Wer mit sich unklar und nebelig ist, lässt letztlich auch sein Team im Nebel stehen.

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Sie haben sicher schon einmal die Aussagen gehört: "Führung beginnt bei uns selbst" und "People follow people". Zwei einfache Sätze, die schon ganz viel über erfolgreiche Führung aussagen. Und "erfolgreich" bedeutet für mich, als Führungskraft Rahmenbedingungen zu gestalten, die tragfähige Beziehungen zu Mitarbeiter:innen sicherstellen, damit diese langfristig bleiben, exzellente Leistung und Ergebnisse erzielen und auch gerne nach Hause gehen, weil es außerhalb der Firma auch noch etwas anderes (ein erfülltes Leben) gibt.

"Wie soll das in unserer schnelllebigen und komplexen Welt gehen?", werden viele jetzt fragen. Und diese Frage ist berechtigt. Warum? Weil viele von uns nicht so sozialisiert wurden. Viele von uns sind sehr leistungsorientiert aufgewachsen. Wir wurden belohnt für unser Tun, selten für unser Sein. Arbeit und Tun wurde oftmals ein höherer Wert zugeschrieben als Stille, Kreativität oder der Langeweile.

Von Anfang an

Viel davon wurzelt in unserem Bildungssystem. Die meisten von uns wurden eher defizit- als ressourcenorientiert gefördert. Ein einfaches Beispiel: In der Schule steht ein Test mit 30 Fragen an. Das Ergebnis: 28 Antworten richtig, zwei falsch. Was steht darunter? "Zwei falsch". Es steht nicht: "Toll, du hast 28 Fragen richtig beantwortet, und die zwei schau dir bitte das nächste Mal besser an." Der Mangel wird aufgezeigt, nicht aber die Fülle. Defizit- statt Ressourcenorientierung.

Und so geht das dann meist im Berufsleben weiter. Alles, was gut läuft, ist selbstverständlich, nur die Fehler werden besprochen, behandelt und ausgemerzt. Dadurch haben viele von uns gelernt, gut zu funktionieren. Wir müssen und wollen besser und schneller als die anderen sein, um zumindest ein wenig Lob abzustauben. Wir funktionieren und existieren, anstatt lebendige Beziehungen mit uns selbst und anderen zu führen und zu gestalten. Wir versuchen, alles perfekt zu machen, und haben Angst vor Fehlern, denn sie bedeuten oft Ablehnung oder Abwertung.

Ein Produkt der Umwelt

Um in diesen "kalten Systemen" zu überleben, ziehen wir uns oft (bewusst oder unbewusst) Schutzkleidung wie Distanz, Arroganz, Vermeiden oder Mittelmäßigkeit an. Dieser Schutz bedeutet jedoch, dass wir vieles nicht mehr an uns heranlassen. Wir exekutieren, hinterfragen nur mehr selten und sagen nicht mehr das, wofür wir stehen und was wir uns wirklich denken. Dies wiederum schwächt die Motivation, die Qualität, die Leistung, das Klima und die Ergebnisse. Ein Teufelskreis, der unterbrochen gehört.

Führung beginnt bei mir

Egal in welcher Rolle und Funktion ich auch bin, Führung, Klarheit, Freude und Begeisterung beginnen in mir. Niemand kann für uns atmen, noch auf die Toilette gehen. Wir müssen selbst Verantwortung für unser Sein und Tun übernehmen. In dem Moment, wo wir erwachsen sind (manche werden jetzt denken: nie), sind wir für unser Leben, Tun und Handeln sowie die daraus resultierenden Konsequenzen und Ergebnisse verantwortlich. Es sind nicht mein Mann / meine Frau, Vorgesetzte, Kinder oder Freund:innen. Ich bin die Meisterin / der Meister (Gestalter:in) meiner Zufriedenheit.

Warum ist es dann aber so schwer, sich als Führungskraft treu zu bleiben? Treu zur inneren Fülle, zu Wohlbefinden, Klarheit und Werten, aber auch wenn es darum geht, seine Meinung in der Organisation zu vertreten?

Viele Führungskräfte glauben, ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen zu müssen, um anerkannt und erfolgreich zu sein. Und in vielen Systemen ist das auch so. Tradierte Muster werden über Jahrzehnte gepflegt, verfestigt und hochgehalten. Man leidet zwar darunter, aber die Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten ist größer, als im gewohnten Elend, in der der Komfortzone zu bleiben. Viele Mitarbeiter:innen hinterfragen eingefahrenes Verhalten kaum mehr, denn "es war immer schon so bei uns". Wir leiden zwar unter gewissen Rahmenbedingungen, Strukturen und toxischem Verhalten, wollen aber unsere Komfortzone nicht verlassen (oder haben es vielleicht auch nie gelernt). Somit wird tradiertes Verhalten von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Oft über viele Jahr(zehnt)e hinweg.

