"Ehrlich gesagt, gab es sogar Momente, in denen ich alles hinter mir lassen und als Weinbauer in Italien oder Frankreich leben wollte."

Foto: DAN MOLLER

Bild nicht mehr verfügbar.

Peter Gade hatte ein besonders "gutes Händchen", wie man im Badminton sagt. Der Däne ist in seiner Heimat und in Asien ein Superstar.

Foto: AP/Andres Leighton

Es wirkt, als wäre dem Badminton-Gott bei der Verteilung der weltweiten Erfolge der Finger ausgekommen. Einerseits sind da China, Japan, Indonesien, Malaysia und eben Dänemark. Die Dänen konnten lange als einzige europäische Nation der asiatischen Dominanz Paroli bieten, stellen in Viktor Axelsen aus Odense auch den aktuellen Olympiasieger im Einzel. Dänemarks Badminton ist aber mit einem Namen untrennbar verbunden: Peter Gade.

STANDARD: Dänemark ist das europäische Aushängeschild im Badminton. Das wirkt etwas willkürlich. Wieso ist der Sport so populär, warum sind dänische Spieler so gut?

Gade: Es hat viel damit zu tun, dass wir in Dänemark eine lange Badminton-Tradition haben. Wir sind das einzige Land, das es mit den asiatischen Ländern aufnehmen konnte. Aus dieser Tradition ist eine Kultur geworden. Junge Spieler haben Vorbilder, denen sie nacheifern, und ausgezeichnete Trainer, die sie ausbilden. Wenn man Weltmeister werden will, ist das nicht nur eine Frage des Talents. Es ist ein Lifestyle, man muss sein ganzes Leben diesem Ziel unterordnen.

This Is Badminton

STANDARD: Wie kommt es zu den unzähligen Badminton-Vereinen in Dänemark?

Gade: Die Vereinslandschaft ist einzigartig. Wir haben hunderte Hallen, in denen nur Badminton gespielt wird. In Europa ist es sonst üblich, dass Badminton vor allem in Multifunktionshallen stattfindet.

STANDARD: Das klingt alles recht einfach. Warum gelingt das nicht auch in anderen Sportarten wie etwa Tennis?

Gade: Das ist genau das, was ich mit Tradition und Kultur meine. Die gibt es in anderen Sportarten hier nicht in solch einem Ausmaß. Im Tennis oder Golf geht der Erfolg über den individuellen Aufwand, das Engagement des Einzelnen. Also, wie viel die Eltern von Caroline Wozniacki investiert haben, um sie zur Nummer eins der Tenniswelt zu machen. Sie ist aber kein Produkt der Vereinsstrukturen. Die gibt es hier sonst nur im Fußball und Handball.

STANDARD: In Österreich ist Badminton eine Randsportart. Was würden Sie raten, um das zu ändern?

Gade: Die Lösung liegt in der langfristigen Planung. Und dazu gehört viel Mut. Man muss gute Trainer finden, die keine Angst vor dieser Langfristigkeit haben. Der Erfolg muss sich nicht in drei Monaten, sondern in fünf Jahren einstellen. In fünf Jahren wollen wir dort und dort sein, wir wollen eine Gruppe an Spielern haben, die die Basis für Erfolge ist. Da braucht es auch Investitionen und Förderungen, die nicht nur auf den schnellen, unmittelbaren Erfolg abzielen. Es braucht Geduld.

STANDARD: Sie haben kürzlich ein paar Tage das österreichische Talent Pascal Cheng trainiert. Wie ist Ihr Eindruck?

Gade: Er ist ein junger Spieler mit einem sehr natürlichen Gespür. Man sieht, dass er Badminton liebt. Wir haben vor allem an der Basis gearbeitet. Ich will als Trainer auch dafür sorgen, dass schlechte Ausreden, warum man Leistung nicht bringen kann, keinen Platz haben. Wenn man diesen Weg gehen will, gibt es nur harte Arbeit, keine Ausreden.

WAT Simmering

STANDARD: Sie haben Ihr gesamtes Leben bisher einem Sport, einer Tätigkeit gewidmet. Gab es Momente, in denen Sie Zweifel hatten?

