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Die tschetschenische Hauptstadt Grosny lag nach dem russischen Angriff in Trümmern. In der Ukraine wird Ähnliches befürchtet.

Foto: AP/Sadulajew

Dem Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp war zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine vor allem eines wichtig: die tschetschenische Diaspora in Österreich zu kritisieren. Er forderte den Verlust des Aufenthaltstitels für Tschetschenen, die in der Ukraine gegen das russische Militär kämpfen.

"Dieses Verhalten belegt eindeutig, dass diese Menschen nicht vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, sondern sich lediglich ein besseres Leben auf Kosten der Wiener Steuerzahler erschlichen haben", behauptete Nepp unter Berufung auf einen "Krone"-Artikel, in dem ein anonymer Tschetschene von zwei Freunden berichtete, die sich angeblich in Richtung Ukraine auf den Weg gemacht hatten. Nepps Fokus zeigt einmal mehr, wie sehr die FPÖ dem Narrativ sowohl des russischen Präsidenten Wladimir Putin als auch des brutalen tschetschenischen Diktators Ramsan Kadyrow folgt.

Reise nach Grosny

Tatsächlich waren die Tschetschenen das erste Volk, das Putins Brutalität am eigenen Leib gespürt hat. In den frühen 2000er-Jahren flohen viele vor der russischen Invasion, später vor dem Regime der Kadyrows, die von Putin als Statthalter installiert worden waren. Es stimmt allerdings, dass nicht alle Kriegsflüchtlinge waren, sondern auch Anhänger der Kadyrows nach Österreich kamen, um Dissidenten zu überwachen und sich Sozialleistungen zu erschleichen.

Die FPÖ begann schon Ende der 2000er-Jahre enge Bande mit Moskau zu schmieden. Der damalige Parteichef Heinz-Christian Strache besuchte wiederholt russische Politiker, etwa den damaligen Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow. Im Jahr 2012 reiste Straches Stellvertreter Johann Gudenus gemeinsam mit Johannes Hübner (mittlerweile Bundesratsmitglied) in die tschetschenische Hauptstadt Grosny, um Ramsan Kadyrow persönlich zu treffen. Die FPÖ-Politiker konnten nun behaupten, mit eigenen Augen gesehen zu haben, dass Tschetschenien wiederaufgebaut und sicher sei.

Kadyrow prahlte hingegen damit, eine "offizielle Delegation" aus Österreich empfangen zu haben. Man hatte ein gemeinsames Ziel: Die FPÖ konnte im Einklang mit ihrer migrationskritischen Politik fordern, Tschetschenen abzuschieben. Kadyrow wollte seine geflohenen Gegner zurück, um ihnen in Tschetschenien den Prozess machen zu können. Berichte zahlreicher Menschenrechtsorganisationen haben erhellt, was das bedeutet: Folter, Haft ohne ordentlichen Prozess sowie Verschleppung und Mord.

Über eine Viertelmillion Flüchtlinge

Die Präsidentschaft von Wladimir Putin ist untrennbar mit dem zweiten Tschetschenien-Krieg verbunden: Im August 1999 ernannte ihn der damalige Präsident Boris Jelzin zum Ministerpräsidenten. Wenig später fanden in Moskau Bombenanschläge auf Wohnhäuser statt, bei denen 367 Menschen getötet wurden. Sie wurden tschetschenischen Terroristen zugeschrieben und als Grund für den neuerlichen Einmarsch in das Gebiet genannt. Allerdings gibt es deutliche Indizien dafür, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB in die Anschläge verwickelt war – dessen Chef bis August 1999: Putin.

Nachdem Putin am Abend der Jahrtausendwende zum russischen Präsidenten geworden war, startete er eine massive Offensive in Tschetschenien. Das führte zu bis zu 200.000 Toten und über einer Viertelmillion Flüchtlingen. Für russlandkritische Tschetschenen ist es daher keine Überraschung, wie Putin in der Ukraine agiert – sie beobachteten jahrelang mit Entsetzen, dass der russische Präsident trotz mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Tschetschenien international nicht isoliert war.

"Wir wissen besser als andere, welche Gefahr Russland für die Welt darstellt", sagt der Muslim Ediew, ein tschetschenischer Flüchtling, zum STANDARD. "Unsere Herzen sind beim ukrainischen Volk, und wir sind bereit, dessen Kampf gegen die russische Aggression in jeder Form zu unterstützen – außer militärisch. Denn wir haben nicht genug Söhne für alle Kriege dieses Planeten." Man sei "bereit zu helfen", sagt Rosa Dunajewa, Vertreterin der Republik Itschkerien in Österreich, die sich als Exilregierung der Tschetschenen sieht. Sie nennt Nepps Aussagen "außergewöhnlich zynisch" und weist darauf hin, dass mehrere Länder in Europa über die Möglichkeit nachdenken, ihren Bürgern den Zugang zur ukrainischen Fremdenlegion zu ermöglichen. "Die Ukraine verteidigt Europa und die Demokratie und verdient so viel Unterstützung wie möglich – politisch, ökonomisch und militärisch", so Dunajewa. (Kate Manchester, 7.3.2022)