Die Geschichte von Janis (Penélope Cruz, rechts) und Ana (Milena Smit) beginnt im Spital, wo diese ihre Babys bekommen. Sie wird zur Story alleinerziehender Mütter im Schatten der Politik.

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Wenn ein Kind auf die Welt kommt, wird es meistens zuerst einmal bestaunt. Dann aber beginnt die Arbeit der Identifizierung: Mei, ganz der Papa! Aah, die Augen hat’s von der Mama! Es gibt einen Wunsch nach Ähnlichkeit, dem das Gesicht eines Babys meist gar nicht entsprechen kann. Es braucht ja eine Weile, bis es allmählich Züge bekommt. In höherem Alter wird man dann tatsächlich oft beim Blick in den Spiegel damit konfrontiert, dass man einem Elternteil äußerlich geradezu verblüffend ähnlich geworden ist.

In Pedro Almodóvars neuem Film Parallele Mütter gibt es, wie der Titel schon andeutet, auch parallele Babys. Die ganze Geschichte von Janis (Penélope Cruz) und Ana (Milena Smit) aber läuft darauf hinaus, dass sich Menschen eben selten in Form von Parallelogrammen zusammentun. Vielmehr entstehen andere schiefe Verbindungen, und auch wird die Orthodoxie von "Vater, Mutter, Kind" immer wieder gebrochen.

Ein gehütetes Geheimnis

Janis und Ana treffen in einem Spital aufeinander. Zwei ganz unterschiedliche Frauen teilen sich nach der Niederkunft ein Zimmer. Janis ist eine erfolgreiche Fotografin in mittleren Jahren, sie lebt allein, das Kind hat sie mit einem verheirateten Mann bekommen, der sich auch gleich zurückzieht. Ana erzählt erst einmal gar nichts über die Umstände ihrer Schwangerschaft, sie hütet ein Geheimnis, das Almodóvar bald mit einem noch größeren verbindet.

So entsteht beinahe wie von selbst eine melodramatische Konstellation: zwei alleinerziehende Frauen in vielfachen Bezügen, verbunden und getrennt durch Ereignisse, in die deutlich auch Motive aus Groschenromanen eingeflossen sind – oder aus den Märchen, den Schätzen eines kollektiven Unbewussten. Das Kind von Janis verdankt sich einer zufälligen Begegnung: Sie fotografiert einen Mann, an den sie sich mit einer persönlichen Angelegenheit wendet. Arturo ist Archäologe und Forensiker, er beschäftigt sich mit Ausgrabungen, die der Rekonstruktion der jüngeren Vergangenheit Spaniens dienen.

Almodóvar geht mit Parallele Mütter sehr direkt auf die spanische Vergangenheitsbewältigung ein, in der Exhumierungen von Opfern der faschistischen Herrschaft (der Falangisten) eine wichtige Rolle spielen. Auch Janis kennt einen Ort, an dem die Erde eine Geschichte bedeckt, die freizulegen ist. Es ist die Geschichte ihrer Familie.

Dass Janis mit Arturo im Bett landet, bereitet Almodóvar nicht groß vor, dafür reicht ihm ein Schnitt. Parallele Mütter ist mit der Nonchalance eines echten Kinomeisters erzählt, der sich um raffinierte Einstellungen oder um gefinkelte Übergänge keine großen Gedanken mehr macht. Auch auf dieser Ebene kann es sich Almodóvar leisten, Elemente von Kolportage zu übernehmen.

KinoCheck

Das geht bis in so manches Detail, zum Beispiel würde die Ausstattung der Wohnung von Janis nicht vor jedem kritischen Auge bestehen, da hängt schon auch das eine oder andere Bild an der Wand, bei dem es mit kultureller Aneignung ein wenig zu weit geht. Almodóvar ist der Regisseur des demokratischen Spaniens. Er begann seine Karriere just dann, als das Land endlich die katholische Feudalgewalt abschütteln konnte. Jetzt, in seinen reifen Jahren, sieht man den Filmen an, dass Spanien durchaus eine Erfolgsgeschichte ist: Die Lebenswelten verkünden Wohlstand, wenn auch manchmal mit verwegenem Geschmack.

Almodóvar ist schwul, er ist ein Regisseur der Frauen, und nachdem er über viele Jahre lang alle möglichen Tragödien und Traumata zwischen sexueller und nationaler Identität, zwischen Metropole und Provinz, zwischen Schmerz und Ekstase durchgearbeitet hat, zielt er hier auf eine Familie, die alles in sich aufnehmen kann, was die konservative Engführung auf die "herkömmliche" Verbindung von Vater und Mutter nicht gut verträgt. Es ist eine queere Familie.

Als die Republik unterging

Dass Parallele Mütter jetzt in Österreich ins Kino kommt, trifft sich gut. Denn der Krieg in der Ukraine wird aus guten Gründen immer wieder mit dem Bürgerkrieg in Spanien verglichen. Wie bei all solchen Vergleichen sind die Unterschiede gewichtig, aber die Parallelen haben oft größeren Erkenntniswert. Als in Spanien im April 1939 die Republik unterging, begann eine Herrschaft des Unrechts, die mehr als eine Generation dauerte.

Die Wurzeln seiner Gegenwart in dieser Zeit nimmt Almodóvar mit Parallele Mütter in den Blick. Er tut es mit der Gelassenheit und dem souveränen Gestus eines Künstlers, der eine Form gefunden hat, in der man die Vergangenheit behandeln kann, ohne von ihr gleich gefesselt zu sein. Ganz Europa kann sich an Parallele Mütter ein Beispiel nehmen. Putin würde den Film leider nicht verstehen. (Bert Rebhandl, 9.3.2022)