Gade: Zweifel gab es vor allem unmittelbar nach dem Karriereende. Ich habe mich gefragt, welche Rolle Badminton von nun an in meinem Leben spielen soll. Ich wollte andere Dinge sehen und kennenlernen. Mir war aber auch klar, dass ich mein Wissen weitergeben will. Gleichzeitig hatte ich Angst, wieder und wieder das Gleiche zu tun. Du wirst ausschließlich als Badminton-Spieler wahrgenommen, und nach dem Karriereende startest du bei null. Es war ein interessanter, aber auch furchteinflößender Prozess.

STANDARD: Es klingt so, als wäre das Leben als Profisportler ein Korsett. Ist es das?

Gade: Es ist komplett durchstrukturiert, wie in einer Box, alles ist vorgegeben. Jetzt ist es mir wichtig, dass ich mich nicht wie in einer Box fühle. Ich liebe Musik, gutes Essen und guten Wein und habe jetzt die Möglichkeit, dass diese Dinge mehr Platz in meinem Leben haben. Ehrlich gesagt, gab es sogar Momente, in denen ich alles hinter mir lassen und als Weinbauer in Italien oder Frankreich leben wollte. Vielleicht mache ich das auch irgendwann. Diese Situation jetzt, mit der Akademie, gibt mir die Freiheit, die ich brauche. Als Nationaltrainer ginge das nicht.

STANDARD: Weltklasse-Athleten und -Athletinnen erzählen gerne davon, was sie aus ihrem Sport für ihr Leben gelernt haben. Was kann man von Badminton lernen?

Gade: Man könnte meinen, die Physis, die Fitness steht im Vordergrund, aber sie ist nur symbolisch. Im Badminton muss man ein hohes Ausmaß an Verantwortung übernehmen. Tut man das nicht, passiert einfach nichts. Den Großteil der Karriere ist man alleine. Wenn man aber von diesem Sport leben will, muss man an die Weltspitze. Das Mentale, der Umgang mit Aufs und Abs und mit Druck sind entscheidend. Und man muss sich bewusst sein, dass ein normales Leben nicht möglich ist. Also braucht es auch ein gewisses Maß an Verrücktheit.

STANDARD: Viele Menschen haben aber Angst vor der Einsamkeit.

Gade: Es hilft beim Bewusstsein, dass man schwierige Situationen selbst überwinden kann. Du weißt, dass du die Fähigkeiten hast, dich selbst rauszuziehen. In meinem Leben gab es nur das nächste Spiel, das nächste Turnier. Wenn du nicht gewinnst, ist es eine Enttäuschung. Das Komische ist, dass man sich an dieses Auf und Ab gewöhnt, es wird zum Alltag. Es gab Zeiten, da lief alles super, keine Probleme, und ich fühlte mich unwohl dabei, misstraute der Situation. Es war fast eine Erleichterung, wenn etwas Schlechtes passiert ist. Mein Kopf war dann im Kampfmodus: Ich muss das und das tun, um wieder rauszukommen.

STANDARD: Was braucht der perfekte Badminton-Spieler, die perfekte Spielerin unbedingt?

Gade: Badminton ist ein komplizierter Sport. Es geht nicht um einzelne Fähigkeiten, auf der physischen Seite muss man Ausdauer und Explosivität perfektionieren. Und die mentale Seite: Es gibt da schließlich noch einen Gegner. Badminton ist ein Kampf gegen den Gegner und gegen einen selbst. Ja, Talent ist wichtig, aber das Wichtigste ist der Wille, in schwierigen Situationen alles zu geben. Die besten Spieler haben in besonders fordernden Situationen dieses Feuer in den Augen.

STANDARD: Die Pandemie dauert nun schon mehr als zwei Jahre. Dänemark hat eine hohe Impfquote, es wirkt, als wäre die Gesellschaft zusammengerückt. Was ist das Geheimnis?

Gade: Ich glaube, es sieht von außen besser aus, als es wirklich ist. Es war auch hier ziemlich schwierig. Die Regierung war sehr initiativ, hat viel vorgegeben, und das mögen wir Dänen eigentlich nicht so. Auf der anderen Seite hat die Bevölkerung auch eingesehen, dass – obwohl man nicht mit allem einverstanden ist – man seinen Part zu einer funktionierenden Gesellschaft beitragen muss. Das zog sich über alle Schichten und Teile der Gesellschaft, dieser Gedanke: "Okay, auch ich muss meine Rolle erfüllen." (Andreas Hagenauer, 15.3.2022)