An einem polnisch-ukrainischen Grenzübergang werden ausländische Kämpfer in Empfang genommen.

Foto: Christopher Glanzl

Geht man aus Polen über die Grenze in die Ukraine, dann muss man nicht in der Schlange warten. Während von der einen Seite Tausende fliehen müssen, Frauen Kinderwagen schieben und Großmütter Trollys ziehen, so stapfen in die andere Richtung nur vereinzelt Männer mit Reisetaschen in der Hand. Sie ziehen in den Krieg, entweder weil sie müssen oder weil sie wollen.

Zweitgenannte werden dann in einem schlichten beigen Zelt in Empfang genommen, drinnen sitzt ein Mann in Militärkleidung, Flicken auf den Knien, dicke Jacke. Oben am Zelt klebt ein Din-A4-Blatt: "Help Desk for Foreign Soldiers" steht da drauf und eine ukrainische Telefonnummer, "Legion" hat jemand mit roter Farbe daneben gesprüht. Erst vor wenigen Tagen hat Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, die Gründung der "Internationalen Legion der Territorialverteidigung der Ukraine" bekanntgegeben, zigtausende Männer sollen seinem Aufruf gefolgt sein.

Offizielle Zahlen unauffindbar

Hierzulande mehren sich die Berichte, wonach sich Tschetschenen aus Österreich aufmachen würden, um an der Seite der Ukraine gegen Putins Armee zu kämpfen. Die "Kronen Zeitung" berichtete von zwei Männern, in der "ZiB 2" war dann bereits von bis zu 20 potenziellen Kämpfern die Rede. Was die Berichte eint, ist das Narrativ, dass es sich dabei um "Austro-Jihadisten" handle, die bereits in Syrien für den sogenannten Islamischen Staat gekämpft hätten und daher kampferprobt seien.

Doch Belege gibt es dafür bisher keine. Der österreichische Verfassungsschutz verweist zwar darauf, "dass innerhalb gewisser Communitys darüber diskutiert wird, sich ukrainischen oder russischen Truppen anzuschließen" und die Szene genau beobachtet werde. Doch: "Konkrete Erkenntnisse, dass Personen bereits auf der einen oder anderen Seite an Kämpfen teilnehmen, liegen derzeit nicht vor." Auch aus der Ukraine kommen keinerlei Infos, weder das dortige Verteidigungsministerium noch die ukrainische Botschaft in Wien reagierten bisher auf Anfragen des STANDARD.

Ruft man die Nummer an, die am Grenzübergang aus Polen auf dem Zelt steht, dann erreicht man einen Freiwilligen. Er sei in Schehyni stationiert, erzählt er, 20, 25 Leute kämen da jeden Tag, doch zumindest er habe noch keinen Österreicher getroffen. Würden sie kommen, würde er sie, so wie alle anderen ausländischen Kämpfer auch, zum lokalen Militärbüro schicken. Dort würde die Militärverwaltung entscheiden, wo sie eingesetzt werden, dort würden sie – je nach Erfahrung – Waffen oder Aufgaben bekommen, manche würden auch wieder umdrehen.

Ein Krieg als "Déjà-vu"

Was ist also dran an diesen Geschichten? Die gebürtige Tschetschenin und Journalistin Maynat Kurbanova gilt als bestens vernetzt in der Community hierzulande. "Natürlich wird unter Tschetschenen gerade viel über den Krieg in der Ukraine gesprochen", sagt sie. "Das ist aber auch logisch, denn für alle Menschen, die den Krieg Russlands in Tschetschenien erlebt haben, ist das ein Déjà-vu – wie Putin gegen Zivilisten vorgeht und die Städte dem Erdboden gleichmacht, wir kennen das." Von tschetschenischen Kämpfern aus Österreich, die kriegswillig in die Ukraine ziehen würden, habe sie noch nichts gehört. Die absolute Mehrheit der Menschen, mit denen Kurbanova in diesen Tagen gesprochen habe, würden die Teilnahme an "fremden" Kriegen verurteilen.

Ausschließen könne man freilich gar nichts, sagt Kurbanova, doch für absoluten Nonsens hält sie die Annahme, dass es sich dabei um Jihadisten handeln könnte. Das passe schlicht nicht mit deren strengen Religionsvorschriften zusammen, sich in einem Krieg zwischen zwei nicht muslimischen Staaten auf eine Seite zu stellen. Beim syrischen Bürgerkrieg sei das anders gewesen. Dorthin reisten auch auffallend viele tschetschenische Jihadisten aus Österreich, um Machthaber Bashar al-Assad zu bekämpfen – ein Verbündeter Putins.

