Klaudia Tanners Vorgänger Thomas Starlinger (ganz recht) hält nicht viel von den Reorganisationsplänen des Bundesheeres

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Mitten in die Debatte um die nationale Sicherheitsarchitektur, die der Ukraine-Krieg ausgelöst hatte, platzt ein brisanter Streit zwischen der Präsidentschaftskanzlei und dem Verteidigungsministerium. Die Reorganisation des Bundesheeres "gefährdet vor allem massiv die zukünftige Einsatzführung des österreichischen Bundesheers im Rahmen der Anlassfälle der militärischen Landesverteidigung", schreibt der frühere Verteidigungsminister Thomas Starlinger, Adjutant von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, in einer E-Mail an ranghohe Beamte im Verteidigungsministerium. Dieser Schriftverkehr liegt dem STANDARD ebenso vor wie ein "geheimer", interner Evaluierungsbericht des Verteidigungsressorts.

Darin wird auf zwanzig Seiten beschrieben, wie die Führungsebene des Heeres gestaltet werden soll. Teilweise wurden erste Reorganisationsschritte bereits umgesetzt. Schon im türkis-grünen Regierungsprogramm war vage die Rede davon, dass das Heer eine "zukunftsfähige Struktur" erhalten sollte; im Frühjahr 2021 erteilte Tanner ihrem Generalsekretär Dieter Kandlhofer dann den Auftrag, die Reorganisation (Reorg 2022) in Angriff zu nehmen.

Im Evaluierungsbericht heißt es, das Heer erhalte nun "schlankere, nachhaltigere und schnellere Führungsstrukturen", das Aufgabenvolumen werde um vierzig Prozent reduziert, die Zahl der Arbeitsplätze um zehn Prozent. Wie das gehen soll: Künftig gibt es drei "Generaldirektionen", denen wiederum mehrere Direktionen unterstehen. Die Generaldirektoren haben Ressourcenverantwortung über ihr Budget und ihr Personal; die Organisationsreform schafft somit mehrere sehr mächtige Stellen.

Mehrfaches Urgieren

Dem Bundespräsidenten, der Oberbefehlshaber des Heeres ist, wurde das neue Modell gleich mehrfach, nämlich am 15. Juni 2021, am 5. November 2021 sowie am 1. Februar 2022 nähergebracht – allerdings fehlten aus Sicht der Präsidentschaftskanzlei entscheidende Informationen, wie moniert wurde – etwa zu Fragen der Einsatzorientierung, der Abgrenzung von Verantwortlichkeiten und zu Effizienz, Effektivität und Ökonomie von Prozessen anhand konkreter Parameter. Die sollte eigentlich der Evaluierungsbericht liefern, den das Verteidigungsministerium am 27. Februar übermittelte.

Doch dessen Inhalt sei "in keinster Weise auf die Fragestellungen im Ansuchen der Präsidentschaftskanzlei" eingegangen, beschwerte sich Starlinger in seiner Antwort-Mail. Starlinger verfügt über vierzig Jahre Erfahrung im Heer, Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat ihn 2017 zu seinem Adjutanten gemacht, also zu seinem Bindeglied ins Bundesheer. In seiner Antwort an das Verteidigungsministerium kritisiert Starlinger, dass es international keine Vorbilder für die Verschmelzung der strategischen, operativen und taktischen Ebenen gebe – was von Tanner geplant wird. Durch die vielen verschiedenen Direktorate, die nun gleichwertig in der Generaldirektion für Landesverteidigung angesiedelt sind, "verkomplizieren" sich außerdem die Arbeitsbeziehungen, argumentiert Starlinger. Das sei ihm schon von anderen Kommandanten und "einigen Direktoren" bestätigt worden.

Videokonferenzen im Kriegsfall

Aber auch andere Pläne "gefährden eine praktikable Einsatzführung im höchsten Ausmaß", schreibt Starlinger: etwa dass die Direktorate auf drei Standorte aufgeteilt werden, nämlich Wien, Graz und Salzburg. Dass das Ministerium offenbar auf Videokonferenzen setzt, "kann aufgrund der massiven Bedrohung von Kommunikationssystemen in einem militärischen Anlassfall als im höchsten Ausmaß ‚unzuverlässig‘ beurteilt werden", kritisiert Starlinger.

Im Hintergrund heißt es, dass der Konflikt vor allem ein Match zwischen Starlinger und Rudolf Striedinger sei. Letzterer ist Tanners Kabinettschef, zuvor war er im Abwehramt tätig. Beide sollen auf die Position des Generalstabchefs spitzen, die im Juni 2022 frei wird – und stark unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft des Heeres haben. So verbrachte Striedinger, der auch dem Corona-Beratungsstab Gecko vorsteht, die vergangenen Jahre im Abwehramt. Sein Blick richte sich daher mehr auf hybride Bedrohungen, sagen Kenner; während Starlinger sich weiterhin auf konventionelle Konflikte fokussiert. Auf Anfrage betont die Präsidentschaftskanzlei, dass derzeit "konstruktive Gespräche" mit dem Ministerium liefen. Aus dem Büro Tanner heißt es: "Sowohl das Konzept als auch die Vorgehensweise, insbesondere die begleitende Kontrolle durch der Direktion Kontrolle wurden mit Generalmajor Starlinger abgestimmt. Auch in der Überleitungsphase wurden der Herr Bundespräsident, die Wehrsprecher der Parteien, die Bundesheerkommission und der Bundesrat mehrfach über den Stand informiert". Man sei laufend in Abstimmungsgesprächen.

Hinter den Kulissen dürfte die Stimmung zwischen Präsidentschaftskanzlei und Verteidigungsministerium aber frostig sein. Wie berichtet gibt es auch rund um eine Personalentscheidung Dissens: Tanner hatte Van der Bellen zwei Mal ihren Wunschkandidaten für die Leitung des Truppenübungsplatzes Allentsteig vorgeschlagen, zwei Mal hatte ihn Van der Bellen nicht ernannt. Daraufhin hatte Tanner ihren Vorschlag zurückgezogen und den Oberst weiter "mit der Leitung betraut", ohne den Ernennungsvorgang abzuschließen. Aus dem Verteidigungsministerium hieß es daraufhin zum STANDARD: "Der Grund, warum Herr Bundespräsident den vorgeschlagenen Kommandanten des Truppenübungsplatzes nicht ernannt hat, entzieht sich unserer Kenntnis." Aus der Präsidentschaftskanzlei folgte dazu ein glatter Widerspruch: Die Gründe für die Nichternennung wurden dem Ministerium "selbstverständlich zur Kenntnis gebracht. Daraufhin zog dieses den Antrag zurück."

SPÖ sieht "Postenschacherreform"

SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer sah sich unterdessen in seiner Kritik an der Reform bestätigt: "Diese Reform muss gestoppt werden. Der Bundeskanzler kann nicht weiter zusehen, wie seine Verteidigungsministerin die Wehrfähigkeit unseres Bundesheeres für eine Postenschacherreform aufs Spiel setzt. Die Einsatzfähigkeit und Einsatzorientierung des Bundesheeres erfahren keinen Mehrwert durch diese hochbürokratische Reform."Laimer warnte in einer Aussendung Dienstagabend davor das Bundesheer zu einer Sicherheitsbehörde à la Polizei zu machen: "Das Bundesheer braucht keine Direktoren, es braucht Kommandanten. Die Kritik des Adjutanten des Bundespräsidenten Thomas Starlinger bestätigt das vehemente Auftreten der SPÖ gegen diese fehlgeleitete Reform." (Fabian Schmid, APA, 8.3.2022)