Im Gastblog analysiert der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger die transnationalen Kriegsfolgen.

In Syrien und im Irak spielen sowohl Russland und der Iran auf der einen und die USA auf der anderen Seite eine wichtige Rolle in den Konflikten. Russland und der Iran sind die wichtigste Stütze des syrischen Regimes. Der Iran spielt mit den von ihnen unterstützten Volksmobilisierungseinheiten (Hashd ash-Shaabi), die 2014 zur Bekämpfung des „Islamischen Staates“ aufgestellt wurden, eine wichtige politische und militärische Rolle. Zuletzt wurden die pro-iranischen Kräfte bei den irakischen Parlamentswahlen 2021 zwar geschwächt, dass der Iran seinen Einfluss im Land aber nicht kampflos aufgibt, ist jedem im Irak klar. Wie eng dabei auch das Bündnis mit Russland ist, wurde auf einer symbolischen Ebene deutlich, als in Bagdad sofort nach Beginn des Krieges in der Ukraine riesige Solidaritätsplakate mit dem Konterfei des russischen Präsidenten Putin auftauchten.

Auf der anderen Seite sind sowohl die USA als auch der Nato-Staat Türkei – teilweise mit sehr unterschiedlicher Agenda – im Irak und in Syrien präsent. Während die US-Armee in Syrien die wichtigsten Verbündeten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) sind, einem von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG dominierten Militärbündnis, tritt die Türkei in Syrien als Feind derselben auf. Von Jänner bis März 2018 besetzte die Türkei in einem zwei Monate dauernden Krieg gegen die SDF die kurdische Region Afrin, im Oktober 2019 eroberte die Türkei gemeinsam mit verbündeten islamistischen Milizen die Grenzregion zwischen Tal Abyad und Sere Kaniye/Ras al-Ayn. In beiden Regionen kam es zu groß angelegten Vertreibungen der lokalen kurdischen und christlichen Bevölkerung. Seither findet durch die Ansiedlung arabischer Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens eine systematische demografische Veränderung der Bevölkerung statt. Seit der Eroberung Afrins besetzt die Türkei große Teile Nordwestsyriens, wobei sie mit islamistischen syrischen Milizen kooperiert und nicht nur die kurdischen Kräfte bekämpft, sondern sich auch zur Schutzmacht über die islamistische Opposition erklärt hat.

Flüchtlinge aus Sere Kaniye / Ras al-Ayn im Washukanni-Camp bei Hasaka.
Foto: Thomas Schmidinger

Im kurdisch dominierten Nordost-Syrien stehen seit der letzten türkischen Invasion im Oktober 2019 sowohl russische (und einige symbolische syrische) Soldaten, als auch US-amerikanische. Erstere eher im Westen um Kobane, letztere eher im Osten mit ihrer Hauptmilitärbasis bei Hasaka. Eine klare Demarkationslinie zwischen Russen und US-Amerikanern gab es aber nie und so konnte man in Amude oder Qamishli durchaus im Abstand weniger Stunden immer wieder russische und amerikanische Militärkonvois beobachten.

In der Autonomieregion Kurdistan im Irak und in der mehrheitlich von Jesiden bewohnten Region Sinjar im Irak, führt die Türkei seit längerem Krieg gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihre Verbündeten. Auch hier sind allerdings, wie so oft, die Zivilisten die Leidtragenden. Immer wieder werden zivile Ziele bombardiert. Nach kurdischen Angaben mussten in den letzten beiden Jahren über 300 Dörfer vor allem in der Grenzregion zur Türkei verlassen werden.

Wachsende Rolle der Türkei und größere Instabilität

Die Türkei wusste bislang geschickt ihre Bedeutung als Nato-Mitglied zu nutzen. Die - in der Realität weitgehend symbolische - Schließung des Bosporus für russische Kriegsschiffe, wurde in Europa und den USA mit Applaus zur Kenntnis genommen. Die neue deutsche Außenministerin Baerbock von den Grünen jubelte dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nach ihrer ersten persönlichen Begegnung mit einem Tweet geradezu zu.