Was gegen das Jihadisten-Narrativ spricht

Das Schlachtfeld des Tschetschenienkriegs erweitere allerdings damals wie heute ein anderer, wirft Jihadismus-Experte Thomas Schmidinger ein: Ramsan Kadyrow. Er herrscht diktatorisch über die nunmehr russische Teilrepublik Tschetschenien und ist ein treuer Vasall Putins. Kadyrow versucht in seinem Staat eine strenge Islamauslegung zu inszenieren – Alkohol ist verboten, Polygamie erlaubt –, im jihadistischen Kaukasus-Emirat, das einst tschetschenische Separatisten ausriefen, sieht er allerdings seinen schärfsten Gegner.

Wie im Jahr 2014 im ostukrainischen Donbass und später in Syrien, unterstützt Kadyrow die russische Armee nun auch in der Ukraine mit Truppen. Das "triggert" jene, die einst vor Krieg und Kadyrow flüchteten, sagt Schmidinger. Ob das reicht, um sich in die Ukraine aufzumachen, sei allerdings offen: "Aber natürlich, wenn desorientierte junge Leute glauben, dass sie den Kampf ihrer Väter weiterfechten müssen, dann könnte das schon den ein oder anderen betreffen. Ich sehe da im Moment aber keine Massenbewegung entstehen."

Rechtliche Unterschiede

Selbst wenn Menschen in Österreich überlegen würden, in der Ukraine – oder in Russland, immerhin wirbt auch Putin um Söldner aus aller Welt – zu kämpfen: Sie müssten mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Allerdings unterscheiden sich die je nach Staatsbürgerschaft(en) und je nachdem, mit wem genau man kämpft. Doppelstaatsbürgern kann laut Politikwissenschafter Gerd Valchars die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen werden, wenn sie im Ausland kämpfen. Hat aber jemand von vornherein nur die österreichische Staatsbürgerschaft, gilt die Regel, dass man nicht staatenlos werden darf. Allerdings, so Valchars, nur dann, wenn man in einer paramilitärischen Einheit anschließt, im Gesetz wird das eine "organisierte bewaffnete Gruppe" genannt.

Andere, etwa strafrechtliche, Konsequenzen schließt das freilich nicht aus. Schließt man sich aber dem Militär eines Landes an, kann man laut Valchars sogar staatenlos werden. Und: All das gilt nur, wenn man freiwillig in den Krieg zieht, nich aber, wenn man – etwa als ukrainischer Staatsbürger – eingezogen wird.

Hat eine Person nur eine ausländische Staatsbürgerschaft – im Fall von Tschetschenen eine russische – und zieht aus Österreich in den Ukraine-Krieg, dann finden laut Innenministerium "die Bestimmungen im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten wiederum keine Anwendung, weil kein terroristischer Anknüpfungspunkt erkennbar ist". Ist der Auslandskämpfer allerdings eine schutzberechtigte Person in Österreich, droht die Aberkennung des Asylstatus.

"Das beginnt ja nicht erst jetzt"

Das alles lässt den hierzulande lebenden tschetschenischen Exilpolitiker Huseyn Ishanov allerdings kalt. "Wäre ich jünger, ich würde gegen Russland kämpfen", sagt er. "Ich habe beide Kriege in Tschetschenien miterlebt, die Russen haben unsere Verwandten ermordet, das Land hat viele Menschen verloren, ich weiß, was Krieg bedeutet." Ishanov erzählt davon, dass er noch ein Transparent von einer Demonstration in Österreich im Jahr 2007 gegen den Krieg in Tschetschenien im Keller habe, auf dem stehe: "Heute Tschetschenien, morgen Europa". Aber niemand habe hören und glauben wollen, wozu Putin fähig sei.

Für Ishanov wäre es jedenfalls keine Überraschung, falls Tschetschenen aus Österreich nun an der Seite der Ukraine kämpfen möchten. "Das beginnt ja nicht erst jetzt", sagt er. "Das ist schon seit 2014 so, als die Krise in der Ukraine begann. Manche kommen zurück, manche gehen wieder, ich kenne diese Menschen." Ishanov sehe auch kein Problem darin. Wie viele da infrage kämen? "Vielleicht werden 50 gehen, vielleicht 100", schätzt er.

Zumindest, dass manche ausländische Soldaten nicht zum ersten Mal in der Ukraine in den Krieg ziehen, bestätigt auch der junge Freiwillige, der an der Hotline für "Foreign Soldiers" sitzt. Er habe schon einige getroffen, die bereits 2014 der Armee beigetreten seien, sagt er. Da entscheide dann nicht die Militärverwaltung, wo sie hinkämen, die würden schon wissen, mit welchen Soldaten sie kämpfen wollen. (Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, 15.3.2022)