"Liebe EZB, bitte mach jetzt keinen Fehler!" Chefökonom Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank ist nicht der Einzige, bei dem am Ende einer desaströsen Börsenwoche die Nerven blankliegen. Einerseits droht der Weltwirtschaft durch die anhaltenden Kämpfe in der Ukraine ein herber Rückschlag, auf der anderen Seite müsste die Europäische Zentralbank (EZB) bei ihrer Zinsentscheidung am Donnerstag auf den zunehmenden Preisdruck reagieren, der durch die wegen des Krieges stark steigenden Rohstoffpreise weiter angefacht wird.

Zudem haben fast eineinhalb Wochen Krieg in der Ukraine Europas Aktienmärkten schwere Kursverluste eingebrockt. Im Gegenzug fliegen immer mehr Anleger in sogenannte sichere Häfen, in denen sie ihr Kapital in stürmischen Zeiten parken. Ein Überblick.

Aktienmärkte

Der Kampf um ein ukrainisches Atomkraftwerk hat die Anleger an Europas Aktienbörsen zu Wochenschluss in Angst und Schrecken versetzt. Die Furcht vor einer nuklearen Katastrophe infolge der russischen Invasion in der Ukraine wächst. "Der Vorfall zeigt, was alles in einem Krieg passieren kann, wie groß die Gefahr für ganz Europa und die Welt ist", sagte Jochen Stanzl vom Broker CMC Markets.

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In Frankfurt kann man den Kursen beim Fallen zusehen.
Foto: REUTERS/Ralph Orlowski

Die harten Sanktionen gegen Russland im Finanzsektor zogen auch am Freitag die europäischen Banken einmal mehr tief ins Minus. In den vergangenen vier Wochen hat der Bankensektor damit bereits fast ein Viertel seines Werts eingebüßt. Aber auch bei den Autowerten machten sich die wirtschaftlichen Folgen des Krieges deutlich bemerkbar. Der europäische Autoindex fiel auf den tiefsten Stand seit mehr als einem Jahr.

Nahe am Bärenmarkt

Seit dem Hoch Anfang Jänner ist der deutsche Leitindex Dax bereits um fast 19 Prozent auf den tiefsten Stand seit 14 Monaten abgerutscht. Damit fehlt nicht mehr viel, und die Frankfurter Börse ist offiziell in einen sogenannten Bärenmarkt gerutscht, also eine Phase fallender Kurse, was ab Verlusten von zumindest einem Fünftel der Fall ist. Die stärker von den Turbulenzen des Ukraine-Krieges betroffene Wiener Börse hat diese Marke mit einem etwa 25-prozentigen Minus längst übertroffen.

Auch die Wall Street konnte sich dem Abwärtssog durch den Ukraine-Krieg nicht gänzlich entziehen, wenngleich die Verluste deutlich geringer ausgefallen sind als auf dem alten Kontinent. Trotz einer schwächeren Eröffnung am Freitag liegt der Dow-Jones-Index gerade einmal zwei Prozent unter dem Stand der Vorwoche.

Sichere Häfen

Zuflucht suchten die Anleger unter anderem in der Weltleitwährung Dollar, während aus dem Euroraum Kapital abfließt. Das drückte den Wert der Gemeinschaftswährung unter die Marke von 1,09 Dollar, womit der Euro so wenig kostete wie seit Mai 2020 nicht mehr. Auch gegenüber dem Schweizer Franken gab er weiter ab, die eidgenössische Währung lag am Freitag nur noch hauchzart unter der Parität zum Euro.

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Die dunklen Wolken über den Marktplätzen treiben Anleger wieder in sichere Häfen.
Foto: Reuters/Pfaffenbach

Das Krisenmetall Gold setzte seinen Aufwärtstrend weiter fort und erreichte mit etwa 1960 US-Dollar den höchsten Stand seit November 2020. Für die Kryptowährung Bitcoin, die für manche auch als digitales Gold gilt, ging es jedoch wieder etwas abwärts. Nach wie vor stark nachgefragt blieben auch sichere Staatsanleihen. Das drückte die Rendite zehnjähriger deutscher Schuldtitel auf minus 0,08 Prozent. Mitte Februar war der Wert in Erwartung einer baldigen Straffung der EZB-Geldpolitik noch bei mehr als 0,3 Prozent gelegen.

Rohstoffe

Nach einer leichten Preiskorrektur bleibt die Lage an den Rohölmärkten angespannt. Zu Wochenschluss nahm der Preis für ein Fass des Nordseeöls Brent wieder Kurs auf die Marke von 115 US-Dollar pro Fass. Den zwischenzeitlichen Kursrückgang erklärt Commerzbank-Analyst Carsten Fritsch mit Hoffnungen auf eine Einigung bei den Atomgesprächen mit dem Iran: "Sollten daraufhin die Ölsanktionen aufgehoben werden, könnte der Iran schon kurzfristig 1,5 bis zwei Millionen Barrel Rohöl pro Tag zusätzlich an den Markt bringen."

Dennoch, seit Anfang Dezember haben die Kosten für ein Fass Brent um fast zwei Drittel zugelegt. Extrem teuer ist auch Erdgas. Der europäische Future verdoppelte seinen Kurs in der Spitze auf ein Rekordhoch von 199 Euro je Megawattstunde. Dies wirke wie eine Steuererhöhung für Unternehmen und Verbraucher, sagt Mark Dowding vom Vermögensverwalter BlueBay.

EZB vor heikelstem Moment

Neben dem Energiebereich kam es auch bei Agrarrohstoffen wie Weizen zu neuen Preisrekorden, ebenso bei etlichen Industriemetallen wie Aluminium, Zinn oder Zink. All dies deutet auf einen andauernd hohen Inflationsdruck hin, dem sich die EZB trotz der Unsicherheiten durch den Ukraine-Krieg in der kommenden Woche stellen muss. "Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass die Europäische Zentralbank seit ihrer Gründung ihren heikelsten Moment vor sich hat", meint Ökonom Gitzel. "Ein klares Bekenntnis zu einer geldpolitischen Straffung wird es vermutlich nicht geben." (Alexander Hahn, 4.3.2022)