"In meiner Arbeit geht es mir neben der Analyse der Produktionsgeschichte von Filmen vor allem um eine Musikanalyse", sagt der aus Sarajevo stammende Wissenschafter und Künstler Timur Sijaric.

Foto: IFK / Jan Dreer

Die Musik, heißt es, ist der Königsweg zu den Emotionen der Menschen. Das wussten auch die Propagandisten des Nationalsozialismus. Der Musikwissenschafter, Komponist und Saxofonist Timur Sijaric untersucht in seiner Dissertation, wie die Filmmusik der NS-Zeit gezielt vor den ideologischen Karren gespannt und "Wünsche" und Vorgaben "von oben" in Musik übersetzt wurden.

"In meiner Arbeit geht es mir neben der Analyse der Produktionsgeschichte von Filmen vor allem um eine Musikanalyse", sagt der aus Sarajevo stammende Wissenschafter und Künstler. "Also wie der Filmkomponist die Anweisungen aus dem Drehbuch umsetzt und wie die eingesetzte Musik auf einer subtilen Ebene auf das Publikum wirkt."

Relativ subtil treten die musikalischen Botschaften an das Publikum deshalb zutage, weil die analysierten Filme großteils keine offenkundigen Propagandafilme sind, sondern leichte Unterhaltungsfilme mit eskapistischer Schlagseite. Produziert wurden sie von der Wien-Film GmbH, einem der drei großen Unternehmen der nationalsozialistischen Filmproduktion mit dem Schwerpunkt auf "unpolitischen" Filmen.

"Die auf den ersten Blick unbeschwert anmutenden Filme streuten eine Ideologie, die umso wirksamer war, als das nationalsozialistische Dogma verschleiert und ideologisch nicht ausgesprochen wurde", sagt Sijaric. In seiner Dissertation an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (MDW) wolle er den Workflow der Kompositionen und die Manipulationsstrategien der Filmmusik in der nationalsozialistischen Filmindustrie nachvollziehbar machen.

Kritische Nachbesprechungen

Dass der Komponist und Interpret in den letzten zwei Jahren mehr Zeit in die theoretische Seite seiner "umfassenden Musikliebe" investiert hat, ist nicht zuletzt Corona geschuldet. "Die Auftritte sind auf ein Minimum reduziert, und einige Kompositionsaufträge habe ich abgelehnt, um mich voll auf meine wissenschaftliche Tätigkeit zu konzentrieren." Diese umfasst auch die Arbeit am Projekt "Filmmusik zur Ideologievermittlung der Wien-Film 1938–1945. Schleier über ihren Augen und Ohren" des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften der Kunstuniversität Linz in Wien (IFK), auf dem seine musikanalytische Doktorarbeit aufbaut.

Sijaric’ vier Saxofone verstauben dabei trotzdem nicht in der Ecke: "Ich spiele auch ohne Arbeitsauftrag mit großer Begeisterung." Computermusik und freie Improvisation. Ein fixer Alltagsbestandteil sind auch Filme aller Art: "Ich habe mir schon immer gerne Filme angeschaut – selbst Zeichentrickfilme, alte und sentimentale Filme oder auch Fernsehserien", lacht der 32-Jährige.

"Am stärksten interessiert mich dabei neben der Handlung natürlich die Filmmusik." Und weil seine Ehefrau als Kostümbildnerin ihre ganz eigenen Blickwinkel einbringt, enden Filmabende im Hause Sijaric meist mit einer kritischen Nachbesprechung.

Ein Couchpotato ist Sijaric dennoch nicht, denn seine dritte große Leidenschaft neben der Musik und den Filmen ist der Triathlon. "Ich laufe täglich mindestens zehn Kilometer, gehe oft schwimmen und Rad fahren – das brauche ich dringend als Ausgleich zu meiner Arbeit." (grido, 9.3.2022)