Im Gastblog beschreiben Karina Grömer und Walpurga Antl-Weiser vom Naturhistorischen Museum Wien sowie Pia Schölnberger und Julia Unterweger von der Kommission für Provenienzforschung den Restitutionsfall der Sammlung Robert Piowaty.

Die Archäologie beschäftigt sich nicht nur mit der Geschichte des Menschen, das Fach selbst hat auch eine Geschichte, die nach einem bedachten Umgang verlangt. So fanden in der Zeit des Nationalsozialismus auch Ausgrabungen unter Beteiligung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern statt. Einer dieser Fälle ist etwa das spätbronzezeitliche Gräberfeld Gusen, das von Inhaftierten des Konzentrationslagers Gusen ausgegraben wurde. Andere Fälle, die heute Fragen aufwerfen, sind jene, bei denen Fundmaterial unter zweifelhaften Umständen in das Naturhistorische Museum Wien gelangte.

Eine Sammlung und ihr Weg ins Naturhistorische Museum

Nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 begann die systematische Verfolgung der jüdischen Bevölkerung. Dies führte neben Bedrohungen für Eigentum und Leben zu zahlreichen Beschlagnahmungen und Zwangsverkäufen. Im Rahmen dieser Aktivitäten gelangten auch verschiedene archäologische Objekte in die Sammlung der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien.

Im Jahr 1938 wurden 104 archäologische Artefakte in das Inventar der Prähistorischen Abteilung aufgenommen, die vormals dem Arzt und Sammler Robert Piowaty beziehungsweise seiner Frau Margarethe gehört hatten. Eindeutig als Notverkauf zu klassifizieren ist die für das Museum äußerst günstige Erwerbung verschiedener archäologischer Fundstücke, die Piowaty einst aus kulturhistorischem Interesse gesammelt hatte.

Artefakte und Dokumente, Sammlung Piowaty Lang.
Foto: Chr. Rittmannsperger, NHM

Artefakte der Sammlung Robert Piowaty

Die so ans Museum gekommene Sammlung Piowaty weist eine große Vielfalt an Artefakten auf. Der Erhaltungszustand ist dabei sehr unterschiedlich. Viele der Steingeräte aus Feuerstein sind intakt, aber die Metallobjekte sind mehr oder weniger fragmentiert. Von den Keramikobjekten sind nur noch kleinere Tonscherben erhalten. Besonders imposante Stücke sind die Schäftungen aus Geweih, in denen teils noch Steinklingen stecken. Diese Artefakte stammen aus Pfahlbauten (circa 3800–3000 v. Chr.) aus der Bodenseeregion und der Schweiz, die teils seit zehn Jahren Teil des Unesco-Welterbes "Pfahlbauten rund um die Alpen" sind.

Es ist charakteristisch für private Sammler, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts tätig waren, eine Vielzahl von Objekten zu sammeln, die gemeinsam einen Überblick über die Geschichte der Menschheit ergeben. So beherbergt die Sammlung Piowaty auch Keramiken aus Frankreich sowie auch verschiedene römische Funde aus der Türkei, darunter einige Fragmente und Eisenwaffen, die als Streufunde an einer römischen Siedlung gesammelt wurden.

Wie in Sammlungen anderer Privatsammler gehören auch Feuersteinwerkzeuge zu den ans NHM verkauften Artefakten. Die ältesten Artefakte in der Sammlung Piowaty sind Steinwerkzeuge und Waffen aus Frankreich und repräsentieren die wichtige Ära der späten Neandertaler, bevor der moderne Mensch – der Homo sapiens sapiens – Europa erreichte. Die Artefakte von La Micoque – Schaber und ein fragmentierter Faustkeil – können auf 60.000 und 40.000 vor der Gegenwart datiert werden. Die Sammlung enthält auch verschiedene Steinartefakte wie Kerne, Stichel, modifizierte Klingen und Klingen aus der im Südwesten Frankreichs liegenden Höhle Gorge d’Enfer mit einem Alter zwischen 40.000 und 12.000 Jahren, der Jäger-Sammler-Gesellschaften der letzten Eiszeit.

Mit einer der Gründe, warum die Sammlung Piowaty damals vom Naturhistorischen Museum angekauft wurde, dürften die Funde aus Hallstatt sein. Die Prähistorische Abteilung hat seit Langem einen Forschungsschwerpunkt zu dieser Fundstelle, die einer Epoche der europäischen Vorgeschichte ihren Namen gegeben hat – der Hallstattkultur zwischen 800 und 400 v. Chr. Bei den aus Hallstatt stammenden Gegenständen der Sammlung Piowaty handelt es sich vermutlich um Grabbeigaben, die von Einheimischen ausgegraben und dann an interessierte Sammler verkauft wurden. Grabbeigaben in Hallstatt bestehen in der Regel aus Werkzeugen, Schmuck, diversen Prestigegütern und Utensilien für die Reise der Toten ins Jenseits (zum Beispiel Speisegefäße und Messer). Die von Piowaty gesammelten Artefakte sind fragmentierte Bronzegegenstände wie Armreife, eine Nadel und eine Eisenfibel.