Das zuletzt international zunehmend isolierte und mit ökonomischen Problemen kämpfende türkische Regime nützt die Gelegenheit, um sich in Europa wieder zu rehabilitieren. Dies könnte ihm auch erneut freie Hand in Syrien geben, fürchten viele Kurden und Christen in Nordostsyrien.

Allerdings wächst selbst in der vom irakischen Staat anerkannten Autonomieregion Kurdistan im Irak, die Angst vor den türkischen Nachbarn. Bisher brauchten die USA die dortigen Kurden, um auch die Nachschubwege nach Syrien zu sichern. Sollten die USA Syrien der Türkei überlassen und ihr Interesse am Irak endgültig verlieren, werden auch die dortigen Kurden nicht mehr benötigt.

Vorerst besteht allerdings die akutere Gefahr darin, dass in Syrien US-Amerikaner und Russen aneinandergeraten beziehungsweise die ohnehin prekären Waffenstillstände zwischen den drei Hauptkriegsparteien Regime (plus Russland, Iran-Hizbollah), Türkei (plus diverse islamistische Milizen) und SDF (plus USA) nicht längerfristig halten werden und das entstehende Sicherheitsvakuum vom wiedererstarkenden IS ausgefüllt werden könnte, der nicht nur mit dem Angriff auf Hasaka Ende Jänner, verstärkt in die Offensive geht. Je stärker die Kommunikationskanäle zwischen Russen und US-Amerikanern in der Region zerstört sind, desto schwieriger wird es, sich dieses Feindes zu erwehren.

Drohen Brotunruhen?

Die Ukraine mit ihren fruchtbaren Schwarzerde-Böden und Russland gehören zu den größten Getreideproduzenten weltweit. Russland produzierte 2019 118 Millionen Tonnen Getreide, die Ukraine 74 Millionen Tonnen. Damit sind beide Staaten zwar nicht an der weltweiten Spitze, aber die relativ dünn besiedelten Staaten produzieren wesentlich mehr Weizen als sie für den Eigengebrauch benötigen. Ägypten und Tunesien beziehen große Teile ihrer Weizenimporte aus Russland und der Ukraine. Zumindest Teile dieser Ernte werden 2022 möglicherweise ausfallen, wodurch die Preise auf dem Weltmarkt steigen und Weizen knapp werden könnte. Das ägyptische, tunesische, libysche, sudanesische und algerische Brot wird fast ausschließlich mit importiertem Weizen hergestellt. Vor allem das sehr dicht besiedelte Ägypten hätte keine Chance, seine Bevölkerung mit lokaler Nahrungsmittelproduktion zu ernähren. Mit ukrainischem und russischem Weizen gebackenes Brot ist dort eines der Hauptnahrungsmittel.

In Europa mag es für die meisten Menschen kein existenzielles Problem sein, wenn die Brotpreise steigen. Europäer geben im Allgemeinen nur einen kleinen Prozentsatz ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. In Ägypten sieht es aber anders aus. Für die ohnehin schon verarmten Bevölkerungsmassen können Brotpreissteigerungen existenzielle Auswirkungen haben. Schon in der Vergangenheit kam es bei Brotpreissteigerungen in Ägypten immer wieder zu Unruhen. Diese drohen nun, nachdem bereits der sowohl für die ägyptische als auch die tunesische Wirtschaft zentrale Tourismus im Kontext der Corona-Pandemie zwei Jahre brach liegt, noch wesentlich stärker auszufallen.

Im Jemen, wo bereits jetzt als Folge des Krieges eine Hungersnot herrscht, und im Sudan, wo die Wirtschaft völlig darniederliegt, wären die Folgen weiter steigender Brotpreise nicht minder fatal.

Höhere Gewinne am Golf

Es wird allerdings auch Kriegsgewinner geben: Von steigenden Öl- und Gaspreisen werden wohl vor allem die Erdöl- und Erdgasproduzierenden Golfstaaten profitieren. Mit den zusätzlichen Einnahmen können dort höhere Lebensmittelpreise locker wettgemacht werden.

Für die ganze Region bedeutet dies kurz zusammengefasst: Die ohnehin schon Armen werden ärmer, die Reichen reicher. Die Spannungen in der Gesamtregion werden dadurch mittelfristig nicht geringer werden. (Thomas Schmidinger, 8.3.2022)

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