Was stimmt gar nicht mehr?

Fragen Sie sich einmal ehrlich: Welche Geschichten erzählen Sie immer noch, die schon lange nicht mehr stimmen, die aber Ihr Leid aufrechterhalten oder verlängern?

Geschichten wie "Ich habe keine Zeit", "Ich kann/darf das oder das nicht so machen, fragen, sagen ...", "Ich bin nicht kompetent genug" oder "Wenn ich zu viel lobe, dann werden Menschen faul oder hochmütig". Was sind liebgewonnene Stehsätze oder Muster, die wie Frisbees aus der Hüfte geschossen kommen? Standardsätze, die gut klingen mögen, aber nichts oder nur wenig verändern?

Liebe im Business – wie bitte?

Was hilft nun, diese eingefahrenen Muster aufzuweichen oder zu verlassen und in gesunde, energievolle und leistungsstarke Freude und Miteinander umzuwandeln? Vieles – das Schnellste jedoch, aus meiner jahreslangen Erfahrung, ist Liebe!

Seit vielen Jahren hören meine Kund:innen immer und immer wieder, dass wir mehr Liebe in Organisationen brauchen. Sie mögen jetzt vielleicht die Augen rollen und denken, dass Liebe das Letzte ist, was ich in meiner Firma brauche, und sie nur in den privaten Raum gehört. Weit gefehlt!

Liebe ist Respekt, Ehrlichkeit, Vertrauen und Zuverlässigkeit. Und all das beginnt in uns.

Ich kann nicht von meinen Mitarbeiter:innen eine Topleistung verlangen, selbst aber nur Mittelmäßigkeit vorleben. Ich kann nicht vertrauensvolle Beziehungen fordern, selbst aber nur oberflächlich kommunizieren, unnahbar sein oder keine Fehlerkultur zulassen. Eine der ersten Fragen, die ich Manager:innen stelle, ist: "Wofür stehen Sie als Führungskraft?" Was fördern Sie in Ihrem Team, und wofür stehen Sie nicht (mehr) zur Verfügung? Wovon müssen Sie sich in dieser Funktion auch verabschieden, was loslassen? Viele haben keine klaren Antworten darauf.

Wie sollen Mitarbeiter:innen nun dieser Person folgen, wenn sie nicht wissen, wofür sie/er steht? Nichts ist demotivierender als Orientierungslosigkeit, Desinteresse, Arroganz und Feigheit. Daher ist ein "deep dive" nach innen entscheidend für wirkungsvolle und nachhaltige Führung. Ich muss mein eigenes Universum durch und durch kennen. Ich muss wissen, wie ich ticke (oder austicke), wenn mein Handeln sich auf andere auswirkt.

Und diese Klarheit beginnt in der Beziehung zu mir. Wie liebevoll, wertschätzend, mitfühlend und fürsorglich gehe ich mit mir um? Wie sehr stehe ich zu, neben und hinter mir? Wie sehr lasse ich mich in meiner Rolle wirklich da sein – oder ist es nur eine gut trainierte, konditionierte Fassade? Wie oft pushe ich mich selbst, um Ziele zu erreichen? Verzeihe ich mir schnell Fehler, wenn ich mutig Neues vergeigt habe? Wie sehr stehe ich zu meiner Meinung (habe ich überhaupt eine?) und vertrete sie auch vor anderen. Wie oft passe ich mich an, aus Angst, nicht geliebt zu werden, alleine zu sein oder nicht dazuzugehören? All das sind relevante Fragen für Führungskräfte.

Alles beginnt mit der Beziehung zu mir selbst

Die Beziehung zu mir selbst ist die Basis für zufriedenstellende Beziehungen zu anderen.

Ob privat oder beruflich: Wenn ich in mir freudvoll, zufrieden und liebevoll bin, werde ich es auch zu anderen sein. Liebe heißt nicht 'lieb sein'. Liebe ist Klarheit. Liebe ist eine Verbindung nach innen, zu mir. Ein bedingungsloses Ja zu meinem Sein, meinen Stärken und Schwächen. Eine existenzielle Begleitung in jeder Lebenslage.

Diese Liebe braucht es viel mehr in Organisationen, und sie beginnt in jedem Einzelnen von uns. Wenn diese Begeisterung und Ernsthaftigkeit spürbar wird, dann folgen Menschen gerne anderen Menschen. Wenn sie spüren, dass er/sie ernsthaft an der Entwicklung anderer interessiert ist, dann bleiben Menschen auch gerne lange in Unternehmen. Menschen wollen gesehen und ihren Stärken und Talenten entsprechend eingesetzt werden. Ihre Mitarbeiter:innen müssen Sie nicht lieben, aber sie müssen Ihnen vertrauen können. (Erika Kleestorfer, 10.3.2022)