Israels Premier Naftali Bennett hat den Schabbat gebrochen, um Wladimir Putin und Olaf Scholz (im Bild mit Bennett) zu treffen. In Israel wächst der Ärger über die Weigerung der Regierung, zu Russland auf Distanz zu gehen.

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"Bennett, wach auf!", schallt es aus dem Megafon, und die Menge klatscht. Ein paar Hundert Menschen haben sich Samstagabend im Norden Tel Avivs vor der russischen Botschaft versammelt. Sie schwenken blau-gelbe Fahnen und rufen Israels Premierminister Naftali Bennett auf, endlich Tacheles zu reden, wenn es um Russlands Kriegsverbrechen in der Ukraine geht.

Was die Demonstranten nicht wissen: Bennett ist zu diesem Zeitpunkt gar nicht im Land. Er ist in den Morgenstunden des Samstags in eine Maschine des Auslandsgeheimdienstes Mossad gestiegen, um das zu tun, was kein anderer Regierungschef der Welt seit Russlands Angriff auf die Ukraine getan hat: Er flog nach Moskau, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen.

Mit Partnern abgestimmt

Drei Stunden lang dauerte das Gespräch, über den Inhalt wird geschwiegen. Man habe das Treffen aber mit Washington, Kiew, Berlin und Paris akkordiert, heißt es in Jerusalem. Rund um die Moskaureise führte Bennett drei Telefongespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Von Moskau aus flog Bennett direkt nach Berlin, um Bundeskanzler Olaf Scholz zu treffen. Ein Regierungssprecher erklärte danach, Scholz und Bennett wollten gemeinsam alles versuchen, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Kreml-Angaben zufolge telefonieren Bennett und Putin am Sonntag miteinander. Unter anderem sei es dabei um die jüngsten Kontakte des israelischen Premiers "mit Staatschefs von einigen Ländern" gegangen.

Wie erfolgreich sein Mediationsversuch ist, darüber möchte selbst Bennett keine allzu große Hoffnung verbreiten. "Die Erfolgschancen sind nicht groß", gestand er. Es sei aber Israels "moralische Verpflichtung, jede Anstrengung zu unternehmen", um den Krieg zu beenden, sagte Bennett zu Beginn der Regierungssitzung in Jerusalem am Sonntag.

Der Regierungschef eines Neun-Millionen-Einwohner-Staates als Vermittler zwischen Giganten, noch dazu in einem Konflikt, an dem sich zuvor schon größere Mächte die Zähne ausgebissen hatten? Zu Hause wurde Bennett von manchen seiner Gegner mit Häme überhäuft: Es gehe Bennett nur darum, sich aus dem Schatten seines diplomatisch erfahrenen Amtsvorgängers Benjamin Netanjahu zu befreien, meinten manche.

Bemühungen am Ruhetag

Dass es Bennett vor allem darum ging, ist unwahrscheinlich. Nicht zuletzt deshalb, weil der Besuch am jüdischen Ruhetag Schabbat stattfand. Bennett ist religiöser Jude, wie auch der ukrainischstämmige Bautenminister Seev Elkin, der Bennett begleitete. Das Brechen des Schabbes ist dann gerechtfertigt, wenn es darum geht, Menschenleben zu retten – zur parteipolitischen Imagepflege eher nicht.

Israel hatte sich bisher äußerst zaudernd gegen Russland gestellt. Man konzentrierte sich auf humanitäre Hilfe für die Ukraine. Zuletzt wurde die Errichtung eines großen Feldhospitals zugesagt, israelische Ärztinnen und Ärzte werden dort im Einsatz sein. Zudem werden Vertragsbedienstete des israelischen Außenministeriums an diversen Grenzposten der Ukraine stationiert, um Flüchtlingen mit Sachhilfen beizustehen.

An Sanktionen gegen Russland beteiligt sich Israel aber nicht, abgesehen von einem jüngst verhängten, aber weitgehend zahnlosen Bann für russische Oligarchen, ihre Privatjets in Israel zu parken. Auch militärische Hilfen für die Ukraine stehen nicht zur Debatte, eine Belieferung des unter schwerem Beschuss stehenden Landes mit dem Raketenabwehrschutzschild Eiserne Kuppel lehnt Jerusalem auch weiterhin ab.

Schaden vs. Nutzen

In Moskau erntete Israel dafür Popularitätspunkte. Ob das schon ausreicht, um eine Gesprächsbasis mit Wladimir Putin aufzubauen und ihn zu Kompromissen zu bewegen, ist ungewiss.

Die Frage, inwiefern sich Israel mit seiner Beißhemmung gegenüber Putin längerfristig nicht mehr schadet als nutzt, wird auch zu Hause heftig diskutiert. Bei Israels wichtigstem Verbündeten, den USA, macht sich Bennett eher nicht beliebt.

Auch in der großen ukrainischstämmigen Community Israels, aber auch bei Einwanderern aus anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion wird Kritik laut. Selbst Putin-Fans sehen den Krieg skeptisch.

In der ukrainisch-israelischen Community sorgt aber vor allem Israels Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen für Zorn. Wer Verwandte aus der Ukraine nach Israel nachholen will, muss dafür eine Kaution von 10.000 Schekel (rund 2800 Euro) ablegen. Einigen wurde deshalb die Einreise verwehrt. "Es ist abscheulich", sagt eine Künstlerin aus Jerusalem, die darauf wartet, endlich ihre in Odessa lebende Cousine und deren Familie ins Land holen zu können.

Anspruchsvoller Spagat

Der Kleinstparteichef Bennett, dem das Amt des Premierministers im Vorjahr eher überraschend zugefallen war, hat aber einen anspruchsvollen Spagat zu meistern: Er darf Washington nicht vergrämen, muss sich aber zugleich eine gewisse Gesprächsbasis mit Putin erhalten, da Russland infolge seiner Präsenz im Feindesland Syrien de facto zu einem Nachbarn Israels geworden ist.

Ob diese Gemengelage es Bennett erschwert, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln, oder ob sie ihn geradezu dafür prädestiniert? Bennett dazu: "Solange die Kerze noch brennt, müssen wir uns bemühen." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 6.3.2022)