
Oleksandr Sintschenko spielt bei Manchester City.
Kiew/Moskau/Manchester – Der ukrainische Fußball-Profi Oleksandr Sintschenko (25) vom englischen Meister Manchester City bekommt die schrecklichen Bilder der russischen Invasion in seiner Heimat nicht mehr aus dem Kopf. "Ich weine nur noch. Es ist schon eine Woche her, aber selbst wenn ich mit dem Auto vom Trainingsgelände fahre, könnte ich aus dem Nichts weinen", sagte der 25-Jährige der BBC. Der Linksverteidiger hatte beim FA-Cup-Sieg gegen Peterborough sein Team als Kapitän angeführt.
Sorge um Familie
Jetzt ist alles außer dem Krieg für ihn nebensächlich. "Es ist alles in meinem Kopf. Stellen Sie sich den Ort vor, an dem Sie geboren wurden, an dem Sie aufgewachsen sind, und es ist alles zerstört", berichtete der 48-malige Nationalspieler. Er würde, wie andere ukrainische Sportler auch, in seiner Heimat kämpfen, will seine Familie in England aber nicht im Stich lassen: "Ich bin ehrlich, wenn nicht meine Tochter wäre, wäre ich da."
Enttäuscht ist Sintschenko, dass sich nach seiner Wahrnehmung bisher kein russischer Nationalspieler gegen die Invasion ausgesprochen hat. "Ich war überrascht, dass niemand, nicht einer von ihnen, etwas gesagt hat. Die meisten von ihnen spielen in der Nationalmannschaft und haben viele Follower auf Instagram, Facebook, wo auch immer. Und sie können vielleicht etwas tun, um diesen Krieg zu stoppen. Weil die Menschen sie hören können", sagte Sintschenko, der in seiner Jugend für den russischen Club FK Ufa und für Schachtar Donezk in der Ost-Ukraine spielte.
Sorge um Fußballerinnen
Indes wächst die Sorge um die Spielerinnen der ukrainischen Fußball-Nationalmannschaft von Stunde zu Stunde. "Sie erzählen uns nicht genau, wo sie sind, weil sie große Angst davor haben, von den Russen abgehört und ausspioniert zu werden", sagte Nationaltrainer Lluis Cortes der Süddeutschen Zeitung: "Sie sagen, es geht ihnen gut, das beruhigt uns. Aber die Situation ist schwer zu verstehen."
Wenige Tage vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hatte Cortes mit seiner Mannschaft das Turnier um den Turkish Women's Cup in Alanya gewonnen. "Eine unserer Spielerinnen hat noch vor ein paar Tagen eine Trophäe hochgehalten – nun wäscht sie Camouflage-Kleidung für das ukrainische Militär", sagte der Spanier.
Ein paar Spielerinnen seien nach dem Turniersieg in der Türkei geblieben, "weil sie mit ihren Vereinen dort Trainingslager hatten", erklärte Cortes: "Aber etwa die Hälfte des Teams ist zurück nach Kiew und am Mittwoch zu ihren Familien. Diese Spielerinnen haben das Land noch nicht verlassen, soweit ich weiß." Es sei gerade sehr gefährlich, sich in der Ukraine zu bewegen: "Sie verstecken sich in Bunkern und ländlichen Zonen, dort ist es am sichersten."
Heikle und unsichere Lage
Ob sich seine Spielerinnen aktiv an der Verteidigung ihrer Heimat beteiligen, weiß Cortes nicht: "Vielleicht tun sie das – und sagen es uns nicht. Es ist eine sehr heikle Situation." Die Spielerinnen könnten das Land verlassen, "aber viele von ihnen möchten das nicht. Sie denken: Wenn alle gehen, wer verteidigt dann ihre Heimat gegen die russische Invasion? Sie wollen bleiben, sie wollen helfen, wo sie können."
Er selbst habe zuletzt vor allem darüber nachgedacht, "wie wir Leben retten können", sagte Cortes. Seine Aufgabe als Nationaltrainer sei es nun nicht mehr, "mir Aufstellungen zu überlegen – sondern mich um die Gesundheit und das Leben meiner Spielerinnen zu kümmern". Er wisse nicht, was mit den Partien im April passieren wird: "Hoffentlich haben die Angriffe bis dahin aufgehört, und wir können spielen, weil das Leben wieder normaler ist. Aber ich habe große Zweifel, dass das möglich sein wird."
EPFL greift durch
Die Vereinigung der europäischen Fußball-Ligen hat unterdessen wegen der Invasion Russlands in die Ukraine die russische Premjer Liga und die National Liga ausgeschlossen. Wie die Interessenvereinigung am Freitagabend bekanntgab, begründete das zwölfköpfige Board of Directors die Entscheidung mit "den gegenwärtig außergewöhnlichen und tragischen Umständen".
Die Association of European Professional Football Leagues (EPFL) versteht sich als Stimme aller professionellen Fußball-Ligen in Europa und vertritt nach eigenen Angaben insgesamt 37 Ligen. (APA, dpa, red, sid, 5.3.2022)