
Eine Kreuzimmunität, die T-Zellen-Antwort oder genetische Unterschiede könnten die Gründe sein, warum sich manche Menschen nicht mit dem Virus infizieren.
Man kennt die Geschichten: Eine Person ist infiziert und eine andere, die im gleichen Haushalt lebt und vielleicht sogar das Bett mit der infizierten Person teilt, blieb negativ. Manche sind schon mehrfach an einer Corona-Infektion erkrankt, andere scheinen trotz Zusammenkünften in risikoreichen Settings immer und immer wieder verschont zu bleiben. Ein Viruskontakt dürfte also nicht für alle mit dem gleichen Ansteckungsrisiko einhergehen.
Eine umstrittene Human-Challenge-Studie liefert erste Anhaltspunkte und Theorien, woran das liegen könnte. In einem Experiment wurden 36 gesunde Menschen gezielt dem Erreger ausgesetzt. Zwei Personen wurden aus der Studie ausgeschlossen, weil sich herausstellte, dass sie sich bereits vor dem Experiment infiziert hatten. Den verbleibenden 34 Testpersonen zwischen 18 und 30 Jahren, die weder geimpft noch genesen waren, wurde über die Nase eine geringe Menge des Virus eingeführt – gerade genug, um eine Infektion hervorzurufen. Danach wurden die Probandinnen und Probanden zwei Wochen lang im Royal Free Hospital in London überwacht und immer wieder auf Sars-CoV-2 getestet. Jetzt gibt es erste, noch ungeprüfte Ergebnisse.
Unterschiedliche Reaktionen auf Viruskontakt
18 der 36 Testpersonen steckten sich im Experiment mit dem Coronavirus an. 17 von ihnen hatten milde bis mittelschwere erkältungsähnliche Symptome mit Kopf- und Gelenkschmerzen, Fieber oder Müdigkeit. Zwölf berichteten von Verlust oder Beeinträchtigung des Geruchssinns. Bei den Freiwilligen breitete sich das Virus zuerst vor allem im Rachen, später in der Nase aus. Nach etwa fünf Tagen war die Viruslast am höchsten, Tests zeigten positive Ergebnisse – aber nicht bei allen.
16 der 36 Freiwilligen blieben negativ: "Die Virusmengen stiegen nicht hoch genug an, um nachweisbare Mengen an Antikörpern, T-Zellen oder Entzündungsfaktoren im Blut auszulösen", berichtet Studienleiter Christopher Chiu vom Imperial College London gegenüber dem Guardian.
Manche Menschen scheinen das Virus so früh abwehren zu können, dass sie nie positiv getestet werden. Eine solche symptomfreie Infektion kann nur durch eine Analyse von Immunzellen bestätigt und nachgewiesen werden. Die Gründe für die unterschiedlichen Reaktionen auf den Viruskontakt sind noch nicht zur Gänze erforscht. Es gibt mehrere Theorien: Es könnte etwa an der T-Zellen-Antwort oder genetischen Bedingungen liegen – oder aber daran, dass eine bereits vorhandene Immunität gegen verwandte Erreger einen gewissen Schutz vor einer Infektion bietet.
Corona-Erkältungsviren schützen vor Covid-Infektion
Sars-CoV-2 ist nämlich nicht das einzige beim Menschen vorkommende Coronavirus. Vier sehr ähnliche Viren – OC43, HKU1, NL63 und 229E – sind klassische Erreger von saisonal auftretenden Erkältungen. Eine Infektion mit den harmlosen Corona-Erkältungsviren dürfte unser Immunsystem trainieren und so zumindest vorübergehend vor Covid-19 schützen, wie eine Studie bereits im November 2021 zeigte (der STANDARD berichtete). "Eine Person, die gegen harmlose Coronaviren eine Immunität hat, ist auch besser vor schweren Verläufen bei einer Sars-CoV-2-Infektion geschützt", erklärte damals die Studienautorin Alexandra Trkola, Virologin an der Universität Zürich.