Artefakte der Sammlung Piowaty Lang.
Foto: Chr. Rittmannsperger, NHM

Der Rückgabefall Piowaty

In seiner 36. Sitzung am 8. November 2006 empfahl der österreichische Kunstrückgabebeirat die Rückgabe der prähistorischen Objekte (104 Signaturen) an Robert und Margarethe Piowaty. Nach jahrelanger, äußerst komplizierter Recherche nach Erben und Erbinnen und langwierigen Verhandlungen konnte der Fall nun nach 15 Jahren abgeschlossen werden. Der Restitutionsempfehlung lag das Schicksal des Wiener Arztes und Amateurmineralogen Piowaty zugrunde.

Piowaty wurde am 20. Mai 1879 in Brünn (Brno) geboren und übersiedelte gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit seinen Eltern nach Wien, wo er ein Medizinstudium aufnahm, welches er 1903 abschloss. In der Folge war er als Dermatologe an verschiedenen Wiener Krankenhäusern sowie als Polizeioberbezirksarzt unter anderem in der Leopoldstadt tätig. Aus seiner ersten Ehe mit der jüdischen Konzertsängerin Sidonie Herzog alias "Nony Paldo" ging die 1908 geborene Tochter Gertrude hervor. Das Paar ließ sich 1919 scheiden, Robert heiratete 1921 die Protestantin Margarethe Lang.

Sein Interesse an naturkundlichen beziehungsweise prähistorischen Objekten lässt sich an einzelnen Quellen nachweisen: So nahm er im März 1912 an einer vom Naturwissenschaftlichen Verein an der Universität Wien organisierten und vom Geologen Hermann Vetters geführten Exkursion nach Nikolsburg (Mikulov) und den Pollauer Bergen teil, die "dem Studium der Jurakalkberge und der Tertiärablagerungen an ihrem Rande" galt. Zudem war Piowaty Mitglied der kaiserlich-königlichen Geographischen Gesellschaft.

Schwierige Erbschaftssuche

Mit dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938 war Piowaty als jüdischer Arzt erheblichen Zwangsmaßnahmen auf persönlicher wie beruflicher Ebene ausgesetzt. In seiner Verzweiflung beging er in der Nacht des 23. Juni 1938 Suizid mittels einer Überdosis Morphium. Seine Frau Margarethe Piowaty und seine Tochter Gertrude Bassist erbten den Nachlass des Verstorbenen, darunter auch seine Sammlung prähistorischer Objekte. Im Oktober 1938 erwarb die Prähistorische Abteilung des Naturhistorischen Museums diese Objekte um 60 Reichsmark. Bassist emigrierte im April 1939 gemeinsam mit ihrem Ehemann Rudolf, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft mehrere Wochen im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert gewesen war, von Hamburg aus in die USA. Der Verkauf der Sammlung an das Naturhistorische Museum könnte dementsprechend im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Flucht getätigt worden sein.
Margarethe Piowaty verblieb bis zu ihrem Tod 1972 in Wien. Sie setzte ihre Stieftochter Gertrude als Alleinerbin ihres Nachlasses ein.

2006 legte die Kommission für Provenienzforschung ein Dossier zur Sammlung Piowaty vor. Nach der vom Kunstrückgabebeirat auf Basis dieses Dossiers ausgesprochenen Rückgabeempfehlung, der die damals für Kultur zuständige Ministerin Elisabeth Gehrer folgte, wurde die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) um Unterstützung in der Erbfolgerecherche gebeten. Diese ergab eine ungewöhnliche Konstellation: Als Erbberechtigte nach der im Jahr 2001 in Lancaster, Pennsylvania, verstorbenen Bassist konnten zwei Tierschutzorganisationen in den USA identifiziert werden. Eine der beiden Organisationen änderte im Laufe der Zeit ihre Rechtsform, was neben der Beschaffenheit der Objekte eine zusätzliche Hürde bedeutete. 2021 konnte der Fall nach langen Verhandlungen abgeschlossen werden.

Porträt von Robert Piowaty in der Zeitschrift "Öffentliche Sicherheit. Polizei-Rundschau der österreichischen Bundes- und Gemeindepolizei sowie Gendarmerie" 1931.
Foto: Public Domain

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Vor allem die Artefakte aus Hallstatt sind von großer Bedeutung für das Naturhistorische Museum, weshalb diese Objekte rückgekauft wurden, damit sie in den Sammlungen des Museums verbleiben können. Die Sammlung Piowaty enthält auch eine Kollektion verschiedener anderer Artefakte, vor allem von paläolithischen und neolithischen Geräten; diesen Teil kaufte die Israelische Kultusgemeinde und schenkte sie dem Museum, wo sie nun weiterhin der Forschung zur Verfügung stehen. Drei ausgewählte Stücke wurden allerdings tatsächlich vom Verein Humane Pennsylvania übernommen. Sie werden dort in einer Vitrine ausgestellt, um an das Schicksal Robert Piowatys zu erinnern.

Restitution am 15.11.2021 im Naturhistorischen Museum Wien.
Foto: Chr. Rittmannsperger, NHM

Dem Naturhistorischen Museum ist es ein Bedürfnis, die Artefakte der Sammlung Piowaty als Erinnerung an den dunkelsten Abschnitt in seiner Geschichte zu erhalten. Sie wurden nun abermals in die Sammlungen der Prähistorischen Abteilung integriert, mit dem Zusatz "in Memoriam Robert Piowaty (1879–1938)". (Karina Grömer, Walpurga Antl-Weiser, Pia Schölnberger, Julia Unterweger, 10.3.2022)