Li Keqiang sorgte mit seiner Ankündigung für Überraschung. 5,5 Prozent Wachstum – das ist das Ziel, das die Politiker in Peking auf "zwei Treffen" bekanntgegeben haben. Es ist das niedrigste Wachstumsziel seit drei Jahrzehnten, aber am oberen Ende der Erwartungen. Außerdem sollen elf Millionen Jobs geschaffen werden, während die Konsumentenpreisinflation drei Prozent nicht übersteigen soll. Die Ausgaben für das Militär sollen um sieben Prozent steigen.

Nach dem großen Parteikongress im Herbst ist es das zweitwichtigste Treffen für Chinas Politiker. In der Großen Halle des Volkes berät der Nationale Volkskongress mit 3000 Delegierten eine Woche lang über die zukünftige Entwicklung des Landes und loben sich nebenbei für ihre Errungenschaften.

Risiken aus dem Ausland

Angesichts der Ukraine-Krise und der damit verbundenen Lieferketten-Engpässe sowie des Preisanstiegs bei Rohstoffen hatten Analysten mit einem niedrigeren Wachstumsziel gerechnet. Tatsächlich hatte der Premierminister und oberste Wirtschaftsboss Li Keqiang auf "Risiken aus dem Ausland" und ein "zunehmend volatiles und unsicheres externes Umfeld" verwiesen. Der Krieg in der Ukraine wurde aber nicht explizit erwähnt.

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Peking will unabhängiger werden und die Binnenwirtschaft stärken.
Foto: AP/Ng Han Guan

Seit Tagen fährt Peking einen Schlingerkurs, pocht einerseits auf die territoriale Integrität der Ukraine und auf eine friedliche Lösung des Konflikts, steht allerdings gleichzeitig klar aufseiten Putins. Noch Anfang Februar hatten Xi und Putin in einer gemeinsamen Erklärung ihre Freundschaft gefeiert und jede Nato-Aggression verurteilt. Vergangene Woche waren auch Geheimdienstberichte aufgetaucht, die nahelegen, dass Peking von den Invasionsplänen Putins gewusst hat.

Wichtiger Rohstofflieferant

Pekings Wirtschaftsmaschine ist dringend auf Rohstofflieferungen, vor allem aus Russland, angewiesen. China beteiligt sich auch nicht an den Finanzsanktionen gegen Russland. Gleichzeitig bezieht das Land gewaltige Mengen Weizen aus der Ukraine. Hinzu kommen andere Rohstoffe wie Eisenerz. Für die Ukraine ist China der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Knapp die Hälfte der gesamten Exporte gehen nach China. In Peking ist man sich bewusst, dass der Krieg und der Wegfall Russlands als einer der größten Rohstofflieferanten der Welt die ohnehin bestehenden inflationären Tendenzen verstärken wird. Am Dienstagmorgen wurde etwa Nickel vom Handel ausgesetzt, nachdem sich der Preis kurzfristig verdoppelt hatte. Öl und Gas haben ebenfalls Rekordpreise erreicht.

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China will die einheimische Produktion von Weizen um 650 Millionen Tonnen steigern.
Foto: REUTERS/Tingshu Wang

Trotz dieser Risiken ist die chinesische Wirtschaft vielleicht am besten auf die globalen Verwerfungen vorbereitet. Seit einigen Jahren arbeitet man mit Hochdruck am Konzept der "zwei Kreisläufe". Ein Binnenkreislauf soll möglichst autark funktionieren, während man in einem zweiten Wirtschaftskreislauf mit dem Ausland handelt, Güter exportiert und wichtige Rohstoffe importiert. Ersteres soll gestärkt werden.

Mehr Weizen

Deswegen will man die einheimische Produktion von Weizen um 650 Millionen Tonnen steigern. Präsident Xi Jinping betonte in seiner Rede mehrfach, wie wichtig Lebensmittel- und Energiesicherheit seien. China dürfe sich nicht mehr auf Importe aus dem Ausland verlassen.

Die Ermittlung des Wirtschaftswachstums in China unterscheidet sich vom Rest der Welt. Während in der EU das BIP am Ende eines Jahres gemessen wird, gibt man in Peking ein Wachstumsziel vor. Aufgabe der Provinzgouverneure und Kader ist es, alles dafür zu tun, dieses Ziel auch zu erreichen. So kommt es immer wieder zu Verzerrungen und Fehlinvestitionen. (Philipp Mattheis aus Peking, 9.3.2022)