
Nicht alles glauben und erst recht nicht alles teilen, was man in sozialen Netzwerken sieht: Diesen Grundsatz hat ein Wiener Pensionist nicht beherzigt, weshalb er nun vor dem Strafrichter sitzt.
Wien – Seit November ist Herr C. in Pension, und damit begann sein Unglück. So begründet zumindest Verteidiger Kurt Hickel, warum sein 69-jähriger Mandant nun mit einer Anklage wegen übler Nachrede vor Richter Stefan Romstorfer sitzt. "Er hat Facebook früher beruflich genutzt. Als Pensionist war ihm sehr fad, und er hat sich verschiedene Seiten angeschaut", erläutert Hickel. "Er bekam auch Schrott zugeschickt, und gerade in seinem Alter befolgt man es leider, wenn groß 'Bitte teilen' oder 'Hier klicken' steht", entschuldigt der Verteidiger fehlende digitale Kompetenzen.
Die dazu geführt haben, dass auch der unbescholtene C. ein Posting weiterverbreitete, in dem die polizeiliche Festnahme eines älteren Mannes bei einer nicht angezeigten Demonstration von Covid-19-Maßnahmenkritikern am 20. Februar 2021 gezeigt wird. Der 32-jährige Revierinspektor N. stand damals in der Sperrkette, mit der die in seinem Rücken stattfindende Amtshandlung gesichert wurde. Dennoch ist er deutlich zu erkennen, versehen war der auch vom Angeklagten geteilte Beitrag mit dem Text: "Lasst dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in Innsbruck. Ein 82-jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet und stundenlang verhört."
Auf dem Heimweg über Posting informiert
Tatsächlich war N. aus seinem Heimatbundesland abkommandiert und hatte mit der Festnahme unmittelbar nichts zu tun. "Ich habe mich nur auf den Herren vor mir konzentriert, der mich mit einem langen Handy-Stick filmte", sagt der Polizist vor Romstorfer als Zeuge. "Ich war noch nicht einmal wieder zu Hause, als sich ein Kumpel von mir meldete und mir eine Whatsapp-Nachricht weiterschickte, die auch auf Telegram und Facebook bereits kursierte", erinnert der Beamte sich.
Daheim sei er von Kollegen und Bekannten immer wieder darauf angesprochen worden, ob und warum denn die Festnahme des Manifestanten notwendig gewesen sei. "Auch meine Mutter wurde gefragt. Und erst vor einem Monat war ich bei meiner Schwester, die mir erzählt hat, dass sich zwei Bekannte von unserer Familie wegen des Postings abgewendet hätten", schildert der Zeuge. Auf Nachfrage seines Privatbeteiligtenvertreters, der 100 Euro Schadenersatz will, bestätigt der Polizist auch, dass er sich mittlerweile seinen Vollbart gefärbt habe. "Ich war auch sechs- oder siebenmal bei Demos in Wien eingesetzt und wollte den Wiedererkennungseffekt vermindern."
Angeklagter postet "nichts Politisches" mehr
Angeklagter C. entschuldigt sich in aller Form beim Zeugen und erzählt dem Richter, dass er aus der Affäre gelernt habe. "Es war sinnloses Rumschauen und dumm", gibt er zu. "Bewusst, was ich gemacht habe, wurde es mir erst, als ich von der Polizei vernommen wurde und nachdem mir der Anwalt einen Brief geschrieben hat, dass ich den Beitrag löschen muss." Das habe er dann gemacht, mittlerweile habe er auch seine Privatsphären-Einstellung geändert und poste "nichts Politisches" mehr.
Strafrechtlich endet die Aktivität im weltweiten Computernetz für C. mit einer Diversion und 150 Euro Pauschalkosten für das Gericht. Im anschließenden medienrechtlichen Verfahren entscheidet Romstorfer nicht rechtskräftig, dass C. dem Polizisten weitere 300 Euro Entschädigung sowie die Kosten des Verfahrens zahlen muss. Für den Revierinspektor und die von ihm beauftragte Anwaltskanzlei läppert sich das Fake-News-Posting: Diese Verhandlung in Wien ist nämlich nur eine von mehreren Hundert, die angestrengt wurden. (Michael Möseneder, 7.3.2022)