Angenommen, wenn alle Kinder geliebt und umsorgt werden, wird es nie wieder Krieg geben: Welchen Beitrag könnten und sollten Väter in diesem Szenario leisten?

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Es fällt schwer, in diesen Tagen zu schreiben. Zu arbeiten, sich auszuruhen. Zu essen. Nicht zu essen. Einem geliebten Gesicht über die Wange zu streicheln. Einem geliebten Gesicht nicht über die Wange zu streicheln. Es fällt schwer, etwas anderes zu tun, als sich von den Nachrichten des Krieges in Agonie überwältigen zu lassen und daran nicht zu verzweifeln. Viele wehren sich dagegen, indem sie versuchen, eine versteckte Bedeutung hinter alldem zu erkennen. Eine inhärente Logik der Eskalation und der Gewalt. Die US-amerikanische Schauspielerin AnnaLynne McCord ist eine von ihnen. Sie veröffentlichte in den sozialen Netzwerken ein Video, in dem sie ein Gedicht darüber vorträgt, wie die Welt jetzt wohl aussähe, wenn sie die Mutter von Wladimir Putin wäre.

Sie spricht in diesem Gedicht davon, wie sie ihn geliebt und beschützt hätte, sodass die Welt jetzt ein besserer Ort wäre. Dass sie seinen Geist befreit hätte und er deshalb nicht auf die Idee gekommen wäre, Menschen mit Terror und Gewalt zu überziehen. Es ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Ereignis – nicht nur im Hinblick auf die Tatsache, dass einige Prominente gerne absurde Anlässe dafür finden, sich in den Vordergrund zu spielen und so zu tun, als würde sich alles nur um sie drehen.

Sondern auch weil sie sich mit ihrem Vortrag in eine ganze Reihe von Kommentaren, ja, in den Dienst einer Kulturtechnik stellt, die den schönen Titel "Warum Frauen und Mütter schuld sind, wenn ihre Männer und Söhne Scheiße bauen" trägt. Ein echter Klassiker: Mütter sollten dies, Mütter müssten das. Mütter sollten wissen, wie ekelhaft sich ihre Söhne in den sozialen Netzwerken mit Dickpics und anderen Übergriffen aufführen, damit das endlich aufhört. Mütter müssten sich viel mehr bei der Erziehung ihrer Söhne reinhängen, damit sie nicht zu brutalen Dicktatoren werden oder sich von denen zu Kriegswerkzeug instrumentalisieren lassen.

Ich weiß nicht. Irgendwie kann ich den Wunsch, dass es so einfach sein möge, und die Sehnsucht danach, dass diese Gewaltspirale endlich einmal endet, auch nachvollziehen. Aber dieses Abschieben von Verantwortung macht mich fertig. Die Formel, nach der hinter jedem ausrastenden Mann eine Frau steht, die versagt hat, ist so widerlich und verächtlichmachend, dass ich mich übergeben möchte. Denn abgesehen davon, dass dieses Psychologisieren kaum dazu taugt, die Motive einzelner Personen oder gar die Weltlage zu erklären, würde mich mal interessieren, was eigentlich mit russischen Vätern ist. Lieben die ihre Söhne etwa nicht? Nehmen die keinen Einfluss auf die Erziehung ihrer Kinder und können dazu beitragen, dass sie sich geliebt und behütet fühlen? Dass sie Mitgefühl zeigen, Freundlichkeit erweisen und Hilfsbereitschaft aufbringen?

Söhne nicht für den Krieg hergeben

Wenn wir wirklich davon ausgehen, dass Konflikte, Gewalt und Krieg dadurch reduziert oder gar verhindert werden könnten, indem man Jungen mit Liebe, Zärtlichkeit und Sanftmut begegnet: Warum sind es dann immer die Frauen, die Jungen und Männer besänftigen sollen? Wieso tun wir so, als wären Jungen und Männer tickende Zeitbomben, die nur von Frauen entschärft werden können und deshalb entschärft werden müssen? Und wenn sie das wirklich sind: Sollten wir dann nicht alle etwas dagegen tun? Aus der jetzigen Gemengelage ergibt sich ein krudes Bild, das Vätern – zumal russischen Vätern – in doppeltem Sinn nicht gerecht wird. Es täuscht vor, dass Väter für ihre Söhne keine Verantwortung übernehmen würden, und entlässt sie zugleich aus der Notwendigkeit, genau das zu tun, weil dies angeblich und ausschließlich die Aufgabe der Mutter ist. Immerhin heißt es ja Пусть всегда будет мама und nicht папа ("Möge es immer eine Mama geben" und nicht "Papa"), die Älteren unter uns werden sich vielleicht erinnern. Also lassen Sie uns für einen Moment annehmen, dass es wirklich funktionieren könnte. Dass, wenn alle Kinder geliebt und umsorgt werden, es nie wieder Krieg gibt. Welchen Beitrag könnten und sollten Väter in diesem Szenario leisten?

Vor über 30 Jahren hat der deutsche Liedermacher Reinhard Mey mal darüber gesungen, dass er seine Söhne für Krieg ganz sicher nicht hergibt.

Dass er sie liebt und sie Achtung vor dem Leben gelehrt hat. Erbarmen, Vergeben, Lieben. Dass er sie nicht von anderen zu Kanonenfutter und Knechten machen lassen wird. Wenn wir schon miteinander träumen wollen: warum dann nicht auch diesen Traum? (Nils Pickert, 7.3.2022)