Das ist auch eine heftige Debatte unter Feminist:innen. Denn nicht alle teilen die – eigentlich selbstverständliche – Forderung nach universeller Selbstbestimmtheit, sagt Lea Susemichel vom feministischen Magazin "an.schläge" im Gastkommentar.

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Die Rede, die Beatrix von Storch ausgerechnet zum Weltfrauentag im Deutschen Bundestag hielt, ist an Schäbigkeit schwer zu überbieten: Die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer sei ein Mann, daran änderten auch "Rock, Lippenstift und Hackenschuhe" nichts, höhnte die AfD-Politikerin. Sie zitierte dabei aus der Zeitschrift Emma, die ebenfalls übel gegen Ganserer kampagnisiert, weil diese mit einem Quotenmandat in den Bundestag eingezogen sei. Damit habe sie einer "richtigen" Frau den Platz weggenommen, so die Argumentation, die sich buchstäblich weit unter der Gürtellinie bewegt. Und die überdies geflissentlich ignoriert, wer für mehr Frauen im Bundestag sorgt: Bei der AfD sind gerade mal neun von 88 Abgeordneten weiblich, bei den Grünen sind es mit 38 von 67 mehr als die Hälfte.

Auch wenn Empörung und Solidarität mit Ganserer glücklicherweise groß waren: Der Eklat spiegelt die feindselige Stimmung gegen Transpersonen und die aufgeheizte Debatte wider, die derzeit vielerorts geführt wird.

In Großbritannien tobt der Kampf um die "Self-ID", also das Selbstbestimmungsrecht über die eigene Geschlechtsidentität, schon länger. Mit dem Fall der aufgrund transfeindlicher Äußerungen suspendierten Universitätsprofessorin Kathleen Stock hat er inzwischen die hiesigen Feuilletons erreicht. Dort wird aufgeregt vermeldet, dass dem identitätspolitischen Wahnsinn nun wohl auch noch der "Transtotalitarismus" zuzurechnen sei. Und wie immer, wenn es um "Genderideologie" geht, wird gerne mit dem Kindeswohl argumentiert. Ob es um vermeintlich "frühsexualisierende" Sexualpädagogik oder eben um das Thema Trans geht, sofort tönt es, in Paraphrasierung der Pfarrersgattin Helen Lovejoy aus DieSimpsons, alarmistisch: "Denkt denn niemand an die Kinder?!"

Kein "Trend"

Eine gefährliche Zunahme von Jugendlichen mit Transitionswunsch sei zu verzeichnen, was nicht allein von besorgten Angehörigen darauf zurückgeführt wird, dass Transsein zum "Trend" avanciert sei. Auch wenn wohl eher wahr ist, dass es die gestiegene gesellschaftliche Aufmerksamkeit auch jungen Betroffenen erleichtert, sich zu outen: Selbstverständlich ist die Sorge von Eltern nachvollziehbar, die vor Pubertätsblockern, Hormongaben und medizinischen Eingriffen zurückscheuen, solange sie nicht sicher sind, dass es ihrem Kind ernst ist.

Dieser Angst lässt sich entgegenhalten: Für ein Selbstbestimmungsrecht einzutreten heißt mitnichten, dass Minderjährige danach schneller an Hormone kommen, von Operationen ganz zu schweigen. Im Gegenteil: Für eine vereinfachte Änderung des Geschlechtseintrags, wie sie nun auch im deutschen Koalitionsvertrag vereinbart und in der Schweiz seit Anfang des Jahres in Kraft ist, braucht es weder die von vielen als schikanös und demütigend erlebten psychiatrischen Gutachten noch geschlechtsangleichende Hormongaben oder Operationen.

Ein Backlash

Schade übrigens, dass es keine vergleichbare Empörungsbereitschaft wegen der medizinisch unnötigen Eingriffe gibt, die an intersexuellen Säuglingen durchgeführt werden, nur um sie schnellstmöglich geschlechtlich zu vereindeutigen. Seit letztem Sommer gibt es in Österreich zumindest einen Entschließungsantrag für ein Verbot dieser gängigen Praxis, in Deutschland wurde ein solches im vergangenen Jahr endlich erlassen.

Ein Tomboy muss also keineswegs zwingend körperlich zum Jungen gemacht werden, wie Kritikerinnen befürchten, die vor allem rigide Geschlechterrollenzwänge und den Körperhass von Mädchen für deren Transitionswünsche verantwortlich machen. Dass diesem unterstellten Selbsthass wie im Fall Ganserer nun ausgerechnet mit Bodyshaming von Transfrauen begegnet wird, zeigt deutlich, dass es den "Besorgten" nicht um Feminismus oder die vorgeschobenen Kinderrechte geht. Es ist vielmehr ein ausgewachsener Backlash, der sich angesichts der vielen erfreulichen Entwicklungen formiert, zu denen auch die 2022 neu erschienene ICD-11 zur Klassifikation von Krankheiten zählt, in der Transsexualität endlich nicht mehr als Persönlichkeitsstörung geführt wird.

Frauentag: Mehr Wut täte gut

Grafik: DER STANDARD

Um gegen diese hart erkämpften Erleichterungen politisch Stimmung zu machen, wird auch vor sexueller Gewalt gewarnt, die von Menschen mit männlichen Genitalien ausginge, hätten diese erst einmal Zugang zu Damentoiletten und Frauengefängnissen. (So als gäbe es derzeit noch Ausweiskontrollen vor öffentlichen Klos.) Immer wieder wird der Fall eines Täters zitiert, der sich in den USA als "Karen" inhaftieren ließ, um so Mitgefangene vergewaltigen zu können. Auch das ist ein Scheinargument: Wer der in Gefängnissen grassierenden sexuellen Gewalt – die übrigens insbesondere auch Transfrauen trifft, die gegen ihren Willen gemeinsam mit Männern inhaftiert werden – wirklich einen Riegel vorschieben will, muss für entsprechende Reformen im Strafvollzug kämpfen.

Schrille Skandalisierung

Einzig die Kritik an der aggressiven Diskussionsführung einzelner (!) Transaktivist:innen und an der bis zur Bücherverbrennung gesteigerten Eskalation ist nicht von der Hand zu weisen. Der selbstgerechte Tonfall ist zugegebenermaßen nicht nur in den sozialen Medien oft schwer auszuhalten, und zwei Jahre Pandemie haben das nicht besser gemacht. Aber diese erregte Zuspitzung spielt auch gekonnt auf der Klaviatur medialer und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit, die eben schrille Skandalisierung und ordentlich "Beef" will, bevor sie sich eines Problems annimmt. Sei das Problem auch noch so offensichtlich wie in diesem Fall.

Junge Transmenschen haben aufgrund von Stigmatisierung und fehlender Selbstbestimmung ein fast sechsmal höheres Suizidrisiko. Gewalt gegen Transmenschen ist weiterhin im Steigen begriffen, genau wie die Anzahl der bei transfeindlichen Übergriffen ums Leben gekommenen Menschen, die jährlich beim "Transgender Day of Rememberance" erhoben wird. Es sollte also selbstverständlich sein, die Forderung nach Selbstbestimmtheit vorbehaltlos zu unterstützen. Ganz besonders für Feminist:innen, ganz besonders zum Weltfrauentag. Support your Sisters not your Cisters! (Lea Susemichel, 8.3.2022)