Die Belastungen des Raketenstarts und die komplexe robotische Entfaltung hat das James-Webb-Teleskop hinter sich. Im Sommer soll es nie dagewesene Einblicke ins All übermitteln.

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Die ersten wissenschaftlich verwertbaren Daten des James-Webb-Weltraumteleskops sind zum Greifen nah. Taucht auf den letzten Metern kein Hindernis auf, steht der Erforschung der Frühzeit des Universums, der Untersuchung von Exoplaneten oder dem Blick in bisher undurchdringliche Nebel nichts mehr im Weg. Im Sommer soll es so weit sein.

Zu den Hauptinstrumenten gehört der Nahinfrarot-Spektrograf (NIRSpec), mit dem unter anderem die Bildung der ersten Sterne und Galaxien im jungen Universum untersucht wird. Das Messgerät wurde zur Gänze von der europäischen Weltraumagentur Esa gebaut, zu deren Etat das österreichische Klimaministerium beiträgt. Zwei Mechanismen des Instruments, das das Licht von knapp 200 Sternen gleichzeitig untersuchen kann, stammen aus Österreich und wurden vom Raumfahrtzulieferer Ruag Space Austria, der Standorte in Wien und Niederösterreich betreibt, gebaut. Am Bau eines zweiten Instruments zur Untersuchung des mittleren Infrarotbereichs (MIRI) war die Esa zu 50 Prozent beteiligt.

Der nötige Halt

Aus den Ruag-Labors kommen spezielle Mechanismen, die für das Halten und Drehen eines Filterrads sowie eines Gitterrads innerhalb von NIRSpec zuständig sind. Sie spielen eine wichtige Rolle im optischen Pfad, der der Auswertung der nahen Infrarotstrahlung dient. "Das Licht, das die 18 großen Segmente des Primärspiegels einsammeln, wird über mehrere weitere Spiegel gebündelt und auf eine Bildebene projiziert, sodass die verschiedenen Instrumente es für ihre Analysen nutzen können", sagt Manfred Sust, der seit Jänner 2022 der neue Geschäftsführer von Ruag Space Austria ist.

NIRSpec hat dabei die Aufgabe, das Licht des nahen Infrarotbereichs in seine spektralen Bestandteile zu zerlegen – aus dieser Spektralinformation lassen sich Informationen wie Temperatur, Masse oder chemische Zusammensetzung von Objekten ableiten.

"Um dieses Licht in seine Komponenten aufzuspalten, geht man in zwei Schritten vor: Zuerst wird eine Filterscheibe in den optischen Pfad eingebracht, um jeweils bestimmte Wellenlängen herauszufiltern", erklärt Sust. "Dann durchläuft das verbleibende Licht ein optisches Gitter, das es in seine Bestandteile aufspaltet." Vom Prinzip her ähnele das dem Licht, das an der Unterseite einer CD in allen Regenbogenfarben reflektiert wird.

Erste Aufnahmen eines Sterns in der Konstellation Großer Bär.
Foto: AFP / NASA

Potenzielle Schwachstelle umgehen

"Man kann sich die beiden Bauteile wie zwei kleine Wiener Riesenräder vorstellen. Statt einer Gondel wird allerdings immer jeweils ein Filter- oder ein Gitterelement im Lichtstrahl positioniert", sagt Mechanismen-Experte Paul Janu von der Ruag. Bei der Konstruktion der Mechanismen, die die beiden etwa 30 Zentimeter großen Räder an Ort und Stelle halten und gezielt bewegen, gab es für die Ruag mehrere Herausforderungen: Dazu gehören eine hohe Präzision und Zuverlässigkeit sowie das Einbeziehen des thermischen Verhaltens der Materialien – immerhin sollen die Bauteile nicht bei Raumtemperatur, sondern bei minus 238 Grad Celsius funktionieren.

"Zum einen nutzen wir eine spezielle Eisen-Nickel-Legierung als Material für Teile unserer Mechanismen, die sich dank eines äußerst geringeren Wärmeausdehnungskoeffizienten durch die Kälte kaum verändert", erklärt Janu. "Zum anderen nutzen wir aber auch Materialveränderungen durch die Kälte ganz bewusst." Denn bewegliche Teile müssen für die enormen Vibrationen beim Start gewöhnlich durch einen eigenen Mechanismus fixiert werden, der dann fernbedient von der Erde aus gelöst wird.

Diese potenzielle Schwachstelle wird umgangen, indem das vergrößerte Volumen bei hohen Temperaturen genutzt wird. "Durch das Zusammenspiel verschiedener Materialien blockieren die beweglichen Teile dank der großen Reibung, die bei hohen Temperaturen entsteht. Erst nachdem sich die Materialien in der Kälte zusammengezogen haben, wird er leichtgängig und präzise", sagt Janu. Trotz dieser Transformation erreichen die mechatronischen Elemente eine Genauigkeit von etwa 100 Nanometer – was also etwa einem Zehntel des Durchmessers einer menschlichen Zelle entspricht.

Außerirdischer Impulsgeber

Zu den von der Ruag designten Bauteilen gehört ein Kugellager, das das zu den präzisesten gehört, die jemals in Europa vermessen wurde. Die Herstellung des Instruments, das nun im All seinen Dienst antritt, liegt nun aber bereits zehn Jahre zurück. "Grundsätzlich würde man heute nichts anders machen", sagt Janu auf die Frage, ob sich der Stand der Technik seitdem wesentlich verändert habe. "Mechanismen aus Folgeprojekten weisen eine ähnliche Genauigkeit auf. Eine neue Generation an Bauteilen lässt aber mehr Freiheit bei den Bewegungen zu." Das Filterrad könnte heute also vielleicht nicht nur in eine, sondern in mehrere Richtungen verstellt werden.

"Wissenschaftsmissionen sind für uns generell ein Vehikel für die Entwicklung neuer Technologien", betont Geschäftsführer Sust in diesem Zusammenhang. "Auch bei Webb war das klar der Fall. Die damals entwickelten Mechanismen wurden zu Vorläufern von kommerziellen Produkten, die nun etwa in Erdbeobachtungssatelliten zum Einsatz kommen." (Alois Pumhösel, 12.3.2022)