Bei SPD und Grünen zweifeln viele an der Aufrüstung. Die neue Grünen-Chefin Ricarda Lang betonte, dass bei der Debatte die Parteibasis eingebunden werden müsse.

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Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen" – mit diesen Worten hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag vor zehn Tagen eine sicherheitspolitische Kehrtwende in Deutschland eingeleitet und die bis dahin unvorstellbare Summe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr angekündigt.

Die Verblüffung war groß und – bei Verkündung der Nachricht – vielen Grünen-Abgeordneten deutlich anzusehen. Deutsche Medien berichten, dass Scholz dies offensichtlich nur mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) detaillierter besprochen hatte. Viele in der SPD und bei den Grünen wurden überrascht.

Langsam, aber sicher zeigt sich auch Unbehagen angesichts der gewaltigen Summe. So erklärt Juso-Chefin Jessica Rosenthal: "Ich trage mit, dass wir eine wehrhafte Bundeswehr brauchen. Ich erkenne aber nicht, dass an dieser Stelle mehr Geld allein das Problem löst."

Kritische Töne sind auch von der Grünen Jugend zu vernehmen. So beklagt deren Vorsitzender, Timon Dzienus, dass diese Entscheidung, so viel Geld für die Bundeswehr bereitzustellen, "ohne jegliche politische oder gesellschaftliche Debatte" erfolgt sei.

Es sei jetzt "nicht der Zeitpunkt für langfristige aus- und aufrüstungspolitische Debatten, sondern für konkrete Unterstützung für die Menschen in der Ukraine".

"Irrweg" nach dem Schock

Die neue Grünen-Chefin Ricarda Lang betont, dass bei dieser Debatte die Parteibasis eingebunden werden müsse. "Wir reden über alles noch", sagte sie auf die Frage, ob die 100 Milliarden Euro schon fix seien. Bei den Grünen werden, wenn es denn so kommt, die Debatten wohl am heftigsten werden.

Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Sven-Christian Kindler, fordert in der Süddeutschen Zeitung, die 100 Milliarden Euro zu verteilen: "Es sollte ein breites Paket geben, nicht nur für das Militär, sondern auch für Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie, humanitäre Hilfe und eine Energieversorgung, die unabhängig von fossilen Ressourcen von autokratischen Regimen ist."

Auch in der SPD geht die Besorgnis über die Parteijugend hinaus. Die sozialdemokratischen Senioren sehen durch den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine zwar auch eine Zeitenwende.

Doch sie erklären: "Trotzdem darf dieser Schock nicht dazu führen, die Kernbestandteile sozialdemokratischer Identität infrage zu stellen oder eine Aufrüstungsspirale mit unabsehbaren weltweiten Folgen zu rechtfertigen." Sie wollen innerparteiliche Überzeugungsarbeit leisten, um "die SPD von diesem offenbar unter Schock eingeschlagenen Irrweg abzubringen". (Birgit Baumann aus Berlin, 8.3.2022)