Die Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen aus der Ukraine sprengt alle Grenzen, nicht nur in den Nachbarstaaten Polen, Rumänien, Slowakei, sondern auch bei uns. Politiker und Kommentatoren, die vor kurzem noch für strikten Grenzschutz und ein strenges Asylrecht plädiert haben, übertreffen einander plötzlich an Großzügigkeit. Das sind keine Flüchtlinge, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer, die sind Familie.

Gut so. Aber was steckt dahinter? Flüchtlinge aus der Ukraine, die es bis zu uns schaffen, sollen ab sofort einen zeitlich begrenzten Asylstatus bekommen, arbeiten dürfen, in jeder Weise unterstützt werden. Eine Willkommenskultur, von der andere, die seit Jahr und Tag bei uns sind, nur träumen können. Ein Grund für diesen Sinneswandel sind natürlich die erschütternden Fernsehbilder, die wir jeden Tag sehen und die bei jedem normalen Zuschauer Entsetzen, Wut auf den Verursacher und Mitleid mit den Opfern hervorrufen. Vor allem mit Opfern, die so aussehen wie wir.

Ukrainische Flüchtende an der polnischen Grenze.
Foto: IMAGO/xcitepress/Finn Becker

Blonde, blauäugige Christen, meinte kürzlich ein bekannter Journalist. Kein Wunder, dass wir uns mit ihnen eher identifizieren können als mit anderen Hilfsbedürftigen, die auch vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, aber dunkle Haare und Augen und eine andere Religion haben. Das zeigt sich nun auch beim Umgang mit sogenannten Drittstaatsangehörigen unter den Flüchtlingen. Sind wir Rassisten? Ein wenig vermutlich schon.

Gründe für die Flucht

Wenn gesagt wird, die Ukrainer hätten stichhaltigere Gründe für die Flucht als die Menschen, die aus anderen Gegenden aufgebrochen sind, so stimmt das nicht ganz. Die Ukrainer flohen vor den Bomben auf ihre Städte. Andere Migranten, hieß es, suchten nur ein besseres Leben im reichen Sozialstaat Österreich. Aber das Bombardement von Aleppo in Syrien oder Grosny in Tschetschenien war mindestens so schlimm wie die Luftangriffe auf Charkiw.

Ungerecht? Ja. Aber die Ukraine, von der ein großer Teil einst zur österreichisch-ungarischen Donaumonarchie gehört hat, ist uns halt näher als die entfernteren Gegenden, in denen ebenfalls Krieg herrscht oder herrschte.

Es ist menschlich, dass Nachbarn und Verwandte einem näher stehen als Fremde, von denen man nicht viel weiß. Wenn man dieser Ungerechtigkeit etwas Positives abgewinnen will, könnte man dieses Positive darin sehen, dass viele Österreicher heute in anderen Europäern keine Fremden mehr sehen, sondern Mitglieder derselben Familie.

"Die sind Familie." Kaum vorstellbar, dass ein österreichischer Bundeskanzler so etwas noch vor einigen Jahrzehnten gesagt hätte. Auch in der Europäischen Union wird diese Formulierung verwendet. In 27 Staaten war man sich darüber einig, dass deren Bürger eine Familie bilden.

Wenn ein Mitglied in Not ist, eilen die anderen zu Hilfe. Man teilt dieselben Werte. "Ich will, dass meine Kinder und Enkel in einem freien und demokratischen Land leben" – diesen Satz und viele ähnliche haben wir in den letzten Tagen von Ukrainern immer wieder gehört. Schön, dass so viele sich mit ihm solidarisiert haben. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 10.3.2022)