Das Risiko schwerer Repressalien ist groß: Demonstration von Frauen für ihre Rechte in Kabul im Jänner 2022.

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Wien/Kabul/Oslo – Die Rückkehr von Gewalt und Repression, von Diktatur und Krieg gehe mit verstärkter Unterdrückung von Frauen einher, auch als verhandlungsfähige Subjekte kämen sie in den neu ausgebrochenen großen Konflikten selten vor, sagt die Soziologin Edit Schlaffer.

So befinde sich in den ukrainischen und russischen Delegationen, die in diesen Tagen Gespräche wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine führen, selten eine Frau.

Nur aus Männern habe auch die Delegation der Taliban bestanden, die Ende Jänner in Oslo mit Vertretern der norwegischen Regierung sprach. Es ging großteils um humanitäre Hilfe für die nach der erneuten Machtergreifung der Radikalislamisten unterdrückten und hungernden Afghan:innen.

Die Soziologin Edit Schlaffer, Gründerin der Organisation Frauen ohne Grenzen, schlägt eine internationale Vernetzung von Frauen aus Krisenstaaten wie Afghanistan oder der Ukraine vor.
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Aus Kabul nach Oslo

Im Vorfeld dieses ersten Treffens westlicher Repräsentant:innen mit den Taliban hatte sich die norwegische Seite Gedanken gegen den Ausschluss der Frauen gemacht. Sie lud Hoda Khamosh ein, eine 25-jährige Frauenaktivistin aus Kabul, die dort vor dem erneuten Umsturz an der Universität studiert und als Radiosprecherin gearbeitet hatte.

Khamosh nahm die Herausforderung an. Mit Bildern verschleppter Frauen stellte sie sich in Oslo dem Außenminister der Taliban, Amir Khan Mutaqi, in den Weg. Er solle dafür sorgen, dass diese Frauen freikämen. Mutaqi stritt alles ab. Mit diesem Verschwinden hätten die Taliban nichts zu tun.

Für die junge Afghanin hatte die Aktion schwere Folgen. Taliban zerstörten ihre Wohnung in Kabul, suchten ihren Ehemann. Der tauchte unter, lebt seitdem im Verborgenen – so wie auch eine ganze Reihe ihrer Freundinnen und Bekannten.

Hoda Khamosh arbeitete in Kabul als Radiosprecherin und studierte, bevor die Taliban wieder die Macht übernahmen.
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Informationstour durch die EU

Ihr Mut habe Hoda Khamosh zu einer "Ikone des Frauenwiderstands" in Afghanistan gemacht, sagt Schlaffer. Die junge Frau habe ein sechsmonatiges Aufenthaltsvisum für den Schengenraum beantragt – kein Asyl, denn das würde sie unter ihren Mitstreiter:innen in Afghanistan "unmöglich machen".

Sie wolle in Europa über die Lage afghanischer Frauen informieren – und sich so für die Richterinnen, Universitätsdozentinnen, Wissenschafterinnen, Lehrerinnen und die Frauen im ganzen Land einsetzen, die von Neuem entrechtet wurden.

Brutale Repressionen

Nicht nur das: Sie sind in Afghanistan akut von Verschleppung bedroht. So wurden die Bewohnerinnen der früheren afghanischen Frauenhäuser von den Taliban in die Familien der Väter ihrer Kinder zurückgeschickt – und damit vielfach ihren Misshandlern, vor denen sie ins Frauenhaus geflohen waren, ausgeliefert. Die Frauenhausbewohnerinnen und die Juristinnen, die gegen die Misshandler ausgesagt haben, sind ebenfalls von der Rache der Taliban bedroht.

Frauen müssen mitverhandeln

In Afghanistan selbst sei es nur unter Lebensgefahr möglich, sich zu wehren und gegen Unrecht aufzustehen, sagt Schlaffer. Daher müssten außerhalb des Landes Strukturen geschaffen werden. Von einer afghanischen Exil-Frauenregierung will sie nicht direkt sprechen, aber: "Wir brauchen im Ausland weibliche Stützpunkte, eine globale Plattform für einen internationalen Frauendialog."

Mit Unterstützung der von ihr gegründeten Organisation Frauen ohne Grenzen, die weltweit Aktivitäten zur Ermächtigung von Frauen setzt, will sie außerdem "Parallelorganisationen zu den in der Regel rein männlich besetzten Verhandlungsformaten aufzubauen".

Aus den Fehlern des Westens lernen

Im Rahmen von "Side Events" gelte es, zivilgesellschaftliche Forderungen von der Basis der Gesellschaft in derlei Verhandlungen einzubringen, Fragen der Bildung und der Schulen etwa, der Partizipation, oder auch die auf Gemeindeebene bestehenden Interessen. Anders würden die vitalen Interessen von Frauen nicht berücksichtigt, das gelte auch im Ukraine-Krieg.

Und es gehe darum, Lehren aus den wiederholten massiven Rückschlägen zu ziehen, die – neben vielen Fortschritten – Frauen in den vergangenen Jahrzehnten erleben mussten. Nötig sei eine Abkehr von westlicher Schönwetterpolitik, die fördere, wenn es einfach gehe, und sich abwende, wenn es zu massiven Verschlechterungen komme. "Wir müssen dringend aus unseren Fehlern lernen." (Irene Brickner, 8.3.2022)