In Österreich – hier in einem Ankunftszentrum in Wien – sind bis dato zwar 45.000 Flüchtlinge aus der Ukraine eingetroffen. Die meisten jedoch reisten weiter.

foto: apa/benedikt loebelll

Wien – Flüchtlinge aus der Ukraine erhalten in der gesamten EU temporären Schutz, das haben die EU-Innenminister und -Innenministerinnen vergangene Woche beschlossen. Erstmals in der Geschichte der Union wurde die Massenzustrom-Richtlinie aktiviert. Doch ob deren Schutz in Österreich wirklich alle Menschen umfasst, die aus dem von Russland überfallenen Staat kommen, ist bis dato unklar.

Während nämlich Europa der größten Fluchtbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs gegenübersteht, die laut Fachleuten bis zu zehn Millionen Menschen umfassen könnte, sind ÖVP und Grüne in Österreich beim Umgang mit drittstaatsangehörigen Personen aus der Ukraine uneins.

Verordnung zu Ukraineflüchtlingen

Die Frage ist, ob diese laut einer Verordnung, mit der die EU-Richtlinie in Österreich nun umgesetzt werden muss, die gleichen Rechte wie ukrainische Staatsangehörige erhalten. Die Verordnung soll dem Vernehmen nach am Freitag im parlamentarischen Hauptausschuss eingebracht werden.

Groß ist die Gruppe der Betroffenen nicht. Sie umfasst zum Beispiel die insgesamt rund 80.000 Auslandsstudierenden in der Ukraine sowie etwa mehrere Tausend Menschen, die in der Ukraine einen Asylantrag laufen hatten. Nach Österreich sind bis dato wohl höchstens mehrere Hundert dieser Menschen gekommen – doch der Umgang mit ihnen ist inhaltlich aufgeladen.

Vorwurf des Rassismus

Seit Ausbruch des Krieges gibt es Berichte über syrische, afghanische, pakistanische, nigerianische Staatsangehörige, die an der Flucht in die EU oder an der Weiterfahrt gehindert worden seien. Der Vorwurf des Rassismus steht im Raum.

Rechtlich fußt der Konflikt um die Richtlinienumsetzung auf deren Bestimmungen selbst. Laut diesen erhalten ukrainische Staatsangehörige und Menschen anderer Nationalität, die in der Ukraine unbegrenzt Aufenthalt hatten, befristetes Aufenthaltsrecht, soziale Absicherung und Arbeitsmarktzugang.

Die Richtlinie enthält aber auch eine Reihe von Kann-Bestimmungen, die den Staaten Interpretationsspielraum lassen – etwa beim Status und der Behandlung von Drittstaatsangehörigen. Schon bei der Inkraftsetzung hatte hier Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gemeinsam mit den Innenministern der Visegrád-Staaten Vorbehalte deponiert.

In die Herkunftsstaaten zurück?

Eine rigide Richtlinienauslegung würde bedeuten: Drittstaatsangehörige Kriegsflüchtlinge müssen in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Das macht manchen weniger, anderen massive Probleme. Nigerianische Studierende etwa befürchten, im Fall einer Rückreise nie wieder nach Europa zurückkehren zu können.

Um zu vermeiden, in Österreich illegal aufhältig zu sein, könnten sie hier einen Asylantrag stellen. Doch die Chance für Menschen aus Westafrika, in Österreich Asyl zu bekommen, liegt im einstelligen Bereich. "Wollen wir wirklich auf dem Rücken weniger Menschen eine solche Debatte führen?", fragt die grüne Migrationssprecherin Ewa Ernst-Dziedzic.

Karner-Sprecher: Gehen laut Richtlinie vor

Ein Sprecher von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) widerspricht. Die Unterscheidung zwischen geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainern sowie Drittstaatangehörigen sei "einer der Punkte, die laut Massenzustrom-Richtlinie zu berücksichtigen sind, und das wenden wir jetzt an", sagt er.

Das Inkraftsetzen der Richtlinie in der ganzen EU sei ein "großer Wurf". Ukrainerinnen und Ukrainern komme ab sofort temporärer Schutz zu. Anderen aus dem Land geflohenen Menschen stünden andere Schutzmöglichkeiten offen – etwa, nach Durchlaufen eines Asylverfahrens, subsidiärer Schutz.

Mit dem grünen Koalitionspartner bestehe diesbezüglich kein Streit: "In Vorbereitung der Verordnung diskutieren wir."

Tagsätze reichen nicht aus

Verhandlungsbedarf gibt es aber auch in Sachen Versorgung der Kriegsflüchtlinge. Sollten Quartiergeber laut den Regeln der Grundversorgung remuneriert werden, müssten – so Herbert Langthaler von der Asylkoordination– dringend die gebotenen Tagsätze erhöht werden: "Mit 21 Euro Tagsatz für einen Erwachsenen geht sich das finanziell nicht aus."

Laut Innenminister Karner, der am Montag mit Vertretern von Hilfsorganisationen vor die Presse trat, haben Private bis dato 20.000 mögliche Wohnplätze zur Verfügung gestellt. Aktuell würden sich 500 Ukrainerinnen und Ukrainer in Quartieren der Grundversorgung des Bundes befinden. 45.000 Menschen aus der Ukraine hätten die Grenze nach Österreich überschritten, die meisten seien weitergereist – nach Italien, Spanien sowie nach Deutschland.

Auf eine konkrete Zahl von Ukraine-Flüchtlingen, die Österreich insgesamt aufnehmen wird, wollte sich Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in der "ZiB 2" am Montag nicht festlegen. Es sei dafür Sorge zu tragen, dass es ausreichend Quartiere gebe, betonte Kogler dagegen. Daran werde gearbeitet. (Irene Brickner, Anna Giulia Fink, 7.3.2022)