Diese Immunantwort liege vor allem an T-Zellen. Sie können auch Jahre nach einer Infektion oder Impfung einen Krankheitserreger wiedererkennen, körpereigene infizierte Zellen abtöten und deshalb langfristigen Schutz bieten. Die T-Zellen sind im Vergleich zu neutralisierenden Antikörpern nämlich weniger spezifisch: Antikörper von einer Virusvariante können bei der nächsten Variante oft nicht mehr neutralisieren, die T-Zellen aber bieten weiterhin guten Schutz.
Allerdings schützen die T-Zellen nicht bei jedem Menschen im gleichen Ausmaß: "Es geht nicht nur darum, ob T-Zellen vorhanden sind oder nicht, sondern es kommt auch auf die Zahl und Qualität der T-Zellen an", erklärt Juliane Walz vom Universitätsklinikum Tübingen gegenüber dem "Spiegel". Bereits im September 2020 veröffentlichte sie eine Studie zu T-Zellen. Walz und ihr Team entdeckten in 81 Prozent der Blutproben von 180 gesunden Menschen, die vor der Pandemie eingefroren worden waren, T-Zellen, die auch auf Sars-CoV-2 reagierten. Kurzum: Manche Menschen sind durch T-Zellen vor symptomatischen Verläufen geschützt, andere nicht.
Kreuzimmunität durch Grippeviren
Aber nicht nur ein erhöhter Immunschutz durch Corona-Erkältungsviren könnte teilweise vor einer Infektion schützen. Möglicherweise bietet auch eine bereits vorhandene Immunität gegen manche Grippeerreger Schutz vor Infektion, wie schwedische Fachleute vergangenes Jahr erforschten. In Datenbanken suchten die Expertinnen und Experten nach Proteinabschnitten von schon länger bekannten Viren, die dem neuen Coronavirus ähneln. In einem Protein des H1N1-Grippevirus fanden die Forscherinnen und Forscher sechs Aminosäuren in einer Abfolge, die sich mit einem Abschnitt des Spike-Proteins des Coronavirus deckt.
Das Forschungsteam untersuchte in einem weiteren Schritt eine Gruppe von Blutspendern mit dem noch nicht begutachteten Ergebnis: Zwei Drittel hatten Antikörper gegen den entscheidenden Proteinabschnitt und damit einen Teilschutz vor einer Covid-19-Infektion. Die Antikörper würden einen gewissen Schutzpolster bieten, könnten aber eine Infektion nicht verhindern, wenn einem eine infizierte Person ins Gesicht huste, räumte die Studienautorin Söderberg-Nauclér vom Karolinska Institut Stockholm gegenüber dem "Guardian" ein.
Genetische Unterschiede
Eine andere Theorie, warum manche Menschen eher an Corona erkranken als andere, befasst sich mit genetischen Unterschieden. Dass die Genetik einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Infektion haben kann, weiß man schon von anderen Erkrankungen. Manchen Menschen etwa fehlen genetisch bedingt die Rezeptoren, mit denen HIV in Körperzellen vordringt.
Nichtsdestotrotz sind sich Fachleute einig, dass ein Schutz durch Genetik wahrscheinlich selten vorkommt – wenn er denn bei Corona überhaupt vorkommt. Lohnenswert wäre die Erforschung von schützenden Gensequenzen aber dennoch, glauben Expertinnen und Experten. Die Erkenntnisse könnten dabei helfen, wirksame Therapien gegen Corona zu entwickeln.
Bisher konnte jedenfalls noch nicht abschließend geklärt werden, warum manche Menschen eher an Corona erkranken als andere. Die Datenlage ist noch dünn, die Anzahl an untersuchten Personen zu gering, und die Ergebnisse sind teilweise noch nicht begutachtet. Das britische Forschungsteam, das die 34 Testpersonen unter Beobachtung mit dem Virus in Kontakt brachte, will die Zusammenhänge zwischen Infektions- bzw. Erkrankungsrisiko und den dafür entscheidenden Faktoren jedenfalls weiter erforschen – vor allem auch mit anderen Virusvarianten wie etwa Delta. In Fachkreisen ist das Durchführen solcher Human-Challenge-Studien allerdings umstritten. (Magdalena Pötsch, 8.3.2022)