damalige völlige Verweigerung der Mitarbeit durch die Ärztekammer eine gedeihliche Entwicklung einer richtigen und visionären Idee nicht wirklich umsetzbar war.

Ohne strukturelle, verfassungsrechtliche Veränderungen und eine klarere Zuordnung von Themen zu dem Ressort wird auch der nächste Minister scheitern. Und dann bleibt er eine "puppet on a string". (Andrea Kdolsky, 6.3.2022)