Eine höhere Wertschätzung wie auch bessere Angebote könnten abgewanderte Frauen durchaus wieder heimlocken, sagt Gerlind Weber, frühere Leiterin des Instituts für Raumplanung der Boku Wien, im Gastkommentar.
Bild nicht mehr verfügbar.
"Wenn die Frauen gehen, stirbt das Land!" Dieser Satz aus dem Mund eines Bürgermeisters bringt die eintretende Schieflage im Sozialgefüge von Dörfern auf den Punkt, wenn über eine längere Zeitspanne hinweg signifikant mehr junge Frauen abwandern als vergleichsweise gleichaltrige Männer. In manchen strukturschwachen Landgemeinden baut sich eine Unausgewogenheit in der Geschlechterverteilung auf, die in Extremfällen dazu führt, dass etwa bei den 20- bis 29-Jährigen ein Männerüberschuss von bis zu 40 Prozent gegeben ist.
Für die Raumforschung ist das ein Grund, der erhöhten Wanderungsbereitschaft junger Frauen nachzuspüren, ist diese doch auch als eine Erscheinungsform von Entwicklungsschwäche der betroffenen Landkommunen zu deuten. So fehlen die weggezogenen Frauen nicht nur in unterschiedlichen privaten Kontexten als Hoffnungsträgerinnen, sondern auch in mannigfaltigen gemeinschaftlichen Bereichen wie etwa als Bindeglied für den lokalen Zusammenhalt, das praktische Funktionieren des dörflichen Alltags und als Wirtschaftsfaktor. Die Beeinflussung des Wanderungs- und Bleibeverhaltens wird so auch zu einer zentralen hoheitlichen Aufgabe in Kleingemeinden.
Dörfliche "Enge"
Was führt die jungen Frauen aus dem Dorf? Vor dem Schritt zu gehen werden von den Wanderungsbereiten die Push- und Pullfaktoren, die für einen Ortswechsel sprechen und gegen die Option, doch in der Herkunftsgemeinde zu bleiben, jeweils sorgfältig abgewogen.
In einer schriftlichen Befragung 20- bis 29-jähriger Frauen wurden etwa folgende Defizite, die sie vor Ort wahrnehmen, genannt: keine der Ausbildung adäquaten Arbeitsmöglichkeiten, weite und daher zeitraubende und kostspielige Alltagswege, Ausstattungsmängel wie das Fehlen eines "netten Cafés", Fitnessstudios oder der adäquaten Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Aber auch die "Enge des Dorflebens" mit ihrer strengen Sozialkontrolle wird als störend wahrgenommen. Umso freundlicher werden dagegen die Vorzüge der meist städtisch geprägten potenziellen Zielorte dank ihrer großen Wahlmöglichkeiten beurteilt, wie der Vielzahl an Ausbildungsstätten, Arbeitsangeboten, Freizeiteinrichtungen, an Versorgung mit Konsumgütern, Wohnformen und Mobilitätsangeboten.
Resignative Haltung
Vor diesem Hintergrund fühlen sich die die Gemeinden repräsentierenden Bürgermeister (nur 9,5 Prozent sind weiblich, Anm.) einem Kampf gleich David gegen Goliath ausgesetzt und nehmen gegenüber der "weiblichen Landflucht" eine resignative Grundhaltung ein. "Eigentlich planen wir keine Maßnahmen speziell für junge Frauen, weil die Gemeinde so viele Probleme hat, dass man auf das gar nicht so schauen kann", hört man da etwa. Doch durch den Verlust junger Menschen und speziell junger Frauen berauben sich gerade Kleingemeinden der Zukunft. Tatenlosigkeit gegenüber der Abwanderung derer, die im Leben noch viel vorhaben, darf deshalb keine Option sein!
Es gilt in einem ersten Schritt zu klären, in welchem Handlungsrahmen sich die mit Landflucht konfrontierten Gemeinden bewegen und bewegen sollten. Klar ist: Die Zeiten des Verbleibs in der Herkunftsgemeinde "von der Wiege bis zur Bahre" sind vorbei. Das Wanderungsverhalten junger Menschen wird in hohem Maße auch von privaten Motiven bestimmt, wie dem Wunsch nach Selbstständigkeit oder dem Kennenlernen anderer Lebensformen. Bei Frauen auf dem Land fällt noch die Tradition ins Gewicht, dem Partner nachzuziehen. Diese persönlichen Beweggründe entziehen sich allerdings weitgehend der Einflussnahme durch Politik und Wirtschaft.
Die Wanderungsneigung ist generell im Steigen, was als Chance für die Zu- und Rückwanderung seitens der strukturschwachen Landgemeinden zu erkennen und zu ergreifen ist. Es sind auch die Zeiten vorbei, in denen junge Leute nur einen Lebensmittelpunkt "bespielen" – nahezu die Hälfte aller jungen Frauen wohnen in kurzen Zeitabständen an mehreren Orten.
Rückkehr erleichtern
Es darf nicht das Ziel sein, junge Menschen vom Weggehen abhalten zu wollen, vielmehr muss man als Gemeinschaft Verständnis dafür zeigen und ihnen signalisieren, dass man an ihrem Fortkommen Interesse hat und eine spätere Rückkehr aktiv unterstützen würde.
Auch unter schwierigen demografischen und ökonomischen Bedingungen sollten Attraktivitätssteigerungen durch größtmögliche Wahlmöglichkeiten den jungen Menschen im Allgemeinen und den jungen Frauen im Besonderen für ihre Lebensgestaltung eröffnet werden. Das bedeutet aber nicht ein Mehr an Angeboten in den einzelnen Kommunen, sondern eine sorgfältige Abstimmung zeitgemäßer Angebote der Gemeinden in der Kleinregion.
Letztlich geht es nicht nur um Materielles, sondern auch um Atmosphärisches. Gerade auch jungen Frauen auf dem Land ist eine hohe Wertschätzung entgegenzubringen. Sie ist Teil des Wohlbefindens und "kost' nix"! (Gerlind Weber, 8.3.